Interview mit Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz

„Das Schöne ist der Brückenschlag“

Karin Billanitsch05. Juli 2017
„Die Frage ist dabei, wie man die kulturelle Arbeit in ihrer strategischen Bedeutung bewertet“, sagt Dr. Peter Kurz im DEMO-Interview.
Kultur führt Menschen zusammen, ist Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz ­überzeugt. Sie ist eine wichtiger Treiber für gesellschaftliche Prozesse und Stadtentwicklung.

In Mannheim leben 160 Nationen. Welche Rolle spielt Kultur dabei, dass das Zusammenleben in einer von Vielfalt und Verschiedenheit geprägten Gesellschaft gelingt?
Kultur spielt dabei eine immer größere Rolle. Es ist auch eine Aufgabe, der sich die klassischen Kulturinstitutionen immer mehr annehmen. Zugleich gibt es ein breites Feld an freier Kulturszene, die genau die Diversität von Stadtgesellschaft zum Thema macht und Begegnungsorte schafft. Da ist sicher noch viel Luft nach oben, aber Kultur ist aus meiner Sicht ein Haupttreiber für Verständigungsprozesse in der Gesellschaft.

Es gibt eine Liste des „Mannheimer Erbes der Weltkulturen“. Wie kam es dazu?
Das Künstlerhaus Zeitraum Exit hat die Konzeption entwickelt und die deutsche UNESCO-Kommission zur Schirmherrschaft bewegt. Wir als Kommune haben das Projekt mit Begeisterung unterstützt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die freie Szene zentrale Fragen, die uns international und lokal bewegen, vor Ort aufnimmt. Das Projekt macht die Unterschiedlichkeit in der Stadtgesellschaft sichtbar und verankert diese vor Ort. Es ermöglicht, einen neuen Blick auf die Stadt zu werfen und die „Heimat Stadt“ zu beschreiben. Vieles in dieser Richtung leistet einen Beitrag, um das große Thema der Zugehörigkeit zu fördern. Denn das ist der Dreh- und Angelpunkt in der Frage, wie Stadtgesellschaft in Zukunft funktioniert.

Wie kann Kultur Zugehörigkeit befördern? Leben viele Menschen nicht ohne Berührungspunkte in Parallelwelten nebeneinander her?
Bei diesem Projekt ging es genau um das Zusammenführen. Das Schöne ist ja der Brückenschlag. Da ist etwa der Äthiopier, der erklärt hat, für ihn sei das Nationaltheater Mannheim deswegen ein Stück Heimat, weil es aussieht wie das National­theater in Addis Abeba. Es ist auch in der Architektur der klassischen Moderne in den 50er Jahren entstanden. Das ist eines von vielen Beispielen, wie lokale Orte aufgeladen worden sind mit verschiedenen Kulturen. Es geht auch darum, in der Auseinandersetzung mit der deutschen Kultur neue Identifikationen zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist eine junge Theatergruppe von Migranten in einem klassischen Mannheimer Vielfaltsquartier, die schon mehrere Theaterprojekte realisiert hat, etwa „Kabale und Liebe“ oder die “Räuber“. Sie erzählen diese Stücke auf ihre Weise. Es wird deutlich, dass es nicht darum geht, ihre Herkunftsfolklore zu pflegen, sondern sich hier die lokale,  historisch gewachsene und diverse Kultur anzueignen.
 
Kultureinrichtungen anzubieten, gehört zur Grundversorgung in den Kommunen. Wie versucht man, in Zeiten knapper Kassen mit dem ­ökonomischen Druck umzugehen, aber dennoch Kreativität zu fördern?
Die knappen Kassen als stehender Begriff sind natürlich ein Dauerthema, aktuell finde ich das Argument nicht durchschlagend: Wir investieren im Augenblick viel, an vielen Stellen, weil es den Haushalten gerade nicht so schlecht geht. Die Frage ist dabei, wie man die kulturelle Arbeit in ihrer strategischen Bedeutung bewertet. Wir haben in der Praxis der vergangenen Jahre Kultur als wesentlichen Treiber für gesellschaftliche Prozesse und Stadtentwicklung identifiziert und entsprechend gefördert. Traditionell kommt noch hinzu, dass wir einen großen Kulturetat haben, der allerdings durch große kommunale Institute gebunden ist. Daher war es ein Teil unserer Arbeit, die Gelder für die freie Szene Jahr um Jahr etwas zu erhöhen. Die Kultur hat so am allgemeinen Wachstum des Haushaltes in gleichem Maß teilgenommen.

Beim Kulturstädteranking des Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitutes HWWI unter den 30 größten Städten Deutschlands lag Mannheim zuletzt auf Platz 2 bei der finanziellen Unterstützung der Theater. Liegt hier der Schwerpunkt in der Kulturproduktion der Stadt?
Die Dominanz der Theaterausgaben hat natürlich etwas zu tun mit der Tradition und Größe des Nationaltheaters. Was sich in den vergangenen Jahren aber bewusst entwickelt hat, ist die Entscheidung auch weitere Institutionen, Theater und performative Angebote zu unterstützen und auszubauen. Kulturpolitisch wichtig ist aber auch, dass sich das Nationaltheater selbst gesellschaftlichen Fragen gestellt und gegenüber der diversen Stadtgesellschaft geöffnet hat und ein wichtiger Impulsgeber ist.

