Strategien gegen rechts

Suche nach der roten Linie und neuen Strategien

15. Mai 2017
Ein Anhänger der Pegida-Bewegung fährt mit Deutschland-Fahne über den Altmarkt in Dresden.
Wie Städte, Kreise und Gemeinden bei Problemen mit Rechtsextremen und erstarkendem Rechtspopulismus umgehen.

Eines Tages klingelte bei Nadine ­Julitz das Telefon. Ein Beamter des Staatsschutzes bat die heutige SPD-Abgeordnete des Landtages Mecklenburg-Vorpommern um ein Gespräch. Ihr Bild und ihr Name seien auf rechten Internetseiten aufgetaucht. Damit hatte die junge Frau nach eigener Aussage nicht gerechnet, im Gegenteil. „Ich war geschockt“, sagt sie rückblickend. Was war geschehen? Julitz – bei der Kommunalwahl am 25. Mai 2014 gerade in die Stadtvertretung von Waren gewählt worden – hatte zusammen mit anderen gegen einen Aufmarsch der NPD am 8. Mai in Demmin demonstriert. Dort stand Julitz im „Storch Heinar“-T-Shirt und mit Flagge in der ersten Reihe der Demons­tranten. Dabei sei sie fotografiert worden. Doch sich wegzuducken kommt für Julitz nicht in Frage. Dies gilt für sie als Landtagsabgeordnete, vor allem aber für ihre kommunalpolitischen Aktivitäten. „Ich bin meistens die, die Gegendemos anmeldet“, sagt die SPD-Frau. Gerade in Kommunen sei es angesichts des vermehrten Einzugs rechtspopulistischer Vertreter in die Gremien wichtig, Haltung zu zeigen. Doch eine Strategie zu finden sei „schwer“, weiß Julitz. Auch gegen ihren sächsischen Kollegen, den Landtagsabgeordneten und Stadtrat von Döbeln, Henning Homann, versucht die AfD, Stimmung zu machen. Homann unterstützt den Verein Treibhaus in Döbeln. Was der AfD vor Ort gegen den Strich gehe, sei das Etablieren einer Willkommenskultur, so Homann. Einerseits, so die bisherigen Erfahrungen, müssen die Sozialdemokraten sich in Räten und Ausschüssen positionieren. Doch sich mit anderen Parteien gemeinsam gegen die Rechtspopulisten zu stellen, ist so eine Sache. Denn die ziehen nicht immer mit.

Suche nach der gemeinsamen Linie

Davon kann Patrick Herrmann, Geschäftsführer der Kasseler SPD-Stadtratsfraktion, ein Lied singen. Seit den Kommunalwahlen am 6. März ist die AfD mit elf Prozent beziehungsweise neun Mitgliedern viertstärkste Fraktion im Stadtrat – hinter SPD, CDU und Grünen. Auch gut zwei Monate nach dem Einzug suchten die Ratsfraktionen „links von der AfD“ noch immer eine gemeinsame Linie. So solle etwa nur ein Vertreter für alle ­Parteien zu AfD-Anträgen sprechen. „Jedoch“, sagt der SPD-Fraktionsgeschäftsführer: „Das klappt noch nicht so gut.“ Die neun AfD-Ratsmitglieder sind nach Auskunft von Herrmann wegen ihres uneinheitlichen Abstimmungsverhaltens schwer zu packen. Auch die jeweilige Tagesordnung im Rat oder den Ausschüssen „nach Stolpersteinen zu durchforsten, funktioniert nur bedingt“. Also bleibt den anderen Fraktionen nur abzuwarten, bis die AfD-Leute bei ihren Themen aus der Deckung kommen. In Kassel sind es die Flüchtlingsfrage und die Frauenförderung.

Nachdem sich die Fraktion anfangs ruhig verhalten habe, komme jetzt „immer mehr der ­Wutbürger heraus“, sagt Herrmann. Inzwischen sei deutlich geworden, dass die Kasseler AfD dem völkisch-rassistischen Flügel um Björn Höcke nahestehe. Sein Fazit: „Der Ton wird rauer!“ Immerhin: Wenn sich die AfD in fundamentaler Systemkritik ergehe, verlassen einige Kasseler Ratsmitglieder den Saal und zeigen auf diese Weise ihren Standpunkt.

