Stellv. VDV-Sprecher Arnold

Verkehrsunternehmen: „Das Neun-Euro-Ticket ist ein Experiment“

Carl-Friedrich Höck26. April 2022
Elektrobus im Berliner Nahverkehr: Das 9-für-90-Ticket soll Fahrten für nur neun Euro im Monat ermöglichen.
Elektrobus im Berliner Nahverkehr: Das 9-für-90-Ticket soll Fahrten für nur neun Euro im Monat ermöglichen.
Drei Monate lang den ÖPNV nutzen für nur neun Euro im Monat – das soll ab Juni möglich werden. Wie setzen die Verkehrsunternehmen das um und was kostet sie das? Eike Arnold, der stellvertretende Sprecher des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), gibt Auskunft.

DEMO: Die Bundesregierung plant ein Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr – und zwar ab Juni. Ist dieser Zeitplan aus Sicht der Verkehrsunternehmen umsetzbar?

Eike Arnold: Die Verkehrsunternehmen und die Verkehrsverbünde arbeiten intensiv an kundenfreundlichen, serviceorientierten Lösungen – sowohl für Abonnentinnen und Abonnenten als auch für neue Fahrgäste. Voraussetzung dafür ist, dass vor dem 1. Juni 2022 die dafür notwendige Liquidität bei den Verkehrsunternehmen gesichert ist – dazu müssen sich Bund und Länder verständigen.

Der Bund will die Regionalisierungsmittel, welche an die Länder fließen, um 3,7 Milliarden Euro erhöhen. 1,2 Milliarden sind dafür gedacht, die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Und mit 2,5 Milliarden sollen „weitere Maßnahmen“ wie das Neun-Euro-Ticket finanziert werden. Ist das genug?

Die Neun-Euro-Ticket-Maßnahme kostet etwa 2,5 Milliarden Euro und kann sicherlich die Bürgerinnen und Bürger an dieser Stelle entlasten, wie vom Bund mit Blick auf die gestiegenen Energie- und Kraftstoffpreise beabsichtigt. Nicht abgedeckt sind davon die Umsetzungskosten der Unternehmen für Einführung und Abwicklung dieser bundesweiten Aktion. In der Debatte geht ein wenig unter, dass Deutschland bis 2030 auch die ehrgeizigen Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreichen muss. Bislang ist hier kaum etwas passiert. Darum brauchen wir einen kräftigen Ausbau beim ÖPNV: Dichtere Takte, ausgebaute Linien bei Bus und Bahn – und auch viel mehr „Digitales on demand“, also zum Beispiel den kleinen Rufbus im Stadtrandgebiet oder auf dem Dorf, den ich per App bestellen kann.

Der stellv. VDV-Sprecher Eike Arnold (Foto: VDV)

Das Beratungsunternehmen Roland Berger hat in einem Gutachten berechnet, dass der öffentliche Nahverkehr bis 2030 zusätzlich rund 48 Milliarden braucht, um eine vorzeigbare Alternative für den Umstieg vom Zweit- bzw. Erstauto zu sein. Das ist viel Geld, liegt aber auch daran, dass man beim ÖPNV lange Zeit gespart hat. Allerdings sind hier die gestiegenen Kraftstoff- und Energiepreise noch nicht berücksichtigt.

Die Verkehrsunternehmen müssen auch Regelungen für bestehende Abo-Kund*innen finden und umsetzen, damit diese nicht benachteiligt werden. Wie ist hier der Umsetzungsstand?

Abonnentinnen und Abonnenten müsse sich um nichts kümmern. Sie werden von den Verkehrsunternehmen kontaktiert und die Verrechnung zu den neun Euro pro Monat läuft ebenfalls selbsttätig. Außerhalb des vertraglich abgeschlossenen Gebietes gilt das Abo bundesweit als persönliche Fahrtberechtigung für den ÖPNV in ganz Deutschland.

Ein Ziel des Neun-Euro-Tickets ist es, mehr Menschen zum Umstieg auf Busse und Bahnen zu animieren. Mit wie vielen zusätzlichen Passagier*innen rechnet der VDV aufgrund des Sondertickets? Und reichen die Kapazitäten der Verkehrsunternehmen überhaupt aus, um die vielen neuen Kund*innen von A nach B zu bringen?

Es ist ein Experiment, man muss das so offen sagen. Wir rechnen mit 30 Millionen neuen und alten Fahrgästen, die das Neun-Euro-Ticket im Zeitraum nutzen, das ist eine grobe Schätzung. Das Neun-Euro-Ticket richtet sich in erster Linie an diejenigen, die täglich ihre Fahrten zur Arbeit, zum Einkauf oder für Freizeitaktivitäten nutzen. Sie sollen entlastet werden. Wir werden sicher hier und da vollere Busse und Bahnen sehen, doch wir haben infolge der Covid-Krise noch ein wenig Platz in den Fahrzeugen. Das Ticket gilt dessen ungeachtet bundesweit und ist auch für den Urlaub attraktiv. Ich rechne damit, dass die attraktiven Regionalzüge Richtung Nord- und Ostsee oder etwa Richtung Alpen voll sein werden. Nicht jeden Tag, aber beispielsweise am Samstagmorgen. Hier empfiehlt es sich, etwas früher oder später zu fahren. Die Unternehmen können hier nicht nennenswert aufstocken.

 

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