Deutscher Städtetag

So wollen die Städte den „Wettlauf mit den Virusvarianten“ gewinnen

Carl-Friedrich Höck01. Juli 2021
Impfzentren will der Deutsche Städtetag auch für die Zukunft erhalten, weil die Impfungen irgendwann aufgefrischt werden müssen.
Der Deutsche Städtetag mahnt an, das Impftempo noch einmal zu steigern. Erneute Schulschließungen müssten vermieden werden. Der Verband appelliert erneut an Bund und Länder, den Kommunen die Gewerbesteuer-Ausfälle für 2021 und 2022 zu ersetzen.

Die deutschen Städte sehen den Kampf gegen die Corona-Pandemie noch nicht als gewonnen an. „Wir haben noch die Erfahrung des Jahres 2020 in den Knochen“, sagte der Präsident des Deutschen Städtetages Burkhard Jung nach Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss des Verbandes. Auch damals habe man lange gehofft, dass es keine neue Pandemiewelle geben wird.

Zwar sei „eine große Erleichterung spürbar“, weil sich die Situation in fast allen Städten entspannt habe. Doch habe man auch Sorgen aufgrund der Virus-Varianten sowie der Tatsache, dass viele Kinder und Jugendliche noch nicht geimpft werden können. Die Städte schauten aufmerksam nach Portugal, Israel und Großbritannien – dort sind die Infektionszahlen wieder stark gestiegen. „Vielleicht entscheiden wir mit unserem Verhalten jetzt im September nach der Reiserückkehr, ob Weihnachtsmärkte stattfinden“, so Jung.

Impfzentren sollen bleiben

„Wir appellieren an alle: Bitte lassen Sie sich impfen“, betonte der Städtetags-Präsident. Das sei auch eine Frage der Solidarität. Nur mit einer hohen Impfrate könne man im Wettlauf mit den neuen Virusvarianten die Nase vorn haben. Jung plädierte dafür, die Impfzentren noch über einen längeren Zeitraum zu erhalten. Denn die Impfungen müssten aufgefrischt werden – auch wenn die Wissenschaftler*innen sich bisher nicht einig seien, nach welchem Zeitraum. Beispielhaft verwies Jung auf Pflegeheime – dort seien die Bewohner*innen bereits Anfang des Jahres geimpft worden, seitdem seien auch viele neue dazugekommen.

Jung rief den Bund auf, mit Blick auf Reiserückkehrende vorausschauend zu agieren und zum Beispiel Testpflichten und Quarantäneverordnungen schnell an neue Entwicklungen anzupassen. Bei Bedarf würden die Städte auch eine Rückkehr zur Bundesnotbremse mittragen.

Schulen sollen offen bleiben

„Es ist unbedingt zu vermeiden, dass es noch einmal zu Schulschließungen kommt“, sagte Jung. „Kinder brauchen Kinder.“ Hier können die Städte auch selbst etwas leisten, indem sie die Schulgebäude pandemiegerecht herrichten. Im vergangenen Jahr häuften sich die Presseberichte über Schulen, an denen nicht ausreichend stoßgelüftet werden konnte, etwa weil sich Fenster nicht öffnen ließen. Jung sagte dazu, der Zustand der Schulen sei zwar nicht überall befriedigend. Er wisse aber von vielen Kolleg*innen, dass man sich um diese Probleme zuvörderst gekümmert habe.

Grundsätzlich gelte: Man müsse weiterhin lüften, Abstands- und Hygieneregeln einhalten und testen. In Einzelfällen könne auch der Einbau von Luftreinigungsanlagen Sinn machen. Mobile Luftreiniger hält der Städtetag dagegen für ungeeignet: Sie seien laut und wenig effektiv.

Hohe Steuerausfälle: Städte drängen auf Hilfe

Ein weiteres Thema auf der Präsidiumssitzung war die prekäre Finanzlage der Kommunen. Laut Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy fallen die Gewerbesteuer-Einnahmen im laufenden Jahr um sechs Milliarden Euro geringer aus als vor der Pandemie erwartet. Für 2022 rechnet der Städtetag mit Ausfällen von fünf Milliarden Euro. Der Städtetag drängt nun darauf, dass Bund und Länder den Kommunen diese Gewerbesteuerausfälle ersetzen, so wie sie es auch für das Jahr 2020 getan haben. Bis zur Sommerpause haben Bundestag und Bundesrat jedoch keine Entscheidung getroffen.

