Kommunalpolitische Konferenz

SPD-Chef Walter-Borjans: „Städte drohen ihren Charakter zu verlieren“

Carl-Friedrich Höck11. Mai 2021
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans auf dem SPD-Parteitag am Wochenende. Tags zuvor hat der SPD-Vorstand ein Positionspapier zu Innenstädten beschlossen.
Die Innenstädte verändern sich nachhaltig und Corona beschleunigt den Prozess. Wie die Politik darauf reagieren muss, war am Dienstag Thema einer Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will die Kommunen beim Strukturwandel unterstützen – nimmt sie aber auch in die Pflicht.

Die SPD wolle die Strukturbrüche der vergangenen Jahre heilen. Das sagt Fraktionschef Rolf Mützenich gleich zu Beginn der „Kommunalpolitischen Konferenz“ der SPD-Bundestagsfraktion am Dienstag. Rund 300 Interessierte sind online zusammenzukommen, um über ein Thema zu reden, das die Städte umtreibt: Die Zukunft der Innenstädte.

„Ein stilles Sterben”

Diese verändern sich – und der Prozess setzte schon vor der Pandemie ein, wie SPD-Chef Norbert Walter-Borjans betont. Corona wirke jedoch wie ein Brandbeschleuniger. Nicht alle Läden, die im Lockdown schließen mussten, würden danach wieder aufmachen können. „Jeder von uns erlebt ein stilles Sterben“, sagt Walter-Borjans. Die SPD habe sich um schnelle Hilfen für die Wirtschaft bemüht – dass die Auszahlung nicht immer optimal laufe, liege auch an den unionsgeführten Ministerien.

Der SPD-Vorsitzende zählt aber auch tieferliegende Gründe auf: explodierende Gewerbemieten, Verdrängung inhabergeführter Läden durch große Filialisten, der zunehmende Online-Handel. Ähnliche Entwicklungen habe man schon erlebt, als die Shopping-Malls aufkamen. Wenn sich die Arbeit vom Büro ins Homeoffice verlagere, betreffe das auch die Gastronomie. Mit den lokalen Geschäften gehe ein Stück Individualität verloren. „Städte drohen einfach ihren Charakter zu verlieren“, meint der Parteivorsitzende.

Die SPD will den Trend stoppen und den Ortskernen neue Impulse geben. Ein aktuelles Positionspapier des Parteivorstandes listet dazu 13 Maßnahmen auf. Eine davon: Die Sozialdemokrat*innen wollen das Gewerbemietrecht stärker regulieren. „Wir reden von einem engen, nicht vermehrbaren Markt an Fläche“, unterstreicht Walter-Borjans.

Scholz fordert kreative Lösungen vor Ort

Der SPD-Kanzlerkandidat und Vizekanzler Olaf Scholz will weiterhin „viel dafür tun, dass die Kommunen funktionieren“. Dazu gehöre eine ausreichende Finanzierung und eine Entlastung von hohen Altschulden. Scholz nimmt aber auch die Bürgermeister*innen in die Pflicht. Es sei viel Kreativität gefordert – oft erlebe er aber, dass Innenstädte fantasielos entwickelt würden.

Screenshot aus der digitalen Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion

Manche Probleme ließen sich auch nur lokal lösen, etwa der Ausbau der Ladestruktur für Elektrofahrzeuge, merkt Scholz an. Hier müsse sich jeder Bürgermeister und jede Bürgermeisterin ein persönliches Ziel setzen, was Monat für Monat zu erreichen ist. „Es wird keinen Bundesplan geben“, sagt Scholz – schließlich kenne der Bund die lokalen Gegebenheiten nicht. Der Bund könne nur die Rahmenbedingungen für die Aktivitäten vor Ort setzen. Das gelte auch für die Städtebauförderung: Die vorhandenen Mittel würden von den Kommunen noch gar nicht vollständig abgeschöpft.

Änderungsbedarf sieht Scholz beim Planungsrecht. Teilweise stehe es dem gewünschten Mix aus Wohnen, Arbeit und Freizeit im Weg. „Wenn ich sage: Zwei Drittel meiner Stadt dürften heute planungsrechtlich nicht mehr entstehen – und zwar die schönen Ecken – dann habe ich ein Problem.“

Mittelalterlicher Marktplatz als Leitidee

Der Präsident des Deutschen Städtetages Burkhard Jung erinnert an die Marktplätze im Mittelalter: „Da geht man hin und begegnet sich“. Die Idee hält er weiterhin für aktuell. Den Online-Handel werde man nicht besiegen können und der Leerstand nehme dramatisch zu. Er sei aber überzeugt, dass Menschen Orte suchen, wo sie anderen Menschen begegnen. Städte könnten in die Lage versetzt werden, einen leerstehenden Karstadt oder Kaufhof anzukaufen, um ihn später in verändertem Zustand an den Markt zurückzugeben. Dort könnten zum Beispiel auch Musik- oder Volkshochschulen angesiedelt werden. Die Digitalisierung biete ebenfalls Chancen. Die kleinen Händler müssten sich zusammenschließen, um Kund*innen mit Online-Monitoring und Ähnlichem in die Innenstadt zu locken.

Auf die Lust an der Begegnung setzt auch Kino-Betreiberin Julia Vesper aus Passau. Es mache wenig Sinn, die Streamingdienste zu verteufeln. Sie glaube an das Konzept Kino, weil dort Menschen aufeinandertreffen.

Wie die Stadt Baunatals die Innenstadt lebendig hält, fasst Bürgermeisterin Silke Engler mit vier Punkten zusammen. Es brauche:

  • einen guten Mix aus Handel und Dienstleistungen, Wohnen und Kultur,
  • attraktiven Freiraum in der Innenstadt, der für alle begehbar ist und barrierefrei ist,
  • Akteur*innen, die mit Herzblut für das Thema Innenstadt unterwegs seien nicht von der Stadt mit Geld geködert werden müssten,
  • eine starke Städtebauförderung – wobei Engler auf die Probleme vieler Kommunen verweist, die nötigen Eigenmittel aufzubringen.

„Thema für Langstreckenläufer”

Monika Fontaine-Kretschmer vom Bundesverband „Die Stadtentwickler“ ergänzt, dass auch bei geförderten Investitionen immer der Blick auf die Gesamtstadt wichtig sei. Mancherorts hätten Kommunen am Stadtrand einen Campus für Studierende oder ein neues Begegnungszentrum geplant – und damit genau die Gruppen aus der Innenstadt herausgeholt, die dann dort fehlen. Geht es nach Fontaine-Kretschmer, dann sollten bei integrierten Handlungskonzepten für die Innenstadt auch private Investitionen stärker berücksichtigt werden. Damit könnten auch kommunale Eigenanteile ersetzt werden, meint sie.

„Nur Innenstädte, die sich wandeln, haben auch eine Chance“, resümiert SPD-Fraktionsvize Sören Bartol zum Abschluss der Konferenz. Diese Aufgabe könnten die Kommunen nicht alleine stemmen. Und es sei ein Thema „für Langstreckenläufer“.

 

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Das Positionspapier der SPD haben wir hier zusammengefasst.

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