Jubiläum der Weimarer Verfassung

Die sozialdemokratische Kommunalpolitik feiert 100. Geburtstag

Carl-Friedrich Höck06. Februar 2019
Hufeisensiedlung in Berlin
Hufeisensiedlung in Berlin, gebaut zwischen 1925 und 1933: Sie ist eine Ikone der modernen Architektur und des sozialen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik.
Am 6. Februar trat die Nationalversammlung in Weimar zusammen, um eine neue Verfassung zu schaffen. Damit begann auch eine neue Ära der Kommunalpolitik. Der Einfluss der Sozialdemokratie wuchs – und das hatte Folgen.

Kommunen gelten heute als „Keimzelle der Demokratie“. Doch das war nicht immer so. Die moderne Form der kommunalen Selbstverwaltung entstand nämlich um 1800 und war vor allem in Preußen auch eine Reaktion auf die Besetzung deutscher Gebiete durch Napoleon. Wählen durften zunächst nur die wohlhabenden Bürger. Ab 1849 galt in Preußen ein Dreiklassenwahlrecht. Danach hatten die Stimmen der Oberschicht genauso viel Gewicht wie alle Stimmen aus der „dritten Klasse“, die rund 80 Prozent der Bevölkerung ausmachte.

Neue soziale Ausrichtung

Diese Ungerechtigkeit endete 1919 in Weimar. In der kleinen Stadt in Thüringen kam am 6. Februar 1919 die neugewählte Nationalversammlung zusammen, um eine neue Verfassung zu erarbeiten. Die Weimarer Republik wurde geboren – und mit ihr auch eine neue Ära der Kommunalpolitik.

Denn in dem Moment, in dem die Stimmen aus der Arbeiterschaft (und der Frauen!) gleichberechtigt zum Tragen kamen, übernahmen Sozialdemokraten in vielen Kommunen politische Führungsverantwortung. Natürlich gab es sozialdemokratische Kommunalpolitiker auch vorher schon. Aber erst jetzt konnten sie die Städte und Gemeinden entscheidend prägen. Zugespitzt formuliert: 1919 war das Geburtsjahr der „Kommunalpartei SPD”.

Hinzu kam, dass auch die Reichsverfassung soziale Schwerpunkte setzte, die sich auf die Kommunalpolitik auswirkten. So erhielt jeder Bürger das Recht auf eine „gesunde Wohnung“. In der Folge wurden städtische soziale Wohnungsbauprogramme aufgesetzt, vor allem in den Großstädten. In Berlin entstanden avantgardistische Bauwerke wie die „Hufeisensiedlung“ oder die „Weiße Stadt“. Sie vereinten soziale Ziele mit einer völlig neuartigen, modernen Architektur.

Kommunen waren überfordert

Doch für die Kommunen war die Zeit der Weimarer Republik eine schwierige. Einerseits mussten sie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen eines verlorenen Weltkrieges und mehrerer Wirtschaftskrisen bewältigen. Dies alles ging „mit einer Ausweitung des Leistungsspektrums einher, die gemeinsam mit der chronischen Finanznot der Weimarer Republik sowie einer nicht klar definierten institutionellen Absicherung der Selbstverwaltung im Rahmen der Weimarer Verfassung quasi zur Handlungsunfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung führten“, schreibt Jens Hildebrand (Friedrich-Ebert-Stiftung) in einem Aufsatz zur Kommunalgeschichte. In der Verfassung hieß es zur kommunalen Selbstverwaltung nur allgemein: „Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze.“

Fatal wirkte sich etwa die Reichsfinanzreform Ende 1919, Anfang 1920 aus. Den Kommunen wurde ihr Anteil an der Einkommenssteuer entzogen, womit ihnen ein Drittel ihrer Einnahmen verloren ging. Auch die Weltwirtschaftskrise 1930, die die Arbeitslosenquote in die Höhe schnellen ließ, hatte dramatische Folgen für die Haushaltslage der Kommunen. Dies und die steigenden staatlichen Aufträge mussten die Kommunen auf Dauer überfordern. Damit wurden sie immer abhängiger von Reich und Ländern und büßten ihre Selbstverwaltung schrittweise ein.

Dies machte es den Nazis ab 1933 leicht, die kommunale Selbstverwaltung zu zerschlagen. Die Städte- und Gemeindeverwaltungen wurden nach und nach zu Befehlsempfängern des Regimes.

Und heute?

Heute gibt es längst wieder lebendige, demokratische Kommunen. Und der Staat hat aus den „Fehlern von Weimar“ gelernt; Aufgaben und Rechte der Kommunen sind nun viel genauer definiert. Dennoch warnen Kommunalverbände auch in der Gegenwart immer wieder davor, neue Aufgaben auf die Kommunen zu übertragen, ohne an die Kosten zu denken. Die Bundesregierung trägt ihren Teil dazu bei, dass sich Weimarer Verhältnisse auf kommunaler Ebene nicht wiederholen: Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist das Prinzip „Wer bestellt, bezahlt“ verankert.

 

Lesetipp:
Jens Hildebrandt: „Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung”. In: Informationen zur politischen Bildung, Heft 2/2017.
Das Heft kann auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung kostenlos bestellt oder heruntergeladen werden.

weiterführender Artikel