Grenzwerte

Saubere Luft: Umweltbundesamt drängt auf weitere Maßnahmen

Carl-Friedrich Höck10. Februar 2022
Feinstaub-Messstelle in Berlin: Die neuen Richtwerte der WHO werden an fast allen Stationen verfehlt.
Kommunen können vorerst aufatmen. Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub wurden im vergangenen Jahr fast überall eingehalten. Trotzdem sieht das Umweltbundesamt Handlungsbedarf, denn künftig gelten strengere Auflagen.

Die Luft in den deutschen Städten und Landkreisen wird immer besser. Im Jahr 2021 gab es erneut keine Überschreitungen der Feinstaubgrenzwerte, meldet das Umweltbundesamt (UBA). Und auch der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft wurde voraussichtlich nur an ein bis zwei Prozent der verkehrsnahen Messstationen überschritten. Das zeigt eine Auswertung von rund 600 Messstationen.

Zum Vergleich: Im Jahr 2016 haben noch 90 Städte die Grenzwert-Hürde für NO2 gerissen. Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es immerhin noch 25. Nun erwartet das UBA eine Zahl von weniger als fünf für das Jahr 2021, darunter München und Ludwigsburg. Die Belastung sei in allen Bereichen zurückgegangen, erklärte UBA-Präsident Dirk Messner bei einem Pressegespräch am Donnerstag. Also sowohl Messstationen in städtisch-verkehrsnahen Bereichen und im Hintergrund als auch in ländlichen Gebieten.

Dieselkrise als Wendepunkt

Hauptquelle für die Stickstoffdioxide im Stadtverkehr sind nach wie vor Diesel-Pkw. Laut UBA tragen sie mit 56,6 Prozent zur Gesamtbelastung bei. Nutzfahrzeuge verursachen 36,4 Prozent des ausgestoßenen NO2. Busse kommen auf 3,9 Prozent, die übrigen Pkw auf 2,7 Prozent. Seit der sogenannten Dieselkrise ist der von Diesel-Autos verursachte Schadstoffausstoß jedoch stark rückläufig. „Die Autohersteller haben uns gezeigt, dass das Problem technisch enorm reduziert werden kann“, resümiert Messner. Die Dieselkrise sei ein „Gamechanger“ gewesen.

Entwicklung der NO2-Jahresmittelwerte 2000-2021. Rot: städtisch verkehrsnah. Gelb: städtischer Hintergrund. Grün: ländlicher Hintergrund.

Durch eine fortschreitende Erneuerung der Fahrzeugflotte seien immer mehr deutlich sauberere Fahrzeuge in den Städten unterwegs, so das UBA. Lokale Maßnahmen hätten ebenfalls zum Rückgang der Luftbelastung beigetragen. In den vergangenen beiden Jahren kam hinzu, dass aufgrund der Corona-Pandemie generell weniger Auto gefahren wurde. Das hat eine bereits länger anhaltende positive Entwicklung noch verstärkt.

Die aktuellen Grenzwerte gelten als veraltet

Trotzdem fordert das Umweltbundesamt die Politik auf, ihre Anstrengungen für gesunde Luft zu verstärken. „Es besteht dringender Handlungsbedarf über die bereits im Luftreinhalteprogramm festgelegten Maßnahmen hinaus“, sagt Messner. Begründet wird das mit neuen Leitlinien für gesunde Luft, die die Weltgesundheitsorganisation WHO im September vorgelegt hat. Diese sind deutlich strenger als die bisherigen. Basierend auf der WHO-Empfehlung wird die EU-Kommission voraussichtlich im Herbst eine neue Luftqualitätsrichtlinie vorschlagen. Somit dürften bald auch in Deutschland neue und sehr viel niedrigere verbindliche Grenzwerte gelten.

Aktuell würde der angestrebte WHO-Richtwert von 10 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter an 78 Prozent der deutschen Messstellen verfehlt werden. Und auch Feinstaub wäre plötzlich wieder ein Problem für die Kommunen. Für Partikel der Größe PM10 gilt aktuell ein Richtwert von 70 Mikrogramm, die WHO empfiehlt 15 Mikrogramm. Dieser Wert wird an 40 Prozent der Messstellen überschritten. Für kleinere Partikel (PM2,5) hat die WHO den Richtwert auf unter 5 Mikrogramm gesenkt – das wird aktuell an 99 Prozent der Messstationen nicht eingehalten.

54.000 Tote durch Feinstaub

Die neuen Richtwerte seien nicht willkürlich festgelegt, sondern auf Grundlage des aktuellen Forschungsstandes, argumentiert das Umweltbundesamt. Die bisherigen Grenzwerte seien schon 20 Jahre alt. „Jedes Mikrogramm Luftbelastung weniger ist gut für unsere Gesundheit“, betont Dirk Messner. So seien in Deutschland 2019 – trotz der verbesserten Situation – noch immer knapp 54.000 vorzeitige Todesfälle auf eine dauerhafte Belastung mit Feinstaub zurückzuführen gewesen.

Schädlich für die Luft in den Kommunen ist nicht nur Straßenverkehr. Beispiel Feinstaub: Fünf Prozent der kleinsten Partikel (PM2,5) stammen laut UBA aus der Landwirtschaft. Sie bilden sich etwa aus Ammoniak, der bei der Tierhaltung freigesetzt wird. Und 18 Prozent des Feinstaubs geht auf die Verfeuerung von Holz zurück. Holzöfen in Privathaushalten würden viel Schaden anrichten, warnt Dirk Messner. „Wir haben immer noch Wachstum in diesem Bereich“. Das UBA rate zu einem Ausstieg aus weiteren Investitionen.

Was Kommunen tun können

Um die künftigen Grenzwerte einzuhalten, ist laut UBA eine Reihe transformativer Maßnahmen erforderlich: beschleunigter Kohleausstieg, Verkehrswende, Agrarwende und mindestens eine Halbierung der festen Biomasse in Privathaushalten. Klassische Maßnahmen wie Tempolimits allein reichten nicht aus, so Messner.

Gleichwohl sieht er die Städte und Landkreise weiterhin als wichtige Akteure: „Die Kommune kann in Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr einiges tun. Wir haben eine ganze Reihe von Städten, die versuchen da voranzugehen.“ Mehr ÖPNV sei nicht nur klimapolitisch sinnvoll, sondern könne auch den Reifenabrieb verringern und Feinstaub vermeiden.

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