Energiewende und Klimaschutz

Wärmewende in Hennigsdorf

Harald Lachmann08. November 2022
Stolz auf die innovative Energiegewinnung: Bürgermeister Thomas Günther (SPD)
Die Stadt Hennigsdorf betreibt eine innovative Drehscheibe zur Wärme-Verteilung, größtenteils aus Erneuerbaren Energien – mit moderaten Kosten.

Wer mit der Berliner S-Bahn nach Hennigsdorf kommt, passiert hier vor dem Bahnhof linker Hand ein bunt plakatiertes Silo, das an einen riesigen Betonmischer erinnert. Tatsächlich ist das 18 Meter hohe Gebilde vor dem Hauptsitz der Hennigsdorfer Stadtwerke ein Speicher – zum Zwischenpuffern von 1.000 Kubikmetern Heizwärme.
Insider sehen das als Botschaft: Hier läuft energetisch manches anders als anderswo. Immerhin kommen auf fast  jeden der 27.000 Einwohner rund zwei Meter Fernwärmeleitung. Vier Fünftel aller Wohnungen – etwa 11.090 Einheiten – plus 39 kommunale Einrichtungen sowie 80 Gewerbebetriebe werden so zentral über ein Netz beheizt. Die Stadtwerke hatten es aus vier früheren Einzelnetzen zu einem hydraulischen Gesamtverbund verknüpft, in das unterschiedliche Quellen ihre Energie speisen.

Es herrscht Zwang zum Anschluss

Der Speicher in Hennigsdorf kann bis zu 1.000 Kubikmeter Heizwärme bevorraten.

Eine Hennigsdorfer Besonderheit bestehe übrigens darin, so Bürgermeister Thomas Günther (SPD), „dass wir per Satzung Anschlusszwang an dieses Netz haben“. Das gelte auch für neue Gebäude. Indes könnten sich Bauherren davon befreien lassen, wenn „sie nachweisen, dass sie ihre Wärmeversorgung selbst auf regenerativer Basis regeln, etwa per Wärmepumpe“. Doch für die meisten lohne das nicht angesichts jenes bereits vorhandenen Fernwärmenetzes: Es basiert zu 80 Prozent auf regenerativen Energien, „was für Häuslebauer von vornherein lukrativ ist“, ergänzt Stadtwerke-Chef Christoph Schneider. „Denn unsere Infrastruktur qualifiziert die Bauherren damit auch für entsprechende Förderprogramme.“ Schneider schaut aus dem Fenster: Obwohl es ein arg bewölkter Sommertag ist, weiß er, „dass Hennigsdorf heute zu 100 Prozent regenerativ versorgt wird“. Das schaffe man freilich nur im Sommer, im Jahresschnitt seien es 80 Prozent.

Abwärme aus Industrie recycelt

Begonnen hatte alles 2006, erinnert sich Thomas Günther. Ein Heizkraftwerk musste erneuert werden, und nach ausgiebiger Debatte entschied man sich für das Beschicken mit Holzhackschnitzeln. Ermutigt davon, errichteten die Stadtwerke noch ein Biomasse-Heizkraftwerk sowie ein Bioerdgas-Blockheizkraftwerk und investierten in Solaranlagen. Schließlich entstand zudem die Idee, Abwärme aus den ortsansässigen Elektro­stahlwerken nicht länger durch den Schornstein zu jagen, sondern für die Fernwärme quasi zu recyceln. Das laufe über eine Vergütungsvereinbarung, da man im Kraftwerk erst eine 1,2 Kilometer lange Fernwärmetrasse schaffen musste,  „und wir ja damit auch ein Stück weit in den Produktionsprozess eingreifen“, so Schneider. Doch diese sei moderat.

Es mag Puristen geben, die diese energetische Zweitverwertung aus einem Stahlwerk nicht als „regenerativ“ bewerten. Doch Schneider widerspricht hier. Zum einen veredle man damit eben Energie, die sonst ungenutzt verpuffe, zum anderen sollten „gerade Kommunen in genau dieser Vielfalt denken“. Denn wer einen hohen Anteil regenerativer Quellen nutze, brauche im Netz eine ständig verfügbare Konstante. Solarthermie bilde dabei die größte Herausforderung: „Sie steht eben nur im Sommer und nur am Tag zur Verfügung, und wir schaffen es nicht, sie mit noch so großen Speichern in den Winