Rezension „Stadt, Land, Frust“

Wie die Stadt-Land-Kluft die Politik prägt

Carl-Friedrich Höck25. April 2022
Cover Stadt Land Frust
Cover "Stadt Land Frust"
Der politische Gegensatz zwischen großen Städten und ländlichem Raum nimmt zu. Die Gründe analysiert der Politikwissenschaftler Lukas Haffert in seinem neuen Buch. Es bietet Erklärungen, keine Lösungen.

Der Stadt-Land-Gegensatz sei in den vergangenen Jahren „mit Macht auf die politische Bühne zurückgekehrt“. Das schreibt der in Zürich lehrende Ökonom und Politikwissenschaftler Lukas Haffert. Die Einstellungen der Menschen zu politischen und gesellschaftlichen Themen seien in den Großstadtzentren andere als in der Peripherie. Das lasse sich auch an den Wahlergebnissen ablesen.

Zwei politische Pole

In seinem Buch „Stadt, Land, Frust“ versucht sich Haffert an einer „politischen Vermessung“ dieses Phänomens. Als politische Pole des Stadt-Land-Gegensatzes macht er die AfD und die Grünen aus. Während die rechtspopulistische Partei ihre Wählerschaft vornehmlich in weniger dicht besiedelten Gebieten rekrutiert, gewinnen die Grünen ihre Stimmen im urbanen Milieu. Sie seien ein „städtisches Phänomen“, meint Haffert.

Die These unterlegt er unter anderem mit Zahlen der Künstlersozialkasse (KSK) – dort sind selbständige Musiker, Schauspielerinnen und andere Künstlerinnen und Künstler versichert. Der Autor geht davon aus, dass die KSK-Versicherten typischerweise in urbanen und hoch verdichteten Vierteln leben, mit vielen Bars und Kultureinrichtungen und gut ausgebautem ÖPNV. Seine Analyse zeigt: Je höher der Anteil der KSK-Versicherten in einem Bundestagswahlkreis, desto besser schneiden die Grünen ab – und umso niedriger fallen die Stimmenanteile der AfD aus.

Berliner Politikblase?

Im Stadt-Land-Gegensatz bündeln sich „grundlegende ökonomische und kulturelle Wandlungsprozesse, die in allen westlichen Gesellschaften stattfinden”, schreibt Haffert. Im ländlichen Raum werde er bewusster wahrgenommen, weil die Menschen hier häufiger den Eindruck haben, von der Berliner Politik vernachlässigt zu werden. Das sieht Haffert auch selbst so und benennt dafür Gründe. Menschen mit urbanen Biografien seien im Bundestag überrepräsentiert, macht er deutlich. Und das Personal in den Abgeordnetenbüros und Ministerin setze sich hauptsächlich aus Großstadtbewohner*innen zusammen. Das beeinflusse, welche Themen im Berliner Politikbetrieb als besonders wichtig wahrgenommen werden. Zugleich sieht Haffert in städtischen und ländlichen Identitäten politisches Mobilisierungspotenzial.

Der Autor will die Stadt-Land-Gegensätze sozialwissenschaftlich deuten. Er verzichtet bewusst darauf, eine politische Lösung zu präsentieren, um die wachsende Kluft wieder zu schließen. Haffert argumentiert: Soziale Prozesse lassen sich zwar erklären, aber nicht ohne weiteres umkehren. Zudem verweist er darauf, dass der Stadt-Land-Konflikt in vielen Ländern längst stärker ausgeprägt ist – Deutschland sich also eher in einem Prozess der Normalisierung befinde. Dasselbe gelte für das zersplitternde Parteiensystem und die Existenz einer rechtspopulistischen Partei. Unproblematisch sei die Entwicklung aber dennoch nicht, stellt er klar.

Hafferts Buch ist also keine Bedienungsanleitung für Politiker*innen, aber eine aufschlussreiche Analyse.

Sebastian Haffert
Stadt Land Frust.
Eine politische Vermessung
C.H. Beck-Verlag 2022, 190 Seiten,
14,95 Euro, ISBN 978-3-406-78249-7

 

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