Deutsch-Französische Partnerschaften

Vive l'amitié!

Julia Korbik17. November 2016
Städtepartnerschaft Herne und Hénin-Liétard 1954
Die Städtepartnerschaft zwischen Herne und Hénin-Liétard beginnt im Jahr 1954
Es lebe die Freundschaft! Deutsch-französische Partnerschaften sind Erfolgsgeschichten, auch wenn sie heute mitunter weniger lebendig sind. Berichte aus Marpingen und Herne.

Von der deutsch-französischen Freundschaft gibt es viele Bilder: Helmut Kohl und François Mitterrand Hand in Hand auf dem Soldatenfriedhof von Verdun. Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing beim gemeinsamen Schachspiel. Gerhard Schröder und Jacques Chirac zusammen im Dresdener Café, Bier in der Hand. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy unterm Regenschirm. Und natürlich: Konrad Adenauer und Charles de Gaulle 1963 bei der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages.
Das Fundament für diesen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag wurde direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelegt – von den Städten und Kommunen. Sie waren es, die das Verhältnis der ehemaligen „Erbfeinde“ normalisierten und eine Annäherung der beiden Völker ermöglichten. So entstanden schon vor 1963 120 Partnerschaften zwischen deutschen und französischen Städten, heute sind es mehr als 2200.

Traum vom friedlichen Europa“

Die erste kommunale Partnerschaft wurde 1950 zwischen dem baden-württembergischen Ludwigsburg und dem ostfranzösischen Montbéliard geschlossen. Die Initiative ging vom damaligen Bürgermeister von Montbéliard aus, Lucien Tharradin. Er war Widerstandskämpfer, Buchenwald-Überlebender und „gehörte zu denen, die in den schwärzesten Stunden ihres Lebens, im KZ, von einem freiheitlichen, friedlichen Europa träumten“, wie der Ludwigsburger Oberbürgermeister Werner Spec (parteilos) es ausdrückt. Nach dem Krieg machte Tharradin sich daran, seine Vision umzusetzen und nach einer deutschen Partnerstadt zu suchen. Die Wahl fiel auf Ludwigsburg, unter anderem deshalb, weil Montbéliard (deutsch: Mömpelgard) 60 Jahre lang zu einem württembergischen Landesteil gehörte. Spec weist auf andere Gemeinsamkeiten hin: „Montbéliard ist auch vom evangelischen Glauben, vom Pietismus, ein Stück weit mitgeprägt. Es hat Bezüge zu dieser religiösen Vorstellung von Bildungsbewusstsein, Fleiß und Disziplin.“ Kein Wunder, dass der Autohersteller Peugeot in direkter Nachbarschaft zu Montbéliard entstand – und Daimler in Baden-Württemberg. Auch Autos verbinden.

Genauso wie Sport: Die 1973 besiegelte Partnerschaft zwischen dem heute zu Marpingen gehörenden Alsweiler im Saarland und Bertrichamps in Lothringen geht auf ein Handballturnier zurück. Seit 1969 empfing der Sportclub Alsweiler zu seinem jährlichen Pfingstturnier auch ­eine Damenmannschaft aus Bertrichamps. Aus dem sportlichen Austausch wurde eine Städtepartnerschaft. Für Marpingens Bürgermeister Volker Weber zählt dabei vor allem die Ebene der Bürger: „Es gibt etwa keine separate Stelle im Rathaus, die für solche Partnerschaften zuständig ist.“

Wie aus Feinden Freunde werden können

Die deutsch-französische Partnerschaft gilt zu Recht als Erfolgsgeschichte, als Beispiel dafür, dass aus Feinden Freunde werden können – wenn beide Seiten es nur wollen. Sie ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Paar gemeinsam älter wird. Der Zauber des Anfangs ist verflogen, man versteht sich nicht mehr so gut, hört sich vielleicht gegenseitig nicht mehr richtig zu. Zwar ist es um die deutsch-französischen Beziehungen aus Sicht der Bevölkerung gut bestellt: Einer Umfrage von Infratest Dimap 2015 zufolge bewerten 60 Prozent der Deutschen und 59 Prozent der Franzosen das Verhältnis der Länder als stabil. Aber schon bei der Sprache fangen die Probleme an: In Frankreich lernen nur noch circa 15 Prozent der französischen Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen Deutsch – die Sprache Goethes ist für viele dritte Fremdsprache nach Englisch und Spanisch. In Deutschland lernen zwar einer Studie der Zeitschrift „Französisch Heute“ zufolge mehr als 40 Prozent der Gymnasiasten und mehr als 20 Prozent der Realschüler Französisch, aber auch hier entscheiden sich mehr und mehr für Spanisch als Zweitsprache.

Auch auf europäischer Ebene finden die beiden Länder, deren Aussöhnung die heutige Europäische Union erst möglich machte, und die als „Motor“ Europas Integration vorantrieben, bei vielen schwierigen Themen kaum noch eine gemeinsame Sprache. Ob Flüchtlings- oder Wirtschaftspolitik: Das deutsch-französische Tandem ist vom gemeinsamen Weg ein Stück weit abgekommen.

