Corona-Pandemie

Virenjagd im Abwasser

Susanne Dohrn 14. April 2021
Grafik eines SARS-CoV-2-Virus. Coronaviren können sich im Darm vermehren. Erbgutinformationen davon sind im Abwasser nachweisbar.
Klärwerke können Frühwarnsysteme für Infektionen sein. Das gilt auch bei Corona. Großversuche zum Monitoring des Infektionsgeschehens haben begonnen. 

Die Entscheidung war einstimmig: Der Hamburger soll prüfen, welche Potentiale das Abwasser-Monitoring als Corona-Frühwarnsystem bietet. Das hat die Bürgerschaft Anfang April beschlossen. Das geschieht nicht etwa, weil man Abwässer für ansteckend hält. Das sind sie nicht. Aber es lassen sich Genschnipsel nachweisen, die Rückschlüsse zulassen auf die Zahl der Infektionen im Einzugsbereich eines Klärwerkes. Das hat Vorteile für die Früherkennung eines Infektionsgeschehens.

Getestet wird oftmals erst, wenn Symptome vorliegen, so dass sieben bis zehn Tage zwischen Infektion und Testergebnis vergehen können. Der Nachweis im Abwasser hingegen ist sehr viel schneller. „Eine Pandemie muss vielschichtig angegangen werden und keine Daten dürfen dabei ungenutzt bleiben“, ist Alexander Mohrenberg, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg überzeugt.

Verschluckt und ausgeschieden

Die Viren vermehren sich in der Nase und im Rachen, werden vermutlich beim Zähneputzen ausgespuckt oder heruntergeschluckt. Zudem können sich Coronaviren im Darm vermehren. Erbgutinformationen davon sind im Abwasser nachweisbar, wie Forscher des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig (UFZ) schon bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 festgestellt haben.

Damals begannen die Wissenschaftler das Abwasser zu untersuchen. Im Oktober 2020 startete ein Großversuch, an dem sich 50 Kläranlagen – auch Hamburg war mit der Kläranlage Köhlbrandhöft/Dradenau dabei – deutschlandweit beteiligt haben. Mehrere Wochen lang schickten sie täglich Proben aus dem Abwasser und dem Klärschlamm an das UFZ. Dort untersuchten Wissenschaftler sie mit PCR-Tests. „Wir wollten wissen, wie sich die Zahl der gemeldeten Infizierten im Abwasser abbildet, und ob aus den Abwasserproben in einem zweiten Schritt Rückschlüsse auf das Infektionsgeschehen möglich sind“, sagt der Virologe René Kallies vom UFZ.

Mutationen nachweisbar

Inzwischen wissen die Forscher, dass sich Virusbestandteile im Abwasser schon ab einer sehr geringen Zahl von gemeldeten Infizierten nachweisen lassen. Kallies: „Wir haben das Signal im Abwasser schon gesehen, als mancherorts zehn Infizierte auf 100 000 Einwohner gemeldet wurden.“ Auch die steigende Inzidenz war ab Oktober 2020 im Abwasser klar nachweisbar. 

Infektionstrends spiegeln sich im Abwasser, und zwar zum Teil schon einige Tage, bevor sie sich in der Zahl der nachgewiesenen Infektionen im Testgeschehen bemerkbar machen. Sogar Virus-Varianten, wie sie in der englischen oder der brasilianischen vorkommen, lassen sich im Abwasser mit Hilfe der Genomsequenzierung nachweisen. „Wenn wir die Schlüsselmutationen im Abwasser finden, sind Annahmen für ihre Verbreitung möglich“, so Kallies. 

Jedes Klärwerk ist anders

So einfach die Idee klingt, so schwierig ist es, sie umzusetzen. Kein Klärwerk gleicht komplett dem anderen. Die Zusammensetzung der Abwässer unterscheidet sich. Die Art der Reinigung ist nicht zu 100 Prozent identisch. Die Kanalisationsnetze sind nicht gleich lang, sodass die Abwässer unterschiedlich lange unterwegs sind. Wetterereignisse wie Starkregen verdünnen die Abwässer. Bei Trockenheit werden ihre Bestandteile konzentriert. Es fehlt an Wissen, wie lange es dauert, bis sich die Viruspartikel im Abwasser abgebaut haben.

Was den Vergleich mit tatsächlich nachgewiesenen Erkrankungen zusätzlich erschwert: Das Einzugsgebiet der Abwässer ist nicht überall identisch mit der Stadt oder dem Landkreis, für den die Infektionszahlen gemeldet werden. Das erschwert Rückschlüsse auf die Herkunft der Infektionen. Das größte Klärwerk Schleswig-Holsteins in Hetlingen an der Elbe beispielsweise sammelt auch Abwässer aus Hamburgs Westen. Für solche Situationen müssen die Wissenschaftler verlässliche Parameter entwickeln. Dabei arbeiten sie auch mit anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden zusammen, die solche Methoden ebenfalls etabliert haben. 

Sichere Lockerungen

Die Hamburger Bürgerschaft erhofft sich von dem Abwasser-Monitoring mehr als nur eine Auskunft über das Infektionsgeschehen und damit eine Information darüber, ob es unter Kontrolle ist: „Sichere Lockerungen könnten so schneller und mit kontrolliertem Risiko vorgenommen werden“, so die Abgeordneten von SPD und Grünen in ihrem Antrag. Zusätzlichen Nutzen könnten zudem „realisierbare Ansätze zur dezentralen Probenahme mit dem Ziel einer regionalen Eingrenzung des Infektionsgeschehens“ bieten. Das alles soll nun geprüft werden und der Senat der Bürgerschaft darüber bis zum 30.06.2021 berichten. 

Im Sommer, so die Hoffnung, werden die Infektionenzurückgehen. Schließlich werden dann immer größere Teil der Bevölkerung geimpft sein. Möglicherweise geht mit der Zahl der Infizierten und Schwerkranken auch die Zahl der Routine-Testungen zurück. Würden die Abwässer weiter regelmäßig beprobt, könnte ein Aufflammen von Infektionsherden jedoch frühzeitig erkannt werden und das Abwasser-Monitoring könnte so zum Frühwarnsystem werden. Keine Viren – Entwarnung. Die Viruslast steigt, Mutationen nehmen zu – Alarm! Rheinland-Pfalz, das sich ebenso wie Hamburg am Abwasser-Monitoring beteiligt, hält man „die Weiterentwicklung zu einem Frühwarnsystem auch für andereKrankheitserreger für denkbar“, so das Umweltministerium in einer Pressemitteilung. So sieht es auch die Hamburgische Bürgerschaft: „Hilfreich könnte eine schnelle Etablierung einer solchen Messmethodik auch als Vorbereitung auf zukünftige Pandemien sein.“ Und die kommen bestimmt, ebenso wie in den vergangen Jahrhunderten.

 

weiterführender Artikel