Interview zum Thema Verkehrssicherheit

Wie Straßen gut und sicher gestaltet werden können

Carl-Friedrich Höck31. Juli 2017
Bushaltestelle „Chlodwigplatz“ in Köln
Eines der Beispiele: die Bushaltestelle „Chlodwigplatz“ in Köln. Foto: Karl Heinz Schäfer, TH Köln
Was macht eine sichere und gut gestaltete Straße aus? Der Verkehrssicherheitsrat ist der Frage nachgegangen und hat sieben Beispiele gesammelt. Im Interview erklärt Professor Karl-Heinz-Schäfer, einer der Autoren der Sammlung, worauf es bei der Straßengestaltung ankommt.

Warum hat der Deutsche Verkehrssicherheitsrat eine Beispielsammlung zur Gestaltung von Straßen erstellt?

Der DVR befasst sich seit vielen Jahren mit Verkehrssicherheit. Er tritt dabei insbesondere für die Belange der schwächeren Verkehrsteilnehmenden ein: für Kinder, ältere und alte Menschen, Zufußgehende, Radfahrende, aber auch generell für in ihrer Mobilität beeinträchtigte Menschen. Im innerörtlichen Straßenverkehr haben wir es dabei gleichzeitig mit den am stärksten gefährdeten und bei Verkehrsunfällen besonders häufig schwer Verletzten und Getöteten zu tun. Individuelles Fehlverhalten ist hier nur eine Seite der Medaille. Der DVR hat auf diesem Gebiet bisher einen besonderen Schwerpunkt und viele wirksame Ansätze zur Erhöhung der Verkehrssicherheit entwickelt.

Verkehrsverhalten wird aber auch durch die Gestaltung der Verkehrsanlagen beeinflusst. Daher liegt es nahe, sich künftig auch mit der Frage auseinandersetzen, ob und wie innerörtliche Straßen vor allem für die genannten Risikogruppen sicherer gestaltet werden können. Damit wird gleichzeitig ein Anliegen von kommunaler Seite aufgegriffen, diese auch bei der infrastrukturellen Verkehrssicherheitsarbeit – der baulichen Gestaltung von Straßen und Verkehrsanlagen – zu unterstützen.

Der DVR will zeigen, „wie ein ernsthaftes Bemühen um Funktion, Gestaltung und Sicherheit zu einer Verbesserung der Unfallbilanz und zu einem gern genutzten Lebens- und Verkehrsraum führen kann.” Was macht eine sichere Straße aus?

Karl Heinz Schäfer
Karl Heinz Schäfer ist Professor am Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser der TH Köln. Foto: TH Köln/privat

Was eine sichere Straße ausmacht, darüber streiten sich die Geister. Wenn Sie Verkehrsteilnehmende befragen, dann werden Sie allem voran die Forderung nach einer deutlichen Trennung der Verkehrsflächen für Zufußgehende, Radfahrende, Autofahrende, Linienbus und Stadtbahn, Wartende an den Haltestellen usw. zu hören bekommen. Und natürlich sollen alle diese Verkehrsflächen auch ausreichend breit und ungestört benutzbar sein.

Ampeln werden von vielen als sicherer wahrgenommen als zum Beispiel Zebrastreifen oder Kreisverkehre. Fußgänger und Fußgängerinnen erleben sich stark gefährdet durch Radfahrende auf dem Radweg direkt neben ihnen und erst recht auf gemeinsamen Flächen. Radfahrende fühlen sich auf dem Schutzstreifen auf der Fahrbahn besonders unsicher. Autofahrende wünschen sich die Fahrbahn ganz ohne Radverkehr und möglichst viel Platz zum Parken. Und so weiter.

Die objektiven Verkehrssicherheitserkenntnisse sagen diesbezüglich oft etwas anderes. Und die real vorhandenen, beengten Platzverhältnisse zwingen innerorts meist zu Kompromisslösungen, die in der Vergangenheit oft zulasten der oben genannten Schwächeren ausgelegt wurden. Im Vordergrund stand der Autoverkehr. Ich würde es daher so ausdrücken: Eine Straße ist dann besonders sicher, wenn ihre Gestaltung allen Verkehrsteilnehmenden ein hohes Maß an Verhaltenssicherheit gibt, wenn sie eine gute Übersicht und Sicht aufeinander gewährt und gleichwohl die Aufmerksamkeit aller hoch hält. Wenn es dabei dazu kommt, das sich die Geschwindigkeit und Hektik im Straßenverkehr wirksam verringert, dann ist für die Verkehrssicherheit am meisten gewonnen.

Natürlich muss die Verkehrsführung funktionieren und die Straße soll sicher sein. Aber was ist darüber hinaus mit einer „guten Gestaltung” gemeint und warum ist sie wichtig?