Dortmund: Aktionsplan gegen Rechts

Sich etwas abschauen können die Kasseler und andere Kommunen in Dortmund: Der Stadtrat hat vor den Osterferien ­eine novellierte Fassung des „Dortmunder Aktionsplanes gegen Rechtsextremismus“ beschlossen. Hintergrund: Die Stadt war in den vergangenen Jahren immer wieder durch ihre offene Neonazi-Szene und den sogenannten Rathaus-Sturm der Braunen nach der Kommunalwahl 2014 ins mediale Blickfeld geraten.
Dabei hat sie sich dieses Pro­blems schon viel früher angenommen. Im Jahr 2007 fiel der Beschluss, einen Aktionsplan gegen Rechts aufzustellen, am 24. November 2011 wurde er öffentlich vorgestellt. In dieser Zeit untersuchte das Institut für Interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung der Universität Bielefeld die Strukturen vor Ort eingehend. Alle Fäden dafür laufen bei der „­Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ zusammen. Sie wird vom pensionierten Landessuperintendenten Hartmut ­Anders-Hoepgen als ehrenamtlichem Sonderbeauftragten geleitet und untersteht Dortmunds Oberbürgermeister Ulrich Sierau. Dort gibt es zwei hauptamtliche Mitarbeiter. Sie verfügten über ein jährliches Finanzvolumen von rund 180.000 Euro aus dem Kommunalhaushalt sowie Bundes- und Landesmittel in Höhe von 150.000 Euro, sagt ein Sprecher.
Mit ihrem novellierten Aktionsplan haben die Verantwortlichen nicht nur auf die nach ihren Worten „beständige und gewaltbereite rechtsextreme Szene“ reagiert. Auch die zunehmende Anzahl von Rechtspopulisten schlägt sich im novellierten Aktionsprogramm nieder. Gegen Rechtspopulisten und Rechtsextreme setzen die Dortmunder auf „eine vertrauensvolle Kooperation zwischen Zivilgesellschaft, Polizei und Kommune“. Auch die Unabhängigkeit der Justiz wird betont. Sie „soll rechtsextreme und rassistische Straftaten mit der notwendigen Sensibilität betrachten und behandeln“.

Möglichkeiten im städtischen Umfeld

Dies sind nicht nur Worthülsen. Vielmehr beschreiben die Autoren, welche Möglichkeiten sie im städtischen Umfeld haben. Gegen die rechtsextremen und rechtspopulistischen Umtriebe setzen die Verantwortlichen auf „Information und Aktivierung der Stadtgesellschaft“, „Institutionen und Akteursnetzwerke“, „Stadtteilarbeit“, „Schutz und Hilfe für von rechtsextremer Gewalt bedrohte und betroffene Menschen“, „Ausstieg und Deradikalisierung“ und Beobachtung der „Öffentlichkeitsarbeit der Rechtsextremisten und Gegenöffentlichkeit“. Dazu gehören zum Beispiel regelmäßige Informa­tionsveranstaltungen über rechte Strukturen und die Aktivierung von engagierten Menschen, die sich nicht an gesellschaftliche Institutionen gebunden fühlen, sowie Aufklärungsarbeit in den Schulen. Auch die Gründung einer Monitoring-Stelle zur Aufklärung über rechtsextreme Gewalt und die Verbesserung des Zeugenschutzes stehen im Programm. Für Christian Uhr, Dortmunder SPD-Fraktionsgeschäftsführer, ist es bedeutsam, solch einen Aktionsplan breit anzulegen. „Aber wichtig ist auch, dass es gelebt wird und Akteure auch eigene Erfahrungen mitbringen.“
Die haben er und seine Kollegen im Rat seit der Kommunalwahl im Mai 2014 über die Fraktionsgrenzen hinweg auch mit den Leuten von NPD und „Die Rechte“ machen können. Die AfD zog mit drei Mitgliedern in den Ratssaal ein. Schnell sei klar gewesen, so Uhr: Mit den Rechtsextremen möchte niemand etwas zu tun haben. Darüber hinaus sei versucht worden, diese von den staatlichen Geldquellen abzuschneiden – vergeblich. Sie haben sich den „Anspruch auf Entschädigungsleistungen der Stadt“, so die Juristen, in Höhe von 40.000 Euro jährlich erklagt. Um verfassungsfeindliche Parteien von der Parteienfinanzierung, aber auch von Zuwendungen für ihre kommunale Mandatsträger ausschließen zu können, sei eine Änderung des Grundgesetzes notwendig, heißt es in einem Gutachten von Professor Johannes Dietlein im Auftrag des DStGB und der Freiherr-von-Stein-Akademie.

Raues Klima in Zwickau

Dass das Klima in der Kommunalpolitik auch in kleineren Städten rau werden kann, zeigt etwa ein Blick in den Osten der Republik. In Zwickau, einer 91.000-Einwohner-Kommune in Sachsen, wird Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) seit Monaten immer wieder von Menschen aus dem rechten Spektrum bedroht. Sie versuchen, ihr das Leben im Stadtrat etwa durch Störungen und Zwischenrufe schwer zu machen. Doch die Kommunalpolitikerin wirkt wie das sprichwörtliche Stehaufmännchen. Nach diesen Vorkommnissen hat die Stadt neue Regeln für die Ratssitzungen erlassen. Verboten ist jetzt unter anderem das Filmen.
Politiker können mit ihrer Haltung Vorbild sein – jeder Mensch muss indes selbst entscheiden, wie er handelt. SPD-Frau Julitz berichtet von Gesprächen mit örtlichen Gewerbetreibenden, die dazu bewegt werden sollten, bei einem Aufmarsch der Rechten durch die Warener Ortsmitte für zehn Minuten die Läden zu schließen. Viele hätten es sich nicht ­getraut – aus Angst um ihr Geschäft.