Blickpunkt Umweltgerechtigkeit

Urbane Waldwirtschaft

Maicke Mackerodt05. Juli 2018
Spatenstich zum Baubeginn
Im Düsseldorfer Wildpark entsteht eine neue Waldschule. Düsseldorfs OB Thomas Geisel (m.) beim Spatenstich zum Baubeginn.
2190 Hektar Forst gehören zu Düsseldorf, das entspricht gut zehn Prozent der Stadtfläche. Im Wald können die Menschen sich kostenlos erholen, Sport treiben, spielen und lernen. Die Bewohner achten auf ihre Natur: „Sobald wir einen Baum fällen, klingeln bei uns die Telefone”, sagt der Forstdirektor.

Hinter dem eher sperrigen Begriff der urbanen Waldwirtschaft ­stecken nicht nur das Fällen und Verkaufen von städtischen Bäumen. Es bedeutet auch, dass Bürgerinnen und Bürger sich in ihren eigenen Stadtwäldern kostenlos erholen: wandern, Sport treiben, spielen, Ruhe finden. In jedem urbanen Forst stehen Entspannung und Bewegung im Vordergrund, und er wird immer mehr für Waldkindergärten, Waldschulen und zur Waldbestattung genutzt.

Forschen für nachhaltige Waldwirtschaft

„In Deutschland gibt es keine Urwälder, nur ein paar alte Fürstenwälder. Die Hälfte ist in Privatbesitz, die andere Hälfte gehört uns allen, den Gemeinden und Bundesländern“, weiß Georg Winkel. Der Forstwissenschaftler ist neuer Fürsprecher der Wälder, kümmert sich von Bonn aus europaweit um ihre Resilienz, erforscht deren Widerstandsfähigkeit.

Ende August 2017 wurde in Bonn die Außenstelle des European Forest Institute, kurz EFI, eröffnet. Das europäische Waldinstitut (mit Hauptsitz in Finnland) gilt als Meilenstein. Von Bonn aus stellt Georg Winkel Netzwerke für nachhaltige Waldwirtschaft her. Vor allem in urbanen Räumen kämpfen viele Baumarten als natürliche CO2-Speicher mit dem verstärkten Schadstoffgehalt. Neben ihrer natürlichen Filterfunktion agieren stadtnahe Bäume als „Städte-Cooler“, sind Lebensraum für einheimische Tierarten und Erholungs­gebiet. Eine beeindruckende Vielfalt.

Veränderte Perspektive

Zwar stehen Klimawandelanpassung und europäische Waldpolitik beim EFI im Vordergrund, neu hinzugekommen ist die urbane Waldwirtschaft. Demnächst wird im EFI die veränderte Perspektive der Bevölkerung auf ihren eigenen Wald erforscht. Dazu gehören auch Waldkindergärten. Die boomen zwar schon länger, neu ist für Georg Winkel aber das extreme Wachstum. „Anfang der 90er Jahre gab es eine Handvoll, jetzt verdoppelt sich die Zahl alle fünf Jahre. Der Wald als Kulisse für eine neue Form der Naturbildung.“

Auch das zunehmende Bedürfnis nach Bestattungen im Wald drückt für Georg Winkel „das veränderte spirituelle und kulturelle Verhältnis der Menschen zu ­ihrem Wald aus“. Waldbesitzer beginnen, in urbanen Wäldern einen letzten Ruheplatz anzubieten, anstatt nur mit dem Anpflanzen und Fällen von Bäumen Geld zu verdienen. „Wir erforschen, wie sich die Interessen der Bevölkerung mit der Waldwirtschaft nachhaltig verbinden lassen.“

Zehn Prozent der Stadtfläche sind Forst

Für den Düsseldorfer Forstdirektor Paul Schmitz ist das längst Alltag: Die Landeshauptstadt hat schon seit langem einen städtischen Waldfriedhof, wo auch Urnenbestattungen unter Bäumen möglich sind. Das eigentliche Highlight von D’dorf, wie die NRW-Hauptstadt liebevoll genannt wird, ist der Stadtwald mit mehr als 130 Kilometern Waldwegen: Fünf Millionen Besucher kommen jährlich zum Spaziergang mit und ohne Hund, zum Reiten oder Mountainbike fahren und ­Familien schätzen die Waldspielplätze.

2190 Hektar Forst gehören zu Düsseldorf, das entspricht gut zehn Prozent der Stadtfläche. Schaut man von oben, liegt er wie ein grüner Gürtel im Osten von Düsseldorf; mit dem bekannten Grafenberger Wald, einem tollen Wildpark und der Rennbahn. Auch wenn der Stadtwald keinen wirtschaftlichen Nutzen verfolgt, werden gezielt Bäume zur Waldpflege gefällt. Aktuell decken die Einnahmen etwa 20 Prozent des Pflegebedarfs: Den größten Posten machen dabei die Pflege und das Sammeln von Müll aus. „Nicht die Holzproduktion steht im Vordergrund sondern die Menschen“, verrät Paul Schmitz, der auch Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Großstadtwald ist und im Vorstand des Gemeindewaldbesitzerverbandes NRW.

Fällt ein Baum, klingeln die Telefone

Der Düsseldorfer Stadtwald wird seit gut 50 Jahren naturnah bewirtschaftet. Seit 18 Jahren ist er sogar mit dem internationalen Siegel FSC zertifiziert, folglich wird er streng ökologisch überwacht. Das besondere an Großstadtforstverwaltungen: In der Regel sind sie eingebunden in die Stadtverwaltungen. „Interdisziplinär Arbeiten ist typisch für Großstadtförster“, erläutert Paul Schmitz, „ganz entscheidend ist dabei die offene Kommunikation innerhalb und außerhalb der Behörde“. Das Durchforsten im Wald ist uns nur möglich, wenn das, was wir tun, von der Bevölkerung akzeptiert wird. „Wir haben 365 Tage offene Tür, sobald wir einen Baum fällen, klingeln bei uns die Telefone, da will jeder mitreden.“

Auch bei der Waldpädagogik ist die Landeshauptstadt ganz aktuell. Seit 20 Jahren gibt es zwei Waldkindergärten und mehrere Kindergärten in Waldnähe. „Das Betreten des Waldes erfolgt auf ­eigene Gefahr, wir halten Hauptwege frei. Sie können den Stadtwald ganz nutzen“, so der Forstdirektor. Bereits seit 1986 gibt es mitten im Wildpark ein kleines Blockhaus: die Waldschule. Anfangs gab es eine Waldführung pro Woche. „Naturnahes Lernen“ ist mittlerweile so beliebt, dass jetzt eine neue Waldschule gebaut wird.

Beim 1. Spatenstich im April sagte Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD): „Hier entsteht ein moderner Neubau, der alle Voraussetzungen bietet, Düsseldorfer Kindern umfassendes Wissen über die Bedeutung des Waldes direkt vor Ort anschaulich zu vermitteln.“ Ab Ostern 2019 wird dort regelmäßig unterrichtet. „Die Baukosten von 1.430.000 Euro haben die Stadt und Spender finanziert. Noch ist unklar, wie die Folgekosten finanziert werden“, so Paul Schmitz.

 

Weitere Informationen
www.efi.int