„Grüner Zement“

So will die Zementindustrie nachhaltiger werden

Carl-Friedrich Höck07. Oktober 2022
Ein Betonkübel: Ohne Zement ist Bauen im großen Stil kaum möglich. Doch die Herstellung des Bindemittels gilt als hoch klimaschädlich.
Bauen ist klimaschädlich – vor allem die Zementproduktion verursacht hohe CO2-Emissionen. Doch es gibt vielversprechende Ansätze, die das ändern sollen: Die Branche hofft auf „grünen Zement“. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Warum muss der Bausektor nachhaltiger werden?

Um den Wohnungsmarkt zu entlasten, will die Bundesregierung den Neubau vorantreiben: 400.000 Wohnungen im Jahr hat sich Bauministerin Klara Geywitz (SPD) zum Ziel gesetzt. Doch zum Bauen braucht es Zement, und die Zementherstellung belastet das Klima. Weltweit entstehen bei der Produktion rund 2,7 Milliarden Tonnen CO2. Das entspricht etwa der Hälfte der Emissionen aus dem Verkehr (Quelle: Gutenberg-Universität Mainz). Denn um Zement zu brennen, werden normalerweise Temperaturen von etwa 1.400 Grad benötigt. In der Regel werden dafür fossile Brennstoffe wie Kohle eingesetzt. Beim Brennvorgang wird zudem das im Kalk gebundene CO2 freigesetzt. Wenn Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden will, muss sich etwas ändern.

Wie treibt die SPD das Thema voran?

Bernhard Daldrup

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernhard Daldrup hat am 29. September in Berlin ein Fachgespräch organisiert, bei dem sich Expert*innen und Branchenvertreter*innen austauschen konnten, wie die Zukunft der Zementindustrie aussehen könne. Entstanden war die Idee für das Treffen bei einem Besuch von Bauministerin Klara Geywitz im westfälischen Beckum, quasi einer Zementhochburg. Die Fraktion sehe sich in der Vermittlerrolle, sagt Daldrup, man wolle die Fachleute vernetzen. Das könne zum Beispiel helfen, damit neu entwickelte Verfahren später nicht durch jahrelange Genehmigungsprozesse blockiert werden. Es sei wichtig, dass alle Seiten früh miteinander kommunizieren, erklärt Daldrup.

„Grüner Zement“ – was ist das überhaupt?

Der Begriff bezeichnet laut Daldrup den Versuch, möglichst viel CO2-Emissionen einzusparen – und zwar bei der Zementproduktion, bei der Verarbeitung und auch beim Recycling oder der Endlagerung des verbrauchten Zements. Das meiste CO2 wird beim Abbau und dem Verbrennungsprozess freigesetzt.

Welche Ansätze gibt es, um bei der Zementproduktion CO2 einzusparen?

Ein Ansatz besteht darin, die herkömmliche Zementproduktion CO2 effizienter zu gestalten. Das kann durch den Einsatz klimafreundliche Energiequellen – also den Verzicht auf Kohle, Öl und Gas – geschehen. Die einzelnen Schritte im Herstellungsprozess lassen sich optimieren und man kann CO2 einfangen und lagern oder es chemisch weiterverarbeiten. Im Fachgespräch der SPD-Bundestagsfraktion haben zwei Unternehmen skizziert, wie CO2-arme Zementwerke ihre Ansicht nach aussehen könnte. Vorgestellt wurden das Werk "Carbon Neutral Alliance" in Rüdersdorf der Firma Cemex und das von der Firma Holcim betriebene „Reallabor Westküste 100“ in Lägerdorf. Beide setzen an zahlreichen unterschiedlichen Stellen an, um den CO2-Verbrauch einzudämmen.

Es gibt aber auch Forschungsprojekte mit dem Ziel, den Energieverbrauch bei der Zementherstellung grundsätzlich zu senken. Zum Beispiel wurde in Karlsruhe das „Celitement“ entwickelt, ein zementartiges Bindemittel. Wie beim klassischen Zement werden auch hierfür Kalkstein und Sand eingesetzt, außerdem Calcium-Hydrosilikate. Der Vorteil: Celitement kann schon mit Temperaturen von 300 Grad Celsius hergestellt werden – also viel klimafreundlicher als herkömmlicher Zement. Noch ist das Produkt aber nicht marktreif. (Der Deutschlandfunk hat das Konzept vorgestellt.)

An der Gutenberg-Universität in Mainz forschen Chemiker an einer Methode zur Herstellung von Zement durch Vermahlen anstelle des umweltschädlichen Brennens von Kalk. Das kann sogar bei Zimmertemperatur funktionieren. Nach Einschätzung der Chemiker ist das Verfahren zwar grundsätzlich geeignet, Zement für großtechnische Prozesse herzustellen, die Entwicklung würde jedoch noch viele Jahre dauern.

Welche anderen Wege gibt es, um CO2 einzusparen?

Der Zement-Einsatz bei Bauprojekten kann reduziert werden, etwa durch die Verwendung von Holz. Ganz werde man am Werkstoff Zement aber nicht vorbeikommen, glaubt Daldrup. Umso wichtiger ist Effizienz.

In der Stadt Beckum hat ein Unternehmer ein „Haus aus dem 3D-Drucker“ realisiert – ein Gebäude mit 140 Quadratmetern, das auch bewohnt wird. Der Rohbau war in weniger als 100 Stunden fertig, inklusive aller Löcher für Wasserleitungen oder Steckdosen. Mit 3D-Druckern für Beton lässt sich nicht nur schnell und seriell bauen, das Verfahren spart auch Material ein.

Hoffnungen liegen auch auf Carbon-Beton. Üblicherweise wird Beton mit Eisen bewehrt. Dieses wird beim Carbon-Beton verzichtbar. Carbon hat eine so hohe Tragfähigkeit und Dichte, dass wesentlich weniger Material nötig ist, um eine Konstruktion stabil zu gestalten. So lassen sich zum Beispiel Brücken viel schmaler bauen als bisher üblich.

Dekarbonisierung lässt sich aber auch durch den Einsatz künstlicher Intelligenz befördern: Ein Berliner Startup (alcemy) hat eine Software entwickelt, die die Zusammensetzung des Betons optimieren soll. Je nachdem, wofür er eingesetzt werden soll, wird ein individuelles Mischverhältnis berechnet. Damit lasse sich der Einsatz von Klinker reduzieren und der CO2-Ausstoß halbieren, wurde auf dem Fachgespräch berichtet.

Warum ist das Thema auch für Städte und Gemeinden wichtig?

Weil sie Nachfrage schaffen können. Für die Zementindustrie sind die neuen Verfahren zunächst mit Mehrkosten verbunden. Das lohnt sich nur, wenn sich für den CO2-ärmeren – und teureren – Zement auch Käufer finden. Bund und Länder können Nachfrager nach einem emissionsarmen Baustoff sein. Vor allem aber kommen hier die Kommunen ins Spiel, die einen Großteil der öffentlichen Investitionen tragen – etwa für Schulen, Rathäuser oder Turnhallen. Bernhard Daldrup fordert: „Wenn es den CO2-armen Zement gibt, dann gehört er auch in die Ausschreibungen.“ Die Kommunen seien schon sehr umweltbewusst, sozial verantwortlich und nachhaltig aufgestellt. „Sie machen heute schon Ausschreibungen, in denen steht, es soll kein Tropenholz verbaut werden und es sollen umweltverträgliche Materialien zum Einsatz kommen. So etwas müsste man sich auch vorstellen für einen CO2-armen Zement“, meint Daldrup.

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