Hessen

Thorsten Schäfer-Gümbel: Zusätzlich 100 Millionen sollen jährlich in Wohnungsbau fließen

Karin NinkKarin Billanitsch06. Juni 2018
Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel kandidiert als Ministerpräsident.
Der hessische SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel will als Ministerpräsident jährlich 6000 zusätzliche Wohneinheiten bauen lassen. Im Interview mit vorwärts.de kündigt er an, dafür jedes Jahr 100 Millionen Euro zusätzlich investieren zu wollen.

Der Sozialwohnungsbau ist in Hessen um mehr als fünfzig Prozentpunkte zurückgegangen. Was sind die Ursachen?

Der entscheidende Punkt ist, dass es seit 19 Jahren CDU-Regierung kein Verständnis dafür gibt, dass bezahlbarer Wohnraum eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge ist. Wohnungsgesellschaften wurden privatisiert und es ist deutlich zu wenig gebaut worden. Es gab einfach keine wirklichen Initiativen, um neue Sozialwohnungen zu bauen. Seit die CDU regiert, ist der Anteil der Sozialwohnungen in Hessen von rund 183.000 auf knapp 80.000 Wohneinheiten gesunken – eine dramatische Entwicklung. Wenn wir nicht hart gegensteuern, wird sich diese Entwicklung beschleunigen. Dazu kommt, dass die Zuständigkeiten für Wohnungsbau, Immobilien, Landesplanung und Raumordnung zersplittert worden sind. Wohnen befindet sich nicht mal mehr in der Namensgebung des Ministeriums, in das die Abteilung Wohnungsbau verschoben wurde. Als Ministerpräsident werde ich alle Kompetenzen für das Bauen und Wohnen in unserem Land in einem Ministerium bündeln.

Unabhängig von der Landespolitik will die Bundesregierung jetzt die Länder weiter unterstützen in der Wohnungsbauförderung. Was würden Sie als Ministerpräsident ganz konkret machen oder zusätzlich in die Hand nehmen, um den Wohnungsbau in Hessen zu fördern?

Wir wollen in Hessen mindestens 6.000 Wohneinheiten jährlich zusätzlich bauen. Das geht natürlich nur mit einem ordentlichen Maßnahmenpaket. Dazu gehört, dass das Land die Flächen nicht mehr nach Höchstpreis veräußert, um damit Kasse zu machen und die Baupreise massiv nach oben zu treiben, sondern nach Konzept; das heißt, vor allem nach Anforderung für bezahlbaren Wohnraum.

Können Sie beziffern, wie viel Geld über die Kompensationszahlungen des Bundes hinaus, das Land Hessen zuschießen müsste, um dieses Ziel – 6.000 Wohneinheiten – zu erreichen?

Wir wollen alle Mittel nutzen, um bezahlbare Mieten zu gewährleisten. Da muss das Land auch Geld in die Hand nehmen. Wir werden jährlich etwa 100 Millionen Euro zusätzlich investieren.

Je nach Programm liegt eine Sozialbindung in Hessen bei zwanzig, aber manchmal sogar schon bei zehn oder fünf Jahren, nach denen die Bindungsdauer ausläuft. Sollten die Fristen nicht verlängert werden? 

Absolut. Die Bindungszeiten sind viel zu gering und mit Verlaub auch die Förderquoten. Es ist derzeit nicht attraktiv, in sozialgebundenen Wohnraum zu investieren. Deswegen wollen wir neben verbilligten Krediten auch Zuschussmodelle für den sozialen Wohnungsbau. Die Förderquoten und auch die Bindungen müssen steigen. Beim Thema bezahlbares Wohnen ist aber auch Bodenpolitik oder Flächenpolitik entscheidend.

Können Sie das bitte näher erläutern?

Kommunen könnten von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen und Grundstücke im Rahmen von Entwicklungsmaßnahmen auch für den Bau von preiswerten Wohnungen nutzen, wenn die BIMA nicht zum Höchstpreis verkaufen würde. Das ist eine ähnliche Debatte wie im Land. Generell müssen wir anstelle der endgültigen Veräußerung von öffentlichem Grund stärker auf Erbbaurechte setzen, um Gestaltungsmöglichkeiten für die öffentliche Hand zu sichern. Kommunen müssen dabei unterstützt werden, ihr Tafelsilber zu erhalten. Es geht hier am Ende um bezahlbaren Wohnraum vor allem für Familien mit kleinen und mittleren Gehältern. Damit auch sie Bauen wieder bezahlen können, muss der rasante Anstieg der Bodenpreise eingedämmt werden.

In größeren Städten wie Frankfurt werden Altmieter häufig durch Gentrifizierung an den Stadtrand verdrängt. Wie hat die hessische SPD vor, eine sozial ausgewogenere Mischung zu erreichen?

Ja, das ist auch in Hessen zunehmend ein Problem. Um das zu verhindern, ist es wichtig, integrierte Stadtteil-Entwicklungskonzepte zu machen und präventiv auf die Durchmischung in den Quartieren zu achten. Das ist am Ende eine Frage der örtlichen Wohnungspolitik und funktioniert auch nur dann, wenn die Kommunen oder das Land substantielle Anteile am Wohnungsmarkt haben. In Frankfurt, wo die SPD regiert, setzt sie gegenüber Investoren bei neuen Projekten mindestens 30 Prozent sozialen Wohnraum durch. Wenn die öffentliche Hand keine Wohnungen mehr besitzt, dann ist das mit der Belegungssteuerung sehr kompliziert. Je stärker der Staat selbst Anteil am Wohnungsmarkt hat, umso stärker kann man die Stadtentwicklung gestalten. Das halte ich für zwingend. Deswegen müssen wir den Trend zur Privatisierung stoppen. Vorhandenes öffentliches Grundeigentum sollte möglichst in öffentlicher Hand bleiben und für Gemeinwohlbelange eingesetzt werden.

Nun zur Wohnraumoffensive der Bundesregierung: Die Bundesregierung will die Umlage von elf auf acht Prozent deckeln. Reicht das Ihrer Ansicht nach, um Mietsteigerungen wirksam zu bekämpfen?

Die Reduzierung der Modernisierungsumlage von elf auf acht Prozent ist ein Fortschritt. Aber es wird das Problem nicht alleine lösen. Aus meiner Sicht müssten wir weiter reduzieren, das ging mit der Union nicht. Man muss darauf achten, dass die Mietnebenkosten, die über Modernisierungsumlage entstehen, auch für Normalverdiener bezahlbar bleiben und keine Verdrängung entsteht. Deswegen ist die Beschränkung so wichtig. Am Ende aber wird der Streit, ob es elf, acht, oder vier Prozent sind, nicht entscheidend sein. Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen, um diese soziale Frage des nächsten Jahrzehnts in den Griff zu bekommen.

Die Leerstandsproblematik im ländlichen Raum ist auch in Hessen ein Thema. Was kann dagegen getan werden?

Die Probleme im ländlichen Raum sind völlig anders als in Städten. Es gibt zunehmend Leerstände in Teilen des Landes. Es fehlt aber gerade im ländlichen Raum an bezahlbaren kleinen barrierefreien Wohnungen. Viele Ältere, die alleine in einer alten, größeren Wohnung wohnen, würden gern in eine kleine barrierefreie ziehen, um auch im Alter in den eigenen vier Wänden leben zu können. Diesen Wohnraum gibt es aber kaum. Wir haben es auf dem Land mit unterschiedlichen Entwicklungen zu tun. Das will die SPD im Rahmen der einfachen Stadterneuerung aufgreifen. Dazu gehört, dass natürlich barrierefreier Wohnraum gefördert werden muss, dass man nicht allein in den Ballungsräumen etwas tut, sondern regionale Wohnraumversorgungskonzepte entwickeln muss. Außerdem müssen die Landkreise die Möglichkeit bekommen, Wohnungsbaupolitik zu machen. Das ist bisher nicht der Fall, obwohl sie die Kosten der Unterkunft als Sozialhilfeträger zahlen müssen.

Der Artikel ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.