Stickoxid-Belastung

Umwelthilfe will Luftverschmutzung in weiteren Kommunen nachweisen

Carl-Friedrich Höck10. Januar 2018
Stadtautobahn
Stadtautobahn in Berlin: Die Luftverschmutzung betrifft nicht nur Großstädte wie diese, glaubt die Deutsche Umwelthilfe.
Die Deutsche Umwelthilfe vermutet, dass die zulässigen Stickstoffdioxid-Grenzwerte in weit mehr Kommunen überschritten werden, als bisher bekannt ist. Nun will die Organisation an 500 zusätzlichen Messpunkten die Luftverschmutzung testen. Die drohenden Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge sind auch Thema in den Sondierungsgesprächen von CDU, CSU und SPD.

Mit bangem Blick sehen die Kommunen den kommenden Gerichtsentscheidungen entgegen. In 19 Städten könnten Richter demnächst Fahrverbote für Dieselautos anordnen, weil die Luft dort mehr Stickstoffdioxid (NO2) enthält, als die EU erlaubt. Dagegen klagt nun die Deutsche Umwelthilfe (DUH), und ihr werden gute Chancen eingeräumt. Bekannt ist zudem laut Umwelthilfe, dass in rund 70 weiteren Kommunen die Grenzwerte regelmäßig überschritten werden. Der Verband kommunaler Unternehmen fürchtet, dass Diesel-Fahrverbote „dem kommunalen Leben den Stecker ziehen“ würden, wie VKU-Präsident Michael Ebling immer wieder betont. Und auch die Bundesregierung will dieses Szenario unbedingt abwenden.

Luftverschmutzung wird nicht überall gemessen

Doch wenn die Deutsche Umwelthilfe mit ihrer Vermutung Recht hat, könnten noch viel mehr Kommunen die NO2-Grenzwerte überschreiten, als bisher bekannt ist. Denn im ganzen Bundesgebiet gibt es nur 535 amtliche Messstationen des Umweltbundesamtes. Und von diesen wiederum sind nur 247 an verkehrsnahen Orten aufgestellt.

Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe Jürgen Resch glaubt, dass das eigentliche Ausmaß der Luftverschmutzung noch gar nicht entdeckt wurde. Es betreffe nicht nur einige Verkehrsknotenpunkte in Stuttgart, München oder Berlin. „Auch Ravensburg kann ein Problem mit Luftreinhaltung haben“, sagt Resch. Die Umwelthilfe geht davon aus, dass in mehreren hundert Städten und Gemeinden Fahrverbote oder technische Diesel-Nachrüstungen nötig seien, um die Grenzwerte einzuhalten. Hinzu kommt laut Resch, dass sich selbst in Großstädten wie München die Debatte um die NO2-Belastung auf wenige Straßenzüge konzentriere.

Umwelthilfe will an 500 Stellen messen

Mit eigenen Messungen will die Organisation nun herausfinden, wo es weitere „Hot-Spots der Luftverschmutzung“ gibt, wie die DUH am Mittwoch bekannt gab. Sie ruft die Bürgerinnen und Bürger auf, ihr mutmaßliche Schwerpunkte der NO2-Belastung zu melden. An 500 Stellen in ganz Deutschland will der Umweltverband im Februar Messgeräte aufstellen. Mitte März werden die Ergebnisse erwartet.

Jürgen Resch (Deutsche Umwelthilfe)
Jürgen Resch (Deutsche Umwelthilfe) auf einer Pressekonferenz am Mittwoch

Helfen will die Deutsche Umwelthilfe mit der Aktion zum einen den betroffenen Bürgern. Durch Stickstoffdioxid „sterben in Deutschland vier Mal so viele Menschen wie durch Verkehrsunfälle“, sagt Jürgen Resch. Die Luftbelastung könne etwa zu Asthma oder Erstickungsanfällen führen.

DUH hofft auf mehr Debatten – und Maßnahmen

Doch auch die Kommunen könnten von den Messungen profitieren, meint der DUH-Geschäftsführer. Denn wenn die tatsächlichen Belastungswerte öffentlich diskutiert würden, verbessere das auch die Möglichkeiten der Städte und Gemeinden, Unterstützung zu bekommen. Resch verweist auf die vom Bund zugesagte Milliarde für Kommunen, denen Fahrverbote drohen – mit dem Geld sollen sie in Elektrobusse und andere Maßnahmen zur Luftverbesserung investieren können. Wenn andere Orte von diesen Fördergeldern abgeschnitten seien, obwohl die Menschen auch hier unter schlechter Luft leiden, führe das zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, meint Resch.

Unterdessen stand der Diesel-Skandal auch auf der Agenda der Sondierungen zwischen CDU, CSU und SPD. Wie mehrere Medien berichten, wollen die potenziellen Koalitionspartner Nachrüstungen an Diesel-Motoren durchsetzen. So stehe es in einem gemeinsamen Positionspapier der Fachgruppe Verkehr. Bisher waren mit den Autoherstellern nur Software-Updates für die Dieselfahrzeuge vereinbart worden. Gegen die teureren technischen Nachrüstungen hatten sich die Autokonzerne zuletzt noch erfolgreich gewehrt. Union und SPD wollen zudem die Elektromobilität und den Schienenverkehr fördern.

 

Mehr:
www.duh.de/abgasalarm

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH)

Die 1975 gegründete Deutsche Umwelthilfe e. V. ist ein Umwelt- und Verbraucherschutzverband. Er ist nach eigenen Angaben politisch unabhängig, als gemeinnützig anerkannt und klageberechtigt. Auf der Website des Verbandes heißt es: „Zweck der Umwelthilfe ist es, laut § 2 ihrer Satzung, den Natur- und Umweltschutz sowie die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, zu fördern und zur Beschaffung der erforderlichen Mittel beizutragen.“

Die Deutsche Umwelthilfe hat etwa 80 Mitarbeiter und 270 Mitglieder (laut Lobbyliste des Bundestages, Stand 19.1.2018.) Die DUH finanziert sich unter anderem über Beiträge und Spenden, Sponsoring sowie öffentliche und sonstige Zuschüsse. Ein knappes Drittel der Einnahmen stammt aus der „Ökologischen Marktüberwachung“. (Quelle: duh.de) Als klageberechtigter Verband darf die DUH Verstöße gegen Verbraucherschutzvorschriften juristisch verfolgen. Die FAZ schrieb in einem kritischen Artikel: „Das Brot-und-Butter-Geschäft sind Unterlassungserklärungen und Vertragsstrafen, die Umweltschützer sind dadurch finanziell in der Lage, Klagen gegen Landesregierungen oder Konzerne zu führen.“

Für Aufsehen sorgte die DUH zuletzt mit Klagen gegen mehrere Städte, in denen die EU-Grenzwerte für Stickoxide überschritten werden. Sie könnten dazu führen, dass Gerichte Gegenmaßnahmen wie Fahrverbote für Dieselfahrzeuge anordnen. Um das zu vermeiden, hat die Bundesregierung bereits mehrere „Diesel-Gipfel“ einberufen, auf denen unter anderem Konzepte für saubere Luft in Kommunen diskutiert wurden.