Studie zu Integration

Studie der Bosch-Stiftung: So gelingt Integration vor Ort

Markus Hüttmann 29. November 2017
Flüchtlinge arbeiten in der Übungswerkstatt fuer Handwerksausbildung der Handwerkskammer Berlin: Individuelle Bedürfnisse müssten bei der Integration berücksichtigt werden, sagen Studienautoren.
Ob am Stammtisch oder in der hohen Politik: Die Themen Flüchtlinge, Einwanderung und Integration erregen in Deutschland nach wie vor die Gemüter. Die Ergebnisse einer neuen Studie zeigen nun, dass Grund zu Optimismus besteht – wenn die Politik richtig handelt.

Die Zahlen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Nach neuesten Egrebnissen des ZDF-Politbarometers halten 44 Prozent der Deutschen die Flüchtlingsthematik weiterhin für das drängendste Problem in Deutschland. Rente (19 Prozent), Umwelt (13 Prozent) und soziale Ungleichheit (11 Prozent) bleiben abgeschlagen zurück. Die Themen Obergrenze und Familiennachzug für Flüchtlinge gehörten auch in den Sondierungsgesprächen der Jamaika-Parteien zu den größten Streitpunkten. Dass die Anzahl der gestellten Asylanträge nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 75 Prozent zurückgingen, scheint dabei keine Rolle zu spielen.

Oft mangelt es in der Debatte an belastbaren Fakten. Die liefert nun aktuell eine neue Studie der Robert Bosch Stiftung und des Forschungsbereichs im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR): Die Forscher wollten das Thema Integration aus der Perspektive der Flüchtlinge selbst ausleuchten und damit wertvolle Erkenntnisse darüber sammeln, wie Integration vor Ort gelingen kann. Denn die Perspektive von Flüchtlingen käme in der öffentlichen Diskussion und der Forschung oft zu kurz, ihre individuellen Erfahrungen wichen stark voneinander ab, sagt Ottilie Bälz von der Robert Bosch Stiftung: „Den Flüchtling gibt es nicht.“

Integration ins Gemeindeleben ist ein Muss

Aus den 62 geführten Interviews mit Geflüchteten konnten die Wissenschaftler einige klare Tendenzen ableiten: Die allermeisten der neu angekommenen Flüchtlinge seien motiviert und wollten sowohl möglichst schnell arbeiten, als auch sich qualifizieren und weiterbilden. „Um dieses Spannungsfeld aufzulösen, braucht es flexible Strukturen“, sagt Jan Schneider, Leiter des SVR-Forschungsbereichs, und fordert: Staatliche Maßnahmen zur Förderung von Arbeit, Ausbildung und Teilhabe müssten sich den individuellen Lebenslagen der Flüchtlinge anpassen. Sehr wichtig seien außerdem gerade in kleineren Städten und Gemeinden positive zwischenmenschliche Kontakte von Flüchtlingen und Bevölkerung. Wenn das klappe, so Schneider, könne Landflucht von Flüchtlingen in große Städte vermieden werden: Grundsätzlich sei mit entsprechenden Voraussetzungen „in jedem kleinen Weiler“ funktionierende Integration möglich - die Kommunen seien letztlich der „Motor der gesellschaftlichen Teilhabe von Flüchtlingen“

Aussetzung des Familiennachzugs erschwert Integration

Was heißt das konkret für die Bundespolitik? Die Forscher üben deutliche Kritik an der Politik der noch amtierenden Bundesregierung und an dem flüchtlingspolitischen Hickhack im Rahmen der Sondierungen: Neben der Ausweitung der Residenzpflicht sei vor allem die Aussetzung des Familiennachzugs bis vorerst März 2018 „integrationspolitisch nicht sinnvoll“: Die emotionale Belastung der Geflüchteten durch die Trennung von ihren Familien könne die Integration erheblich erschweren. Ebenso unsinnig und eine „Rolle rückwärts“ sei die Ungleichbehandlung von Flüchtlingen anhand ihrer Bleibeperspektive: Die Autoren der Studie empfehlen dringend die Angleichung und Beschleunigung der Aufnahme- und Verfahrensstandards von Flüchtlingen mit mittlerer und guter Bleibeperspektive. Denn ewige Unsicherheit über den langfristigen Aufenthalt in Deutschland wirke sich extrem negativ auf die Integration aus.

Die Verteilung der Flüchtlinge im Land müsse sich in Zukunft stärker nach deren individuellen Bedürfnissen statt nach dem bisher gebräuchlichen Königssteiner Schlüssel richten, fordern die Forscher: Wer sein vor der Flucht begonnenes Studium fortsetzen will, sei in einer Stadt oder Gemeinde ohne Hochschule falsch aufgehoben. Vor Ort brauche es Angebote für den Austausch zwischen Flüchtlingen und Bevölkerung auf Augenhöhe.

Studie soll „Vielfalt“ der Flüchtlinge im Land abbilden

Was die Ergebnisse der Studie auch zeigen: Während einige Befragten sehr belastende Erfahrungen mit Diskriminierungen gemacht hätten, habe die große Mehrzahl von sehr positiven Erfahrungen berichtet. Aber haben die Teilnehmer möglicherweise nur solche Antworten gegeben, von denen sie glauben, dass sie bei den Interviewern gut ankommen?

Die Wissenschaftler verneinen das: Um eine solche, „Soziale Erwünschtheit“ genannte Verfälschung der Ergebnisse zu vermeiden, werde immer versucht, ein Vertrauensverhältnis zum Befragten aufzubauen. Die 62 Gespräche wurden vor allem mit Syrern, aber auch Afghanen, Somaliern und Albanern geführt. In ausführlichen, auf Leitfäden gestützten Interviews räumten sie den Geflüchteten viel Zeit ein, um darüber zu sprechen, was sie bewegt. Die Befragungen sind dabei nicht im Sinne einer statistischen Erhebung repräsentativ. Die Studie bilde aber sehr wohl, sagen die Autoren, die große „Vielfalt“ von Flüchtlingen in Deutschland ab