Vor dem Schulgipfel

Saskia Esken: „Digitalisierung braucht mehr als schnelle Internetverbindungen.“

Kai Doering21. September 2020
SPD-Chefin Saskia Esken: Wir wollen das Fenster für Digitales, das Corona ein Stück weit geöffnet hat, für mehr digitale Bildung nutzen.
Am Abend kommt es zum zweiten „Schulgipfel“ im Kanzleramt. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sieht in der Coronakrise eine große Chance für die Digitalisierung der Bildung. Dafür brauche es allerdings auch andere Unterrichtskonzepte.

Nach dem ersten „Schulgipfel“ Mitte August kommen Sie an diesem Montag erneut mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Bildungsminister*innen der Länder zusammen. Was erwarten Sie von dem Treffen?

Im August haben wir zwei wichtige Ziele vereinbart: Wir wollen gemeinsam alles dafür tun, dass Unterricht überall in Deutschland auch unter Corona-Bedingungen verlässlich stattfinden kann. Und wir wollen das Fenster für Digitales, das Corona ein Stück weit geöffnet hat, für mehr digitale Bildung nutzen. Der Bund wird dabei, wo nötig, die Länder unterstützen. Bei unserem ersten Treffen haben wir eine ganze Reihe von Punkte identifiziert und schon einiges erarbeitet, das wir am Montag vertiefen und erweitern werden.

Beim Treffen im August wurde viele konkrete Punkte – von Tablets für Lehrer*innen bis hin zu vergünstigten Internetanschlüssen für Schüler*innen – verabredet. Umsetzen müssen die allerdings die Länder. Gibt es bereits Signale, wann es da losgehen soll?

Vieles geht nur Hand in Hand. Nun ist der Bund ja bereits in Vorleistung gegangen. Im Koalitionsausschuss nach dem Schulgipfel haben wir ja ein umfangreiches Paket zur Digitalisierung der Schulen beschlossen, von den genannten Endgeräten über die Vernetzung von Bildungsplattformen bis hin zu Kompetenzzentren für digitale Bildung. Das gilt es nun mit den Ländern umzusetzen. Die Erwartungshaltung ist natürlich riesig. Wenn wir im Koalitionsausschuss vereinbaren, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer ein Tablet erhält, erwarten sie, dass sie es einen Tag später in der Hand haben. Das geht natürlich nicht. Wir werden aber alles tun, damit es möglichst schnell geht.

Haben Sie sich einen Zeitpunkt gesetzt, an dem die Verabredungen des Schulgipfels umgesetzt sein sollten?

Die Digitalisierung ist ein Prozess, der seit einiger Zeit läuft und den wir jetzt beschleunigen wollen. Die Länder sind da dran und wir werden sie, wo nötig, unterstützen. In der Corona-Zeit ist entscheidend, dass alle Schülerinnen und Schüler verlässlich unterrichtet und auf ihren Abschluss vorbereitet werden. Wenn sie oder ihre Angehörigen zur Risikogruppe gehören, muss es Wege geben, diese auch zuhause sicherzustellen. Dasselbe gilt, wenn es wieder zu einer Unterbrechung der Schule kommen sollte, was wir dringend verhindern sollten.

Der Digitalverband Bitkom hat der Digitalisierung der Schulen gerade ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Woran hakt es besonders?

Wichtig ist, dass man sich bewusst macht: Digitalisierung braucht mehr als schnelle Internetverbindungen. Die sind auch wichtig, aber letztendlich steht und fällt alles mit gut ausgebildeten und ausgestatteten Lehrkräften. Die wenigsten von ihnen arbeiten ausschließlich mit Papier und Bleistift. Die allermeisten haben zuhause einen Computer, auf dem sie ihren Unterricht digital vorbereiten. In der Schule wird diese Unterrichtsvorbereitung aber dann meistens ausgedruckt, denn der Unterricht selbst findet ja überwiegend analog statt, mit Büchern, Heften und Arbeitsblättern. Auf der anderen Seite machen die Schülerinnen und Schüler ihre Unterrichtsvor- und nachbereitung – Hausaufgaben, Referate, auf Klausuren lernen größtenteils am Computer und recherchieren Dinge im Internet und nicht in der Bibliothek. Das heißt, es findet an zwei Enden digitaler Unterricht statt, aber diese Enden werden nicht zusammengebunden. Das müssen wir ändern. Corona hat das Fenster für die Digitalisierung weit aufgestoßen. Wir sollten das nutzen.

Welche Rolle spielt die Ausbildung der Lehrer*innen dabei?

Eine ganz entscheidende. Digitale Bildung braucht Lehrkräfte mit digitalen Kompetenzen, aber sie braucht auch Schulentwicklung. Eine Digitalisierung der Bildung bedeutet keine Eins-zu-eins-Übertragung dessen, was man vorher analog gemacht hat. Sie erfordert ganz andere Unterrichtskonzepte – individualisierter und viel stärker auf die Zusammenarbeit zwischen den Schülerinnen und Schülern ausgerichtet. Sie bedeutet auch eine Verschiebung des Schüler-Lehrer-Verhältnisses hin zu mehr Augenhöhe. Kollaboration und Kommunikation sind da die Stichworte. Dazu kommen Kreativität und kritisches Denken – dann haben wir die vier Kernkompetenzen des 21. Jahrhunderts.

Bitkom sieht den Föderalismus als entscheidenden Hemmschuh der Digitalisierung von Schulen. Stimmen Sie zu?

Die Tatsache, dass Bildung Ländersache ist und Kommunen häufig die Schulträger sind, macht die Sache natürlich komplizierter. Gleichzeitig bedeutet das aber auch eine Vielfalt, die der Bildung guttut, weil so auch neue Ansätze und Ideen entstehen. Ich halte deshalb nichts davon, den Föderalismus für die Probleme bei der Digitalisierung verantwortlich zu machen. Die Kultusministerkonferenz habe ich bei diesem Thema schon früher als unglaublich wendig, offen und schnell erlebt. Und auch jetzt ist sie in hohem Maße einigungsfähig und das über Landesgrenzen hinweg. Zentralistisch regierten Staaten stehen wir da in nichts nach, im Gegenteil.

Kann Digitalisierung ein Schlüssel zu mehr Bildungsgerechtigkeit sein?

Wenn sie gut gemacht ist ja. Wenn sie schlecht gemacht ist, erreicht sie das Gegenteil. Die Digitalisierung hat ein großes Potenzial zur Emanzipation der Menschen. Dafür müssen sie allerdings auch die Kompetenzen haben, die Digitalisierung für sich zu nutzen. Heute wachsen ja eigentlich alle Schülerinnen und Schüler mit Computern auf und sind sogenannte Digital Natives. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie auch fundierte digitale Kompetenz haben, die über Wischkompetenz hinausgeht. Deshalb müssen wir sie ertüchtigen, das Internet und die Digitalisierung, also den Zugang zum Wissen dieser Welt und die Vernetzung für sich nutzen zu können. Ansonsten geht die Schere zwischen denen, die durch das Internet schlauer werden und denen, die eher nur konsumieren, immer weiter auseinander. Das erfordert aber auch ein Umdenken der Lehrkräfte – weg von der Wissensermittlung, hin zum Kompetenzerwerb.

 

Das Interview ist zuerst auf vorwärts.de erschienen.

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