Jahresbilanz

Städte- und Gemeindebund: „Kommunen sind an ihre Leistungsgrenzen gekommen“

Carl-Friedrich Höck05. Januar 2021
Ralph Spiegler ist Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm und Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund zieht eine Bilanz aus dem Corona-Jahr 2020 und gibt einen Ausblick, was in den nächsten zwölf Monate wichtig wird. Demnach stehen die Kommunen vor großen Aufgaben, nicht nur wegen der Corona-Pandemie.

Der Jahreswechsel ist von Traditionen geprägt: Zu Silvester stehen (meistens) Feuerwerk und „Dinner for One“ auf dem Programm. Und Anfang Januar gibt der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) eine Pressekonferenz. Dabei zieht der kommunale Spitzenverband ein Resümee aus den zurückliegenden zwölf Monaten.

Diese waren maßgeblich von der Corona-Pandemie geprägt. DStGB-Präsident Ralph Spiegler und Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg nutzten die Veranstaltung aber auch, um weitere Themen zu setzen. Im Folgenden ein Überblick.

Corona-Pandemie

Von einer „Renaissance der kommunalen Selbstverwaltung“ sprach DStGB-Präsident Spiegler. Der Staat habe die Krise gut gemanagt. Auch die Kommunen hätten ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Eine Forsa-Umfrage belege, dass das Vertrauen in die Kommunen gestiegen sei. Laut dieser haben 58 Prozent der Deutschen großes Vertrauen in die Kommunen und die dort Verantwortlichen. Gleichwohl seien im vergangenen Jahr aber auch leistungsfähige Kommunen an ihre Grenzen gekommen.

Der Impf-Start in Senioreneinrichtungen habe „sehr gut funktioniert“, meint Spiegler. Es sei aber noch ein weiter Weg zu gehen. Eine Verlängerung des Lockdowns sei daher „weitestgehend alternativlos“. Und es müsse darüber geredet werden, wie man mit Lockdowns und Lockerungen umgehen soll.

Die Umstellung aufs Homeoffice hält Spiegler für geglückt. Die Städte und Gemeinden „waren relativ schnell in der Lage online zu arbeiten, mit Videokonferenzen.“ Die Verwaltung sei nicht unflexibel. Trotz der guten Erfahrungen arbeite der Großteil der Mitarbeiter*innen aber lieber im Rathaus.

Kommunale Finanzkraft

Deutschland stecke wirtschaftlich in der tiefsten Krise seit der Nachkriegszeit, so Spiegler. „Wir haben erstmals seit 13 Jahren einen Rücklauf der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten“. Die Finanzkraft der Kommunen sei massiv eingebrochen. „Ungemein geholfen“ habe das Corona-Hilfspaket des Bundes: Gemeinsam mit den Ländern hat er den Wegfall der Gewerbesteuer zu 100 Prozent ersetzt. Mehr Geld gab es auch für die Gesundheitsämter und für den Regionalverkehr.

Spiegler forderte zugleich: „Wir brauchen ein zweites Hilfspaket“. Denn es müsse mit weiteren milliardenschweren Steuerausfällen gerechnet werden. Schon mit der Steuerschätzung vom November 2020 – also vor dem erneuten harten Lockdown – hätten sich Mindereinnahmen von neun Milliarden Euro abgezeichnet. Neben der Gewerbesteuer müsse auch die Einkommenssteuer in den Blick genommen werden. Im ländlichen Raum sei diese für die kommunalen Kassen sogar noch wichtiger als die Gewerbesteuer.

Spiegler bedauerte, dass die von Finanzminister Olaf Scholz geplante Altschuldenhilfe für Kommunen nicht Teil des Corona-Hilfspaketes war. „Das wurde wegverhandelt“, so der DStGB-Präsident. Ohne eine Entschuldung der Kommunen bleibe aber deren Handlungsfähigkeit beschränkt. Damit sei auch das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse gefährdet. Der kommunale Spitzenverband befürchtet, dass die Corona-Krise die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen sogar noch vergrößern könnte. Hauptgeschäftsführer Landsberg merkte dazu an: „Die neue Bundesregierung wird einen Kassensturz machen: Was hat Corona gekostet und wie regeln wir das? Vielleicht ist das eine Chance, das Thema nochmal anzugehen.“

Was 2021 wichtig wird

Gerd Landsberg

„Wir haben nicht den Impfstoff gegen den Klimawandel“, sagte Landsberg. Das Thema werde 2021 wieder ganz nach oben rücken. In den Städten sei es viel zu heiß. Sie bräuchten mehr Grün, mehr Schatten und neue Bauweisen. Landsberg kritisierte eine „starke Verrechtlichung beim Klimaschutz“. Es mache wenig Sinn, wenn eine Ausgleichsfläche geschaffen werden müsse, nur damit auf einem Grünstreifen ein Radweg gebaut werden darf.

Damit sich die Bürger*innen in den Innenstädten wohlfühlen, müsse zudem verhindert werden, dass die Geschäfte leer stehen. „Jeder Ortskern ist letztlich die Visitenkarte“, kommentierte der DStGB-Hauptgeschäftsführer. Der kommunale Spitzenverband befürworte eine Produktversandsteuer. Denn wer ein Paket versende, benutze die bestehende Infrastruktur, etwa Straßen. Gleichzeitig würden Unternehmen wie Amazon vor Ort aber keine Gewerbesteuer entrichten.

Reform-Pause?

Spiegler und Landsberg warnen davor, neue und kostenintensive Versprechen zu formulieren. Man müsse sich eingestehen, dass die Corona-Krise den Staat finanziell dauerhaft und nachhaltig ärmer gemacht habe. Wenn die Politik neue Rechtsansprüche formuliere, gehe das häufig auf Kosten der Kommunen. „Der Staat kann nicht alles leisten“, sagte Spiegler. Es müsse jetzt zuerst darum gehen, die Handlungsfähigkeit des Staates zu sichern. Zweitens müsse in die Infrastruktur investiert werden. Und dann erst könne man neue Standards definieren, „die auch wieder finanziert werden müssen“.

Spiegler und Landsberg nannten als Beispiele: „Der Rechtsanspruch auf kostenlose Ganztagsbetreuung in der Schule, der Rechtsanspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, ein unbegrenzter Anspruch auf Homeoffice, ein Rechtsanspruch auf Internetanschluss bis zur letzten Milchkanne – alles richtige Forderungen, die aber nicht von heute auf morgen erfüllbar sein werden“.

 

Mehr Informationen:
DStGB-Broschüre „Bilanz 2020 und Ausblick 2021” (PDF)

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