Innerörtliche Straßen sind nicht nur zum Fahren, Parken und Gehen da. Über ihre Bedeutung als Verkehrsweg hinaus haben sie meist auch eine wichtige soziale und städtebauliche Funktion: Sie prägen den öffentlichen Raum und beeinflussen unmittelbar dessen Nutzung und Erleben durch die Menschen, die hier wohnen, arbeiten, zur Schule gehen, einkaufen, sich aufhalten. Eine gute Gestaltung zeichnet sich also dadurch aus, dass sie auch die nicht verkehrlichen Ansprüche an den Straßenraum berücksichtigt. Wenn Menschen sich in einer Straße wohl fühlen, wenn sie die Straße irgendwie „schön” und den Aufenthalt „angenehm” finden, wenn sie sie als „meine Straße” vereinnahmen, wenn sie sogar als Durchfahrende aufmerksam werden auf das besondere Umfeld und entsprechend vorsichtiger werden, dann ist die Gestaltung aus meiner Sicht besonders gut gelungen.

Welches Beispiel aus der vorgelegten Sammlung hat es Ihnen besonders angetan? Können Sie es kurz schildern?

Die sieben bisher von uns dokumentierten Beispiele sind keineswegs das Ergebnis eines breit angelegten Rankings. Wir haben sie ausgewählt, weil sie uns mehr oder weniger zufällig bekannt waren oder „auf Zuruf” wurden und weil sie uns für das zu vermittelnde Anliegen geeignet erschienen. Mir gefallen alle Beispiele gut, und zwar – dies will ich nochmals betonen – obwohl sie jeweils einige Kompromisse hinsichtlich ihrer Gestaltung, Funktionalität und auch Verkehrssicherheitswirkung aufweisen. Sie sind eben nicht „Best Practise”, sondern einfach nur in gewissem Maße vorbildlich für viele andere kommunale Neubau- und Umgestaltungsvorhaben.

Besonders gut gefällt mir persönlich das Beispiel der Hauptstraße in Wehr. Es handelt sich um eine kleinstädtische Geschäftsstraße mit relativ engem Straßenraum. Hier wurde anfangs lange mit breiter Beteiligung um den letztlich realisierten Entwurf gerungen. Etliche blieben bis zur Fertigstellung skeptisch, die meisten identifizieren sich mittlerweile mit „ihrer” Hauptstraße. Das Parken wurde zugunsten wichtigerer Nutzungen an andere Stellen verlagert. Und auch eine spätere „Nachbesserung” der Gestaltung wurde ganz im Sinne der ursprünglichen Idee umgesetzt.

Das ist übrigens auch ein Grund für die neue Beispielsammlung: Sie soll allen an innerörtlichen Straßenplanungen Beteiligten Mut machen, die vielfältigen Ansprüche und Erwartungen an die neue Straße ernsthaft miteinander zu verhandeln und dabei auch Mut zu ungewohnten Lösungen zu entwickeln.

Sieben Praxisbeispiele wurden bisher dokumentiert, weitere sollen folgen. Wie läuft das ab, sind schon weitere Schritte in Planung?

Wir sichten gerade weitere uns bereits vorliegende Beispiele gut gestalteter Straßen und haben einige auch schon in der engeren Wahl. Acht bis zehn Beispiele wollen wir im Laufe des nächsten Jahres insgesamt dokumentieren. Ein besonderes Augenmerk wollen wir dabei auf neu gestaltete Ortsdurchfahrten von Bundes- und Landesstraßen in Kleinstädten und Dörfern legen. Hierzu suchen wir noch positive Beispiele und natürlich Planungsverwaltungen und -büros, die uns für die Dokumentation geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen bereit sind. Von Letzterem hängt es vor allem ab, wann die nächste "Ergänzungslieferung" möglich sein wird.

Beispielsammlung „Gute Straßen in Stadt und Dorf“

Mit der Beispielsammlung „Gute Straßen in Stadt und Dorf“ will der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) aufzeigen, „wie ein ernsthaftes Bemühen um Funktion, Gestaltung und Sicherheit zu einer Verbesserung der Unfallbilanz und zu einem gern genutzten Lebens- und Verkehrsraum führen kann“.

Unter www.dvr.de/gutestrassen werden sieben Praxisfälle dargestellt. Die Beispiele können als PDF heruntergeladen werden.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat ist ein 1969 gegründeter Verein. Er versteht sich als „unabhängiger Vorreiter und Kompetenzträger in allen Belangen der Straßenverkehrssicherheit.“ (Quelle: www.dvr.de) Die Aufgabe des Vereins ist die Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer. Zu den rund 200 Mitgliedern und Geldgebern zählen unter anderem die Verkehrsministerien von Bund und Ländern, Versicherungen und Berufsgenossenschaften, lokale Gliederungen von ADAC und ADFC oder das Technische Hilfswerk.

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