Herfords Bürgermeister Kähler

„Es muss ein Schutzschirm für Stadtwerke kommen”

Carl-Friedrich Höck28. September 2022
Die Gaspreise sind rasant gestiegen.
Vor einer „tickenden Zeitbombe” warnt Tim Kähler wegen der hohen Energiepreise. Der Bürgermeister der Hansestadt Herford erklärt im Interview, welche Folgen sie für Stadtwerke und Kommunen haben. Von Bund und Ländern fordert er milliardenschwere Unterstützung.

Die schwindelerregenden Energiepreise haben für die Kommunen gravierende Folgen. Was bedeutet das konkret für die Stadt Herford?

Tim Kähler: Wir haben Glück, weil unsere Stadtwerke langfristige Lieferverträge haben. Für die meisten Kommunen bedeutet das aber, dass ihre Energiekosten erheblich steigen. Ein Beispiel: Eine Stadt in Nordrhein-Westfalen mit 30.000 Einwohnern musste neue Energieverträge aushandeln, sie zahlen jetzt den siebenfachen Energiepreis – das bedeutet einen Mehraufwand von 13 Millionen Euro pro Jahr. Andere Kommunen sind davon abhängig, dass das Geschäftsmodell Stadtwerke funktioniert. Denn mit den Stadtwerken haben sie Ertragsbringer und finanzieren damit den ÖPNV im Rahmen des steuerlichen Querverbundes. Diese Stadtwerke haben zum Teil noch Verträge, aber die laufen aus und danach wird es schwierig. Dazu kommt, dass Stadtwerke mit vermehrten Zahlungsausfällen rechnen müssen, weil ihre Kundinnen und Kunden ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können.

Was passiert, wenn die Stadtwerke in finanzielle Schieflage geraten?

Tim Kähler, Bürgermeister der Hansestadt Herford in Ostwestfalen

Wenn die Stadtwerke kein Gewinnbringer mehr sind, können sie auch den Nahverkehr nicht mehr querfinanzieren. Und wenn sie insolvent werden, weiß ich nicht, wie man kommunale Wärmewende oder Energiewende gestalten will. Und dann sinkt auch die Bonität der Kommune insgesamt. Ich denke da an eine große Stadt im Ruhrgebiet, die hat 1,4 Milliarden Euro Kassenkredite laufen. Wenn die Bonität sinkt, müssen sie mehr Zinsen bezahlen, und die steigen derzeit eh schon. Das ist eine tickende Zeitbombe auf kommunaler Ebene. Bisher hat weder das Land NRW noch der Bund eine Antwort gegeben, die uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt.

Sie vertreten die Gemeinden und Gemeindeverbände im Verband kommunaler Unternehmen. Was fordern Sie, das jetzt getan werden sollte?

Es muss ein Schutzschirm für die Stadtwerke kommen. Und wir brauchen zwingend Planungssicherheit bei den Gas- und Strompreisen. Schauen wir auf die Wohnungswirtschaft: Oft sind es die Stadtwerke, die Gas und Wärme liefern, auch da steigen die Preise immens. Teilweise können die Menschen aufgrund der hohen Belastung und der Inflation die Mieten nicht mehr bezahlen. Es ist gut, dass die Bundesregierung Entlastungspakete schnürt. Aber der Kern der ganzen Herausforderungen sind die hohen Energiekosten.

Manche Gaskunden wissen wahrscheinlich gar nicht, welche Rolle Gasimporteure wie Uniper für sie spielen – denn ihr Ansprechpartner für Energieversorgung ist das kommunale Stadtwerk. Können Sie ihnen erklären, was es für die Stadtwerke bedeutet, wenn der Staat Uniper rettet?

Stadtwerke sind nicht alle gleich. Große Stadtwerke wie Dortmund oder Leipzig haben sich schon immer auf dem freien Markt bedienen müssen. Denn sie nehmen zu große Mengen ab und nutzen keine Zwischenhändler.

Es gibt aber viele mittelgroße Stadtwerke, die konnten über Uniper oder EnBW längerfristige Verträge schließen zu planbaren Preisen. Wenn ein Importeur wie Uniper ausfällt, hat das Stadtwerk keinen Ansprechpartner mehr und muss sich auf dem freien Markt bedienen. Dazu haben sie erstens nicht das Know-how und zweitens bedeutet das, dass sie höhere Preise zahlen müssen.

Die Stadtwerke Herford haben einen langfristigen Vertrag mit EnBW. Dadurch sind die Kundinnen und Kunden noch relativ unbelastet, was die Gaspreise betrifft. Aber EnBW bekommt kein günstiges Gas aus Russland mehr und muss es anderswo teuer einkaufen. Sie dürfen dieses Gas aber nur zu einem geringen Preis an Herford weiterverkaufen. Damit Importeure wie EnBW oder Uniper nicht pleite gehen, brauchen sie einen Zuschuss. Das wäre die Gasumlage gewesen.