Europa befindet sich in einer Krise

Europa befindet sich in einer Krise, notwendige Reformen sind zum Teil nur schwer durchzusetzen. „Die Rahmenbedingungen sind schwierig. Es ist eine allgemeine Herausforderung, wieder für mehr demokratisches Verständnis in der Gesellschaft zu werben, für die Verantwortung, die jeder einzelne Bürger hat. Denn wir spüren im Moment, dass Freiheit, Frieden einen Preis haben. Das sind Güter, für die wir immer wieder neu aktiv eintreten müssen“, findet Werner Spec. Und wer könnte das besser als Frankreich und Deutschland, die sich in mehreren Kriegen gegenüberstanden – und aus dieser Feindschaft eine Freundschaft machten?

Marpingens Bürgermeister Volker Weber; Foto: Becker & Bredel / Gemeinde Marpingen

Auch die Städtepartnerschaften sind an vielen Orten weniger lebendig, als sie es vor ein paar Jahrzehnten waren. Vielleicht, weil für die heutige junge Generation die deutsch-französische Partnerschaft etwas Selbstverständliches ist, etwas, an dem man nicht mehr arbeiten muss. Vielleicht, weil das Interesse am Nachbarn nachgelassen hat. „Dass der Austausch zwischen Marpingen und Bertrichamps etwas weniger geworden ist, hat vielfältige Gründe“, stellt Volker Weber fest. „Grundsätzlich könnte man sagen: Das ist mittlerweile eher eine zwischenmenschliche Sache, weniger institutionell.“ Das funktioniert in Marpingen auch deshalb so gut, weil die Grenze zu Frankreich nicht weit entfernt ist. „Um zu sehen, was Europa bedeutet, was offene Grenzen bedeuten, sollte man einfach mal ins Saarland kommen“, sagt Weber.

Herne: Beziehungen zu Hénin-Beaumont liegen auf Eis

Dass der Austausch mit der Partnerstadt geringer wird, kann auch politische Gründe haben. So bei der Ruhrgebietsstadt Herne und ihrer nordfranzösischen Partnerstadt Hénin-Beaumont. Beide Städte waren in der Vergangenheit durch den Bergbau geprägt – und der brachte sie denn auch zusammen: Am 10. März 1906 ereignete sich im nordfranzösischen Département Pas-de-Calais das damals größte Grubenunglück der Welt, die „Katastrophe von Courrières“. Mehr als 1000 französische Bergleute starben. Es wären noch mehr gewesen, hätte sich nicht ein Rettungsteam der Herner Zeche Shamrock und der Gelsenkirchener Zeche Rheinelbe direkt am nächsten Tag auf den Weg ins Nachbarland gemacht. Ein Zeichen der Völkerverständigung zu einer Zeit, als Deutschland und Frankreich sich noch in herzlicher Abneigung verbunden waren. 1954 wurde die Partnerschaft zwischen Herne und Hénin-Liétard besiegelt, Beaumont kam im Zuge der französischen Gebietsreform 1971 dazu.

Seitdem hat sich viel geändert: Seit 2014 heißt Hénin-Beaumonts Oberbürgermeister Steve Briosis – und der ist vom rechtspopulistischen Front National (FN). Die Beziehungen zwischen den beiden Städten liegen nun auf Eis, das Herner Rathaus hat die Kontakte abgebrochen. „Der Front National ist mehr als nur rechtspopulistisch“, sagt der Herner Oberbürgermeister Frank Dudda. „Der Übergang zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist dort fließend.“ Hinzu komme, so Dudda, dass Hénin-Beaumont nicht „irgendein Wahlkreis“ des FN sei: „Die Stadt ist das Zentrum von Marine Le Pen. ­Briosis ist Vizepräsident der Partei. Sich mit ihm fotografieren zu lassen, wäre ein Politikum und würde in Frankreich sehr genau registriert.“ Duddas Vorgänger Horst Schiereck sagte deshalb 2014 den Festakt zum 60-jährigen Bestehen der Partnerschaft ab. Auf Bürgerebene allerdings findet der Austausch weiter statt. Seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr hat Dudda bereits drei Schulklassen aus Hénin-Beaumont empfangen, der Herner Partnerschaftsverein Sektion Hénin-Beaumont fährt weiterhin einmal im Jahr ins Nachbarland.

Trotz aller Probleme und Herausforderungen sieht Volker Weber die Zukunft der deutsch-französischen Freundschaft und der Städtepartnerschaften positiv: „Städtepartnerschaften bieten ja glücklicherweise auch die Möglichkeit, mal den Finger in die Wunde zu legen.“ Wo die Politik nicht weiterkommt, funktioniert die Völkerverständigung auf zivilgesellschaftlicher Ebene manchmal besser. Werner Spec appelliert: „Gerade jetzt, wo Europa in einen Schlingerkurs geraten ist, sind wir natürlich besonders darauf angewiesen, dass Deutsche und Franzosen sich ihrer Verantwortung für das gemeinsame Europa bewusst sind.“ Staatsbesuche und gemeinsame Gedenkfeiern mögen bessere Fotomotive abgeben – aber erst durch die Kommunen wird die deutsch-französische Freundschaft tatsächlich gelebt.

Interessante Links: Eine virtuelle Ausstellung über Zeitzeugen der Partnerschaft Ludwigsburg-Montbéliard