Gibt es in Mannheim einen Kulturentwicklungsplan?
Wir haben keinen verabschiedeten Kulturentwicklungsplan im engeren Sinn. Es gibt eine Stadtstrategie, die wesentliche Elemente der Kultur umfasst. Ein wichtiges Thema ist beispielsweise die Strategie zur „Gründerstadt“, die nicht nur einen kreativwirtschaftlichen Teil hat, sondern ebenso einen kulturpolitischen. Hier haben wir eine eigenständige GmbH mit Schnittstellen zu verschiedenen Referaten und Dezernaten geschaffen. Auch bei den Strategien zur Quartiersentwicklung geht es entscheidend um kulturelle Projekte.

Wollen Sie die Kulturwirtschaft dadurch ankurbeln?
Am Anfang lag der Fokus darauf, die Kulturwirtschaft unmittelbar zu stärken. Mittlerweile sehen wir ihre Stärkung auch als wichtigen Motor für die sonstige wirtschaftliche Entwicklung. Es ist keine reine Eins-zu-eins-Betrachtung nach dem Motto „Wie viel fördern wir und wie viele Arbeitsplätze entstehen dadurch?“. Wir erleben vielfältige indirekte Wirkungen auf andere Branchen und natürlich auf die Stadtgesellschaft, wie ich dies eingangs angesprochen habe.

Mannheim ist UNESCO City of Music seit 2014. Welche Möglichkeiten haben sich dadurch eröffnet?
Wir sind Mitglied in dem internationalen Netzwerk der UNESCO Creative Cities, wo wir versuchen, Impulse für die Entwicklung zu setzen und diese Plattform für uns zu nutzen. Wir haben sie für einige bilaterale Projekte eingesetzt, aber nicht in dem Maße, wie wir es anstreben. Das Netzwerk muss fortentwickelt werden und wir bringen uns im Augenblick stark ein, um es voranzubringen. Der unmittelbare Nutzen liegt derzeit vor allem im Marketing, wo wir das Label einsetzen, um Mannheim sichtbarer zu machen.

Auf den ebenfalls öffentlichkeitswirksamen Titel Europäische Kulturhauptstadt sind viele Städte scharf. Mannheim hatte sich vor ein paar Jahren auf den Weg gemacht, Kulturhauptstadt 2020 zu werden. Nun ist Deutschland erst 2025 dran. Wie sieht jetzt der Fahrplan aus?
Das war für uns natürlich ein Rückschlag, als die EU bei ihrer Neudiskussion über die Frage der Zukunft der Europäischen Kulturhauptstadt auch den Zeitplan noch einmal völlig neu aufgesetzt hat – dass Deutschland statt 2020 oder 2021 erst 2025 an der Reihe sein wird. Das hat die ursprünglichen Kalkulationen und den Zeitplan verändert. Wir haben deshalb den Prozess unterbrochen, da man dies nicht über 15 Jahre hinweg inszenieren kann. Wir haben schon 2008, 2009 begonnen, uns auf den Weg zu machen und auch an den Themen weitergearbeitet. Jetzt sind wir in der Diskussion, ob und wie wir eine Bewerbung in Richtung 2025 auf den Weg bringen. Das wird in den kommenden Wochen und Monaten entschieden.

Auffallend ist auch der hohe Anteil von Studierenden an öffentlichen Musikschulen und staatlich anerkannten Musik- und Kunsthochschulen (bundesweit Platz 2). Was bedeutet kulturelle Bildung für eine Kommune?
Im Hochschulbereich sind wir bewusst engagiert. Das ist eine Tradition unserer Stadt: Alle Hochschulen, die es hier gibt, sind einmal kommunale Gründungen gewesen und haben sich dann zu staatlichen Hochschulen entwickelt. Das gilt für die Musikhochschule, die aus unserer Musikschule hervorgegangen ist, das gilt in besonderer Weise für die Popakademie, die eine gemeinsame Initiative von Land Baden-Württemberg und Stadt Mannheim war. Das gilt für die Fakultät für Gestaltung an der Hochschule, die ursprünglich als kommunale Hochschule für Gestaltung gegründet worden ist.
Unser Interesse gilt aber auch der grundständigen kulturellen Bildung. Wir haben eigene Programme für die Kindertagesstätten, wo wir Kooperationsprojekte unserer Institutionen durchführen – insbesondere mit unserer Musikschule. Wir haben über die vergangenen 15 Jahre ebenso die Zahl der Musikschüler an unserer Musikschule mehr als verdoppelt. Und wir haben ein eigenes Programm „Mannheimer Unterstützungssystem Schule“, das überwiegend ein kulturelles Angebot an unseren Schulen ist. Sie können sich um ein eigenes Budget bewerben, um damit Leistungen von Kultur­anbietern „einzukaufen“. Insofern kann man sagen, dass die kulturelle Bildung unter allen formulierten Aspekten der Identität, Teilhabe, Gerechtigkeit, Zugehörigkeit eine ganz wichtige Dimension hat.