Insgesamt fehlten den Kommunen 2021 und 2022 wegen Corona sogar 20 Milliarden Euro, erklärte Städtetags-Vizepräsident Markus Lewe. Die Städte müssten deshalb reihenweise Projekte absagen oder auf die lange Bank schieben. „Viele Städte sind gezwungen, bei dringend nötigen Investitionen in Schulen und Kitas zu sparen. Auch die Schuldenberge wachsen wieder.“

Lewe verwies darauf, dass sich allein bei den Schulen ein Investitions-Nachholbedarf von 47 Milliarden Euro angestaut habe. Wenn Kommunen bei den Investitionen sparen müssen, bremse das auch den Wirtschaftsaufschwung in der jeweiligen Region. Statt nach Corona durchzustarten, die Wirtschaft anzukurbeln und kräftig in Klimaschutz und Bildung zu investieren, werde nun in vielen Städten der Rotstift regieren. „Wir schlagen Alarm“, so Lewe. Spätenstens nach der Bundestagswahl müsse der Bund handeln.

Wo der Rotstift bereits angesetzt wird

Der Deutsche Städetag hat in einer Pressemitteilung Beispiele zusammengetragen, in welchen Städten bereits Projekte abgesagt und Investitionen ausgesetzt werden und wo Schulden wachsen. Im Folgenden dokumentieren wir wörtlich einen Auszug aus der Mitteilung des Städtetages:
 
Göttingen: Um zwingend notwendige Investitionen in Kinderbetreuung, Bildung, Öffentlichen Personennahverkehr und Klimaschutz zu realisieren, musste die Stadt mit dem Haushaltsbeschluss 2021 ihren selbst auferlegten Schuldendeckel aussetzen und deutlich höhere Kredite in die Finanzplanung aufnehmen. Das führt zusammen mit den Krediten für laufende Ausgaben in den kommenden Jahren zu höheren Schulden.
 
Hoyerswerda: Die Stadt ist unmittelbar vom Kohleausstieg betroffen. Strukturförderprogramme können nur genutzt werden, wenn es gelingt, ausreichend Eigenmittel aufzubringen. Gerade vor dem Hintergrund der Planung von Projekten für den bevorstehenden Strukturwandel im Lausitzer Revier ist es unverzichtbar, die Finanzierung von Folgekosten aus eigenen Investitionsmaßnahmen im Haushalt nachzuweisen, jedoch erwartet die Stadt für den Doppelhaushalt 2021/2022 ein Defizit.
 
Landeshauptstadt Kiel: Für 2021 wird der Haushalt mit Defizit geplant. Für 2022 zeichnet sich das ebenfalls ab.Investitionen mit Krediten sind deshalb genehmigungspflichtig. Die geplante Kreditaufnahme wurde durch die Kommunalaufsicht gekürzt. Geplante Investitionen sind zum Teil nicht mehr finanzierbar und konkurrieren miteinander, zum Beispiel Kita-Ausbau oder Schulkindbetreuung gegen Klimaschutzmaßnahmen. Sogenannte freiwilligen Leistungen, wie Zuschüsse für Sportvereine, müssen gekürzt werden.
 
Landeshauptstadt Magdeburg: Alle geplanten Projekte, vor allem die Finanzierung von Projekten im Bereich Schulneubau und Schulsozialarbeit, stehen auf dem Prüfstand. Der Beschluss des Stadtrates, in diesem Jahr ein kostenloses Schülerticket einzuführen, kann wegen der Intervention der Kommunalaufsicht nicht umgesetzt werden.
 
Landeshauptstadt München: Die finanzielle Situation hat sich, trotzt bereits frühzeitig vorgenommener Konsolidierungsmaßnahmen, gegenüber den Vorjahren nachdrücklich verschlechtert. Für die Jahre 2021 und 2022 weist die Haushaltsplanung ein deutliches Minus auf. Dieses kann von der Stadt München nicht allein gestemmt werden. Um auch weiterhin handlungsfähig zu bleiben und die wichtigen kommunalen Aufgaben für die Bürgerinnen und Bürger weiterzuführen sind erneute Gewerbesteuerersatzleistungen dringend notwendig. Ohne diese wäre die Stadt dazu gezwungen, weitere drastische Haushaltssicherungsmaßnahmen zu ergreifen, viele Projekte zu verschieben sowie ihre Investitionstätigkeit bis auf die Erfüllung notwendigster Pflichtaufgaben zurückzufahren. Die pandemiebedingte konjunkturelle Entwicklung mit ihren Folgen kann allerdings nur überwunden werden, wenn lokal in eine bessere Zukunft investiert wird.

Quelle: staedtetag.de

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