Nun wird Uniper verstaatlicht, dafür ist die Gasumlage offenbar vom Tisch. Ist das eine gute oder eine fatale Entscheidung?

Es ist nie gut, wenn eine Bundesregierung eine Entscheidung vorlegt, die eine Halbwertszeit von fünf Minuten hat, denn das kostet Vertrauen. Trotzdem ist die Entscheidung richtig gewesen, Uniper zu verstaatlichen und auch die Verluste zu tragen. Wenn Uniper ausfällt, würde sich die Preissteigerung auf dem Energiemarkt beschleunigen und vervielfachen.

Uniper zu übernehmen, reicht aber nicht aus. Denn auch die großen Stadtwerke müssen sich mit Gas eindecken. Die Chefin eines großen Stadtwerkes hat mir erzählt: Wenn ein größeres Unternehmen anruft, kann sie ihm einen Preis anbieten, der meistens viermal so hoch liegt wie der vorherige. Dieses Preisangebot kann sie nur 15 Minuten aufrechterhalten, denn danach dreht sich der Markt weiter. Die Bundesregierung und die Länder müssen jetzt schnell Lösungen finden, um die Strom- und Gaspreise für die nächsten 24 Monate planbar zu gestalten.

Sie fordern einen Schutzschirm für Stadtwerke. Wie sollte der aussehen?

Der Staat könnte den Stadtwerken sagen: Das Defizit, das sich bei euch aufbaut, wird über einen Fonds, über die Bundesnetzagentur oder eine Umlage ausgeglichen. Dafür müsste man zunächst bestimmte Preise definieren – und an denen bemisst sich dann das Defizit, das den Stadtwerken ersetzt wird.

Wo könnte das notwendige Geld dafür herkommen? Viele Verbraucher*innen sind gerade knapp bei Kasse. Und im Bund will Finanzminister Christian Lindner die Schuldenbremse einhalten, das engt die Spielräume ein.

Die Bundesrepublik hat eine Staatsverschuldung von unter 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit ist Deutschland im europäischen Vergleich sehr kommod unterwegs. Wenn so etwas nicht über die Bund- und Länderhaushalte finanziert wird – und zwar in Milliardenhöhe, um die Preise zu stabilisieren – sind die wirtschaftlichen Folgen ein weitaus höherer Preis, den wir bezahlen werden. Denn dann werden Industrien geschlossen und die Arbeitslosigkeit nimmt massiv zu. Die schwarze Null ist sicher eine anzustrebende Größe in einem Haushalt, aber wir befinden uns in einer massiven Krise und müssen gewisse Prinzipien ruhen lassen, um die Krise zu managen. Wir brauchen jetzt eine gesamtstaatliche Anstrengung, um das System zu erhalten – und um dem russischen Präsidenten zu zeigen, dass unsere Volkswirtschaft genug Kraft hat, um sich von seinen Spielchen nicht in die Knie zwingen zu lassen. Am Ende wird das über Steuern und Umlagen zu refinanzieren sein – wenn wir das über die nächsten Jahre und Jahrzehnte abtragen, bleibt die jährliche Belastung überschaubar.

Der Preis von Gas und Strom entscheidet darüber, ob wir unser wirtschaftliches System so weiterfahren können oder nicht. Es ist berechtigt zu sagen, das muss teurer werden, damit wir die Energie in Zukunft anders produzieren. Aber wir können nicht gleichzeitig innerhalb von zwei bis drei Jahren aus Kohle, Strom und Gas aussteigen. Da geht die Republik kaputt. Wenn die Menschen unsicher sind und nicht wissen, wie sie ihre Zukunft gestalten können, wird das ihr Urteil über die Politik prägen. Dann steigen die Chancen für die Rattenfänger dieser Welt, die vermeintlich einfache Antworten haben. Wir sehen es gerade in Italien.

Städtetag schlägt wegen Gaspreisen Alarm

Auch der Deutsche Städtetag fordert den Bund auf, umgehend einen Rettungsschirm für kommunale Energieversorger zu spannen und das Insolvenzrecht anzupassen. Die wirtschaftliche Lage der Stadtwerke spitze sich mit jedem Tag weiter zu, sagte Städtetags-Präsident Markus Lewe am Mittwoch nach einer Präsidiumssitzung des Verbandes. „Kommunale Versorger können ohne Unterstützung des Bundes in existenzielle Schwierigkeiten geraten, die wir alle spüren werden. Stadtwerke sind systemrelevant. Wir appellieren deshalb dringend an den Bund, den Stadtwerken endlich einen Rettungsschirm zuzusagen.“

Außerdem drängen die Städte auf eine Gaspreisbremse. Diese sei das entscheidende Instrument, um die Preise zu dämpfen und die Überforderung breiter Schichten zu verhindern, so Lewe. „Für private Haushalte muss ein Grundbedarf von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs an Gas vergünstigt zur Verfügung gestellt werden. Der finanzielle Rahmen muss sich an der Wirksamkeit einer Gaspreisbremse orientieren und nicht umgekehrt.“

Das komplette Statement: staedtetag.de

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