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Türkei-Partnerschaften: Ausgerechnet jetzt?

Christian Ude17. November 2016
Partnerschaft Hamburt Maltepe
Ali Kilic, Maltepe (links) und Liane Melzer, Hamburg Altona, besiegeln auf dem Bosporus die Partnerschaft zwischen ihren Kommunen
Münchens Alt-OB Christian Ude plädiert für Partnerschaften mit türkischen Städten und Gemeinden. Er meint: Nie waren sie so nötig wie eben gerade jetzt!

Jetzt sei eine schlechte Zeit „für so etwas“, sagen viele, wenn man sie auf die Möglichkeit, die Notwendigkeit und die Chancen einer deutsch-türkischen Städtepartnerschaft anspricht. Und das ist verständlich: Die Sicherheitslage in der Türkei ist angespannt, da möchte man nicht die Verantwortung für Delegationsreisen übernehmen. Die Konflikte in der Türkei sind unerbittlich, die möchte man nicht in deutsche Kommunen importieren, in unsere Rathäuser hineintragen.Meldungen über Massenverhaftungen und rasanten Abbau der Pressefreiheit sind bestürzend – da möchte man nicht Normalität vortäuschen oder gar „Friede, Freude, Eierkuchen“ rufen. Speziell im Osten wurden Bürgermeister von der Zentralregierung abgesetzt – ist da ­Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene überhaupt möglich?

Partnerschaften waren schon immer Aussöhnungsversuch

Diese Einwände sind verständlich, sogar berechtigt. Aber trotzdem möchte ich gerade jetzt eine Lanze für weitere deutsch-türkische Städtepartnerschaften und eine Belebung der bereits bestehenden Schwesterstadt-Beziehungen brechen. Nie waren diese Netzwerke so nötig wie eben gerade jetzt.

Erinnern wir uns an die Anfänge dieser kommunalen Initiativen! Sie waren nie eine Schön-Wetter-Veranstaltung, die einer ohnehin gefestigten Völkerfreundschaft bloß einen zusätzlichen protokollarischen Rahmen geben wollten, sondern im Gegenteil meist ein Aussöhnungsversuch, der der staatlichen Politik weit voraus war. Der verheerende Krieg gegen den vermeintlichen „Erbfeind“ war erst wenige Jahre vorbei, als die ersten deutsch-französischen Städte-Partnerschaften geschlossen wurden. Völkerverständigung wurde nicht nur auf staatlicher Ebene angestrebt, sondern in den Städten und Gemeinden bereits erlebt. Das macht die Bedeutung und den Wert kommunaler Partnerschaften aus.

Brückenbau wichtiger denn je

Und ein derartiger Brückenbau erscheint mir heute wichtiger denn je. Die Türkei ist das Herkunftsland von Millionen Menschen, die in Deutschland leben. Viele von ihnen fühlen sich hier aber nicht ausreichend anerkannt, nicht zu aktiver Teilhabe eingeladen – oder sie sind von sich aus nicht daran interessiert. Themen und Konflikte der türkischen Politik werden plötzlich zu Problemen in deutschen Städten, wie wir gerade nach dem ­Militärputsch erleben mussten. Wir brauchen mehr wechselseitiges Interesse und Verständnis, mehr Dialog und Verständigung, mehr erlebbare Wertschätzung, mehr Verständigung auf unverzichtbare Spielregeln, mehr Erfahrungsaustausch und Zusammenarbeit auch auf der kommunalen Ebene.

Deshalb hat Ali Kilic, der 25 Jahre in Deutschland lebte und hier lange Zeit die „Deutsch-Türkische Freundschaftsföderation“ leitete, als Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Maltepe (mit 500.000 Einwohnern) gemeinsam mit mir zu deutsch-türkischen Konferenzen eingeladen, die mittlerweile um Delegationen aus dem Nahen und Fernen Osten sowie Afrika ergänzt wurden. Dort wurde die Bedeutung von kommunalen Partnerschaften betont – wenn sie nicht in Mandatsträger-Tourismus erstarren, sondern wirklich gelebt werden.

Die Partnerschaft darf nicht nur im Rathaus gelebt werden

Das heißt konkret: Viele Institutionen der Stadtgesellschaft sind einzubeziehen, nicht nur das Rathaus – etwa auch die türkische Community. Jugendliche und Frauen, die in den bisherigen Strukturen kaum vorkommen, sind gezielt zu aktivieren. Über herkömmlichen Schüleraustausch hinaus kann ein digitaler Austausch von Schule zu Schule viel mehr Schulen umfassen als bisher. Ein weiterer wichtiger Punkt: Auch Muslime sind ins interreligiöse Gespräch einzubeziehen (nicht nur ökumenisch oder christlich-jüdisch).

Zu den wichtigsten Empfehlungen der Konferenz des vorigen Jahres gehören weiter: Erfahrungsaustausch über die Bewältigung des Flüchtlingsthemas auf kommunaler Ebene – Gaziantep hat 500.000 aufgenommen, Ausbau der Erwachsenenbildung für Migranten und Flüchtlinge, Ausweitung des Kulturaustauschs sowie Kooperation im Tourismus und bei Wirtschaftsprojekten.

Klare Kante für Grundrechte

Neue Themen kommen laufend dazu, etwa die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit (Holocaust, Armenien) oder mit dem Militärputsch und seinen Folgen. Auch hier sollten die Kommunen Foren des Dialogs sein, nicht Organ der einen und Vormund der anderen Seite. Nur bei einem Themenkreis ist klare Parteinahme gefragt: Für die Grundrechte, gegen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit.