Interview mit Ulli Nissen

Smart Cities: Was deutsche Kommunen von Spanien lernen können

Carl-Friedrich Höck10. Juli 2019
Ulli Nissen ist Bundestagsabgeordnete für die SPD
Ulli Nissen ist Bundestagsabgeordnete für die SPD
Spanien gilt als Vorreiter im Gestalten von „Smart Cities“. Eine Delegation von Bundestagsabgeordneten ist hingefahren, um sich Projekte vor Ort anzuschauen. Die DEMO hat bei Ulli Nissen (SPD) nachgefragt, welche Eindrücke sie mitgenommen hat.

Frau Nissen, mit anderen Mitgliedern des Kommunalausschusses sind Sie vergangene Woche in Spanien gewesen, um mit Kommunalvertretern über Smart Cities zu sprechen. Warum fiel die Wahl auf die iberische Halbinsel?

Es ist spannend sich anzugucken, wie Bauen, Wohnen und der Umbau zu Smart Cities in anderen Ländern funktionieren. In Spanien wird einiges anders gemacht als bei uns. Wir waren erst in Barcelona, dann in Santander und in Bilbao. Als Frankfurterin war für mich spannend zu sehen, wie in Barcelona die Stadt umgestaltet wurde. Dort hat man den Verkehr aus den Straßen herausgenommen. Ein Beispiel: Eine ehemalige, vielbefahrene Kreuzung wurde umgewandelt in eine Fläche, wo jetzt Bäume, Bänke und Spielgeräte stehen. Das hat mich sehr beeindruckt.

Der Begriff „Smart City“ wird in ganz unterschiedlichen Kontexten verwendet. Vereinfacht geht es stets um die Frage, wie digitale Technologien auf kommunaler Ebene genutzt werden können. Können Sie in zwei Sätzen zusammenfassen, was „Smart City“ für Sie bedeutet?
    
Es geht um eine bessere effizientere durch Technologie unterstützte Vernetzung der Stadt. Und geht unter anderem darum, die Dinge des täglichen Lebens besser zu organisieren. Seien es Lärm-Emmissionen, Parkplätze, Müllstationen oder auch der öffentliche Nahverkehr.

Auf der Reise haben wir ganz unterschiedliche Dinge gesehen. Auf dem neuen Marktplatz in Barcelona wurden Netzstationen an den Laternen angebracht, sodass sich messen lässt, was dort passiert. Zum Beispiel der Lärm. Aber auch die Füllstände der Mülltonnen werden elektronisch gemessen und über die Netzstationen weitergegeben. Das löst natürlich nicht alle Probleme: Wenn die Leute den Papiermüll verstopfen, weil sie Kartons nicht klein machen, hilft es einem nichts, den Füllstand zu kennen. Aber man konnte mit dem Messungen feststellen, dass eine Glasmülltonne regelmäßig nachts um eins ratzfatz voll war. Es stellte sich dann heraus, dass ein Gastwirt aus der Nachbarschaft seine Glasflaschen dort entsorgt hat, obwohl er das gar nicht gedurft hätte. Er wurde also mit den Daten als Übeltäter überführt.

Auch über Gefahren von Smart-City-Modellen wollten die Delegierten auf der Reise sprechen. Gibt es etwas, das Ihnen Sorgen bereitet?

In Deutschland würden wir uns viel mehr Gedanken über den Datenschutz machen. Das betrifft zum Beispiel den Öffentlichen Personennahverkehr, aber auch andere Bereiche. In Spanien werden Bewegungsprofile erstellt. Über die Einwahl in die Handynetze wird beobachtet: Wer kommt von auswärts rein, aus welchen Ländern kommen die Touristen?

In Bilbao wurde das besonders deutlich: Dort hatte man sehr genaue Zahlen. Die Kommunen, die die Daten sammeln, geben sie auch an Unternehmen weiter. Sie sagen: Es ist ein offenes Netz. Außerdem ist vieles privatisiert. In Bilbao etwa die Parkplatzvergabe. In der Innenstadt darf man, wenn man kein Anwohner ist, nur zwei Stunden parken. Kontrolliert wird das von einem Unternehmen, das mit Autos durch die Straßen fährt und mit einer Kamera die Autokennzeichen abgleicht. Wenn man ein Parkticket bucht, muss man nämlich per Handy das Kennzeichen angeben.

Es geht also nicht nur um anonymisierte Bewegungsprofile, sondern es werden sehr persönliche Daten erfasst?

