Verkehrspolitik

Wie eine sozialdemokratische Verkehrspolitik aussehen kann

Benedikt Dittrich10. Februar 2020
Mathias Stein fordert mehr Raum und mehr Rechte für Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen im Stadtverkehr.
Mathias Stein fordert eine neue Verkehrspolitik, die alle vom Fußgänger bis zum Autofahrer gemeinsam in den Blick nimmt. Außerdem müssten Autofahrer mehr an den Kosten beteiligt werden, sagt der Verkehrsexperte.
Herr Stein, im Grunde möchte jede Partei den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) ausbauen, die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland verbessern. Was kann bei der Planung explizit sozialdemokratisch sein?

Sozialdemokratisch ist es, wenn wir eine Verkehrspolitik für alle machen und dabei vor allem die im Auge behalten, die nicht so einkommensstark sind, diejenigen, die hart arbeiten, aber geringe Rücklagen haben. Das ist uns wichtig und das machen wir in der Kommunalpolitik immer wieder deutlich. Es ist natürlich manchmal nicht so einfach, wenn es um Details und Hoffnungen geht.

Welche Details oder Hoffnungen meinen Sie?

Ich habe zum Beispiel im Blick, dass man innerhalb der Städte den Gesamtumweltverbund gemeinsam denkt, also Fuß-, Fahrradverkehr und ÖPNV. Die Stärken der einzelnen Fortbewegungsarten müssen wir besser in den Fokus nehmen.

Müsste dafür der individuelle Autoverkehr eingeschränkt werden?

Da, wo der Raum eng ist, gibt es natürlich immer Auseinandersetzungen. Es ist aber für Sozialdemokrat*innen nicht akzeptabel, wenn Menschen mit Kinderwagen oder im Rollstuhl sich nicht mehr auf dem Gehweg begegnen können, weil dort Autos abgestellt werden dürfen. Deswegen muss die Form der Mobilität neu gedacht werden. Fußgänger- und Fahrradverkehre müssen mehr Rechte und mehr Raum bekommen.

SPD-Bundestagsabgeordneter Mathias Stein ist Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
SPD-Bundestagsabgeordneter Mathias Stein ist Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

Je höher das Einkommen ist, desto größer werden ja oft auch die Autos. Wenn zwei Tonnen schwere Autos mit 400 PS einen 70 Kilo schweren Menschen bewegen, muss man deutlich sagen: Diese Menschen haben kein Anrecht auf einen öffentlich finanzierten Parkplatz in der Innenstadt. Und sie sollten proportional auch viel mehr der Infrastrukturkosten tragen, die sie mit dieser Mobilität verursachen.

Wenn aber jeder Parkplatz in der Innenstadt Geld kostet, trifft das auch Köche und Kellner*innen, die bis in die Nacht arbeiten und ohne Auto nicht mehr nach Haus kommen würden.

Dafür müssen Arbeitgeber*innen stärker in die Pflicht genommen werden und zum Beispiel Fortbewegungsmittel für den Arbeitsweg zur Verfügung zu stellen. Aber Verkehrspolitik muss ganzheitlich gedacht werden, Arbeit und Wohnen sollte näher zusammengebracht werden. Für Kellner*innen in der Großstadt muss es bezahlbaren Wohnraum in der Innenstadt geben, damit für den Arbeitsweg kein Auto notwendig ist. Aktuell machen wir erst die Stadtplanung und im Anschluss soll die Mobilitätsplanung die Probleme der Zersiedelung lösen. Es kann aber nicht sein, dass erst Baugebiete erschlossen werden und erst Jahre später die S- oder U-Bahn-Stationen kommen – oder gar nicht, wenn den Kommunen dafür das Geld fehlt.

Sie sprechen in Ihrem Positionspapier von einem sozialen Mobilitäts-Takt. Was genau soll das sein?

Wir wollen im Grunde gleichwertige Lebensbedingungen, egal wo die Menschen wohnen. Unsere Vision ist es, dass überall alle halbe Stunde etwas fährt, dass alles bis zur europäischen Ebene miteinander verbunden ist. Das ist aufgrund der Deregulierung des Marktes, der Privatisierung im Bahnbereich und der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten schwer. Manche Kommunen können sich einen guten ÖPNV nicht leisten. Wenn wir aber alle Verkehrsträger mit den Kosten belasten, die sie tatsächlich verursachen, können wir in die Soziale-Takt-Mobilität mehr investieren.

Es gibt in ländlichen Regionen ehrenamtliche Projekte wie einen Bürgerbus oder Mitfahrer-Wartebänke, die den Nahverkehr vor Ort ergänzen. Sollten solche Projekte öffentlich unterstützt werden?

Das Individuelle und das Kollektive müssen künftig stärker miteinander verschmelzen. In einem 500-Einwohner-Dorf würden die Busse in einem halbstündlichen Takt leer fahren, da helfen solche Angebote. Wir haben neue Techniken, bei denen man per App mitfahren kann, wir sehen auch große Chancen im autonomen Fahren. Solche Systeme könnten in öffentlicher Hand organisiert werden, um die Zahl der Privat-Pkw zu reduzieren.

Kollidieren zusätzliche Busse und ein engerer Takt nicht mit dem Anspruch, die CO2-Emmissionen im Verkehrssektor zu senken?

Wir streben natürlich an, dass wir den Verkehr auf der Schiene verstärken, der ja deutlich weniger klimaschädlich ist. Der Busverkehr sollte aber auch so klimaneutral wie möglich organisiert werden. Auf autonom fahrende Busse werden wir sicher noch mindestens zehn Jahre warten müssen. Die werden aber den Nahverkehr günstiger machen. Außerdem können Elektro-Busse mit Strom aus Windkraft gespeist werden, was natürlich wesentlich klimafreundlicher sein wird.

Das ist also eine große Hoffnung für die Zukunft.

Klar ist jetzt schon: Elektro-Busse sind weniger komplex, der Strom kann deutlich günstiger sein und die Wartungskosten sind geringer.

Es gibt Vorschläge, Innenstädte in Großstädten komplett für den privaten Autoverkehr zu sperren. Ist das auch für Sozialdemokraten tragbar?

Das sind Aushandlungsprozesse, die vor Ort stattfinden müssen. Das wird große Debatten erzeugen, aber ich finde solche Ideen grundsätzlich sympathisch. Allerdings verhält sich der individuelle Autofahrer nicht immer rational. Es ist ja jetzt schon weder effizient noch umweltgerecht, jede Kurzstrecke in der Stadt mit dem Auto zurückzulegen. Die meisten Autos stehen nur rum, die wertvollen Parkflächen könnten stattdessen besser für Grünflächen oder Fußwege genutzt werden. Ich glaube, man kann mittels Stadtplanung und Bürgerbeteiligung Innenstädte möglichst autofrei gestalten. Das ist auch eine Frage von Umwelt- und Lebensqualität.

Das Interview erscheint mit freundlicher Genehmigung von vorwaerts.de