Flüchtlingspolitik

Warum Städte weiterhin nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen dürfen

Karin Billanitsch23. Oktober 2020
Nach dem Brand in Moria im September gab es bundesweit Demonstrationen für eine Evakuierung der Menschen aus den Lagern auf den griechischen Inseln. Im Rahmen der Initiative Seebrücke sind rund 200 Städte als „Sichere Häfen“ zusammengeschlossen.
In einer Videokonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten Oberbürgermeister betont, dass die Kommunen der Initiative „Seebrücke“ Menschen in Not helfen wollen. Doch die Kanzlerin will weiter auf eine europäische Lösung setzen.

Es sind nun bereits mehr als 200 Städte aus ganz Deutschland, die signalisiert haben, Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Allerdings ist die Hilfsbereitschaft der Kommunen bisher von der Bundesregierung nicht angenommen worden. Auch nach einer Videokonferenz der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit betroffenen Oberbürgermeistern und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände vor wenigen Tagen hat sich daran nichts geändert.

„Meiner Meinung nach ist es definitiv ein Skandal, dass es bei dem Treffen kein Ergebnis gab und dass weiterhin alle Hilfsangebote und die Solidarität der Kommunen von der Bundesregierung ignoriert werden“, sagt Sebastian Koch von der Seebrücke im Gespräch. Hier sind die Städte zum Bündnis „Sichere Häfen“ zusammengeschlossen. Seit zwei Jahren gibt es das Bündnis schon. Er zeigt sich erstaunt, dass es gar kein Signal gab: „Ich hätte nicht gedacht, dass das Gespräch so ergebnislos verläuft.“ Die Städte dürfen also auch weiterhin nicht mehr Menschen als geplant aus den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern auf Lesbos oder Samos aufnehmen. Dabei sind die Zustände „schlimmer als je zuvor“, wie tagesschau.de berichtet.

Jung: Aufnahmewillige Städte sollen bei der Verteilung der Flüchtlinge berücksichtigt werden

Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, lobte indes die Bereitschaft der Bundeskanzlerin, über die Flüchtlingssituation in Griechenland zu sprechen und nannte den Beschuss vom September, rund 1550 Flüchtlingen Schutz zu bieten, „ein Zeichen der Menschlichkeit“. Die Bundeskanzlerin dankte den Oberbürgermeistern auch für ihre Hilfsangebote – aber sie machte laut Jung deutlich, dass sie nach ihrer Entscheidung aus dem September im nächsten Schritt auf europäische Lösungen setzt.

Es sei auch besprochen worden, dass „bei der Verteilung der aus Griechenland zu uns nach Deutschland kommenden Flüchtlinge besonders die Städte berücksichtigt werden sollten, die ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt haben.“ Die Bundeskanzlerin gehe davon aus, dass die Länder besonders auf diese Städte bei der Verteilung der Flüchtlinge zukommen werden.

Thomas Geisel (SPD), Düsseldorfer Oberbürgermeister kommentierte das im WDR: „Es besteht bei der Kanzlerin vor allem das Bestreben, hier einheitlich europäische Regelungen anzustreben oder jedenfalls dadurch gewissermaßen die anderen nicht vom Haken zu lassen."

„Akt der Humanität“

Der Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Christoph Landscheidt, Bürgermeister der Stadt Kamp-Lintfort stellte gegenüber Kritikern klar, niemand wolle die Flüchtlings- oder die Migrationspolitik regionalisieren oder kommunalisieren. Dies sei rechtlich nicht möglich und an der Bundeszuständigkeit sollte sich auch nichts ändern. Den Städten und Gemeinden gehe es primär um ein Signal als Akt der Humanität.

„Wir wissen, dass die Aufnahme einiger weniger besonders betroffener Flüchtlinge, insbesondere unbegleiteter Kinder und Jugendlicher, Kranker oder Verletzter, letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist und das europäische Migrationsproblem nicht löst. Aber diese Signale der Humanität kann und sollte der Bund in seiner Zuständigkeit und in Abstimmung mit den Ländern den aufnahmebereiten Städten und Gemeinden möglichst zeitnah ermöglichen, appellierte Landscheidt.

Appell an SPD: „Weiter Druck machen“

Sebastian Koch von der Seebrücke hofft gleichwohl noch darauf, dass sich die Bundesregierung bewegt und appelliert an die SPD, weiter Druck zu machen: „Wir wären natürlich froh, wenn es von der SPD im Bundestag mehr Druck und eine klare Positionierung gäbe“. Vor allem auf Druck der SPD kam es zu dem Beschluss im September, 1.500 Geflüchtete aufzunehmen. Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben auch in einem Brief an ihre Amtskolleg*innen in der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) appelliert, weitere Geflüchtete aufzunehmen.

Esken kritisiert Seehofer

Im Vorfeld des Videogesprächs hatte Esken in der Zeitung „Die Welt“ eine stärkere Beteiligung der Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen gefordert. Die Problemlage sei seit Monaten bekannt, so Esken. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) „stellt sich diesen Bestrebungen bewusst in den Weg und blockiert so die Aufnahme von Schutzbedürftigen“.

Rechtlich sieht sich für die Aufnahme von Flüchtlingen das Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer (CSU) als zuständig. Esken betonte auch, dass zumindest das beschlossene Kontingent nun zügig umgesetzt werden müsse, bevor der Winter in den Lagern Einzug halte. Unterdessen sind übereinstimmenden Medienberichten zufolge am gestrigen Donnerstag rund 100 Migranten aus Griechenland in Hannover gelandet.

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