Absolut. Wenn die Kamera erfasst: Dieses Kennzeichen hat sich nicht ins Parksystem eingebucht, wird ein Elektroroller-Fahrer vorbeigeschickt. Der stellt dann den Strafzettel aus. Aber so wird eben auch überwacht, wann ich wo bin. Diese Daten liegen bei einem privaten Unternehmen, nicht beim Staat. Das Unternehmen hat die Parkplätze von der Stadt gepachtet, übernimmt die Parkraumbewirtschaftung und zahlt dafür etwas mehr als eine Million Euro pro Jahr an Bilbao.   

Brisant daran ist: Man gibt seine Daten ja nicht freiwillig her, wie es etwa bei Facebook der Fall ist. Sondern es ist der einzige Weg, um öffentliche Parkplätze überhaupt nutzen zu können. Wie sind denn solche Aspekte innerhalb der Bundestags-Delegation diskutiert worden?

Leider war für Diskussionen gar nicht so viel Zeit, wir hatten einen vollen Terminplan. Aber viele von uns waren schon erstaunt, dass so etwas geht. Ich fand das sehr krass.

Ihre Skepsis wird deutlich. Was haben Sie denn an Positivem von der Reise mitgenommen? Was können deutsche Kommunen von Spanien lernen?

Gut war die enge Vernetzung verschiedener – auch privater – Unternehmen im öffentlichen Personennahverkehr. In Barcelona kann man für zehn Euro ein Zehn-Fahrten-Ticket kaufen. Das gilt für alle Netze und ist zudem sehr preiswert.

In Bilbao konnte man mit digitaler Vernetzung Geld sparen. Denn man hatte gemerkt, dass in den Wasserleitungen viel Wasser verloren geht. Also hat man sie mit Sensoren ausgestattet. So konnte man die Lecks viel schneller finden und darauf reagieren.

Sinnvoll finde ich auch, wie man dort die Beleuchtung der Straßen organisiert hat. Dank Sensoren kann man die Laternen genau auf die jeweiligen Wetterbedingungen einstellen: Je dunkler es ist, umso heller die LED-Lampen. Und wenn Fußgänger an der Ampel grün haben, werden die Übergänge stärker beleuchtet, sodass man die Menschen besser sieht. So lässt sich viel Energie sparen. Und die Sensoren sind nicht teuer, die Investition lohnt sich also. Auch Parkplätze sind mit Sensoren ausgestattet. So kann ich schnell herausfinden: Wo ist ein freier Parkplatz, den ich ansteuern kann?

Sicherlich haben Sie auf der Reise nicht nur über das Thema „Smart City“ gesprochen. Welche Eindrücke nehmen Sie noch von der Reise mit?

Die Stadt Bilbao hat uns alle sehr beeindruckt. Seit 2010 hat die Stadt keine Schulden mehr. Und nun findet dort eine gewaltige Umgestaltung statt, um Bilbao lebenswerter zu machen. Die Straßenbahnen werden unterirdisch gelegt. So wird viel Fläche für die Menschen zurückgewonnen.

Angefangen hat es im Hafengebiet. Dort wurde durch eine Flut vieles zerstört, und so haben sie begonnen die Stadt neu aufzubauen. Wo vorher grauer Beton und Autobahnen waren, entstehen auf einmal Grünflächen oder Wohnhäuser. Es ist wirklich unfassbar, wie die Politik das schaffen und finanzieren konnte – da waren wir platt. Stellen Sie sich vor, was in Frankfurt los wäre, wenn eine Straße gesperrt werden soll. In Bilbao wird es einfach gemacht, die Vision einer autofreien Stadt wird umgesetzt. Und der Spruch „Wir geben den Menschen ihre Stadt zurück“ trifft hier wirklich zu.

Wie geht es nach der Reise in Sachen Smart Cities weiter? Steht das Thema demnächst auch im Bundestag auf der Tagesordnung?

Aktuell läuft ein Programm des Bundes, der Smart-City-Modellprojekte in Deutschland fördert. 2019 stehen dafür 150 Millionen Euro zur Verfügung. (Mehr dazu: smart-cities-made-in.de, d. Red.)

Noch eine Anmerkung: Wir in der Delegation waren ja alle etwas ältere Semester. Wir waren beim Thema Smart Cities zurückhaltend und haben die Risiken gesehen. Hätten wir ein paar Jungspunde mit dabeigehabt, hätten die vielleicht anders auf das Thema geschaut, mehr auf die Chancen geblickt. Trotzdem: Wir haben viele beeindruckende und spannende Projekte kennengelernt. Und im Nachgang werden wir uns das eine oder andere bestimmt nochmal etwas genauer anschauen.

 

Ulli Nissen (SPD) ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen.

weiterführender Artikel