Kommunale Partnerschaften

Trotz Brexit: Eine Brücke über 600 Meilen

Carl-Friedrich Höck17. November 2016
Mitglieder des Duck Cycling Club brechen in Lewisham zu ihrer sechstägigen Fahrradtour nach Berlin auf. In der Mitte: Stadtrat Obajimi Adefiranye.
Die Briten haben für den Brexit gestimmt. Was bedeutet das für deutsch-britische Kommunalpartnerschaften? Eine Spurensuche in Berlin und London.

Am 19. Mai 2016 beschlossen die Bezirksverordneten von Charlottenburg-Wilmersdorf, ­Außenpolitik zu betreiben. Sie beauftragten den Bürgermeister des Berliner ­Bezirkes, eine Botschaft auszurichten: Die Bezirksverordnetenversammlung „ruft unsere Partnerstädte Lewisham und ­Sutton in Großbritannien auf, mit unserem Bezirk eine gemeinsame Zukunft in der Europä­ischen Union zu gestalten.“

550 deutsch-britische Partnerschaften

Wie die Geschichte ausgeht, ist bekannt: Am 23. Juni stimmte eine knappe Mehrheit der Briten dafür, die Europäische Union zu verlassen. Wie aber wird sich der Brexit auf die zahlreichen deutsch-britischen Städtepartnerschaften auswirken?

Rund 550 deutsch-britische Kommunalpartnerschaften gibt es laut der Deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE). Großbritannien bleibe auch in Zukunft ein wichtiger Partner, schreibt der Verband in ­einem Brief an die Bundeskanzlerin. „In diesem Sinne werden wir die kommunalen Beziehungen zu Großbritannien weiter pflegen, um mit den Kommunen (...) und ihren Bürgern auch nach dem Austritt des Landes im Kontakt zu bleiben.“

„Europa von unten neu aufbauen”

Etwas deutlicher wird der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB). Die Kontakte nach Großbritannien müssten jetzt verstärkt werden mit dem Ziel, „Europa von unten neu aufzubauen“, fordert Gerd Landsberg. Und sein Stellvertreter Uwe Zimmermann schreibt in einem Aufsatz zum Thema: „Wo früher das gemeinsame Sport- oder Kulturereignis den Tag eines Städtepartnerschaftstreffens prägte und der gesellige Vespertisch den Abend, dort steht heute der Konferenztisch einer Fachbruderschaft in Brüssel, die als fachliches Netzwerk Zugang zu EU-Fördermitteln anstrebt – und erhält.“ Auch das sei ­europäische Kooperation, betont Zimmermann. Aber es stelle sich die Frage, ob sie die Menschen noch erreiche.

In Charlottenburg und in Lewisham tut sie es. Denn hier funktioniert die Partnerschaft auf beiden Ebenen – der politischen und der bürgerschaftlichen. Ein Radsportclub aus Lewisham hat sich vor einiger Zeit erfolgreich auf den Weg gemacht, die 600 Meilen zwischen beiden Kommunen mit reiner Muskelkraft zurückzulegen. Im Oktober hat ein Jugendchor aus Charlottenburg die Lewishamer Chorvereinigung besucht. Und Charlottenburgs SPD-Bürgermeister Reinhard Naumann war erst Anfang des Jahres in der Partnergemeinde aus London. Sein Amtskollege hatte ihn zu einer Konferenz eingeladen – gemeinsam mit Vertretern einer dritten Partnergemeinde aus Paris –um Erfahrungen zum Thema Flüchtlinge und Integration auszutauschen.

EU-Fonds helfen, sich zu vernetzen

Reinhard Naumann
Reinhard Naumann, Bürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, mit der Partnerschaftsurkunde

Gefördert wurde die Veranstaltung mit Geldern aus Brüssel. Und für 2017 wurde bereits ein weiteres gemeinsames Projekt geplant. Unter dem Titel „Europa für Bürger“ wollen sich die Partner mit demokratischem Engagement und zivilgesellschaftlicher Teilhabe befassen. Wenn Großbritannien aus der EU austritt, werden solche Vorhaben schwieriger. „Wir sind dann abgeschnitten von den Finanztöpfen“, sagt Charlottenburgs Bürgermeister Naumann. Die Kommunen seien ohnehin klamm ausgestattet.

Dieses Problem sieht auch Sir Steve Bullock, der Bürgermeister von Lewisham. Nicht nur aufgrund formaler Partnerschaften sei man mit vielen europäischen Städten verbunden, sondern auch durch gemeinsame Anträge für europäische Fonds. Finanziert wurden damit meist ebensolche Treffen, auf denen man miteinander gearbeitet und voneinander gelernt hat. „Sie waren wertvoll, das wird ein Verlust sein“, schreibt Bullock der ­DEMO. Ohnehin habe die Regierung die finan­ziellen Mittel der Kommunen nach der Finanz­krise 2008 stark gekürzt. Der Brexit werde zudem der Londoner Wirtschaft schaden, befürchtet Bullock. Da sei es schwer, noch für andere Dinge Geld aufzubringen als für Bürger-Dienstleistungen. Dennoch wolle er ein paar Kapazitäten erhalten, um die städtischen Verbindungen zu pflegen. Denn Sie seien gerade in einer Zeit wichtig, in der die Briten riskieren sich zu isolieren. Übrigens: Lewisham hat mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt.

Älter als die EU

Bullocks Amtskollege Naumann verweist darauf, dass Lewisham und Charlottenburg seit 1968 verbunden sind – damals war Großbritannien der Europä­ischen Wirtschafts-Gemeinschaft, aus der später die EU wurde, noch gar nicht beigetreten. Wichtig sei, die ­friedensstiftende und brückenbauende Idee der Städtepartnerschaften weiter zu befördern, sagt Naumann. Und dann wiederholt er einen Satz, den er einmal bei einem Festakt mit einer italienischen Partnergemeinde ausgesprochen hat und den dort jeder verstanden habe: „Wir sind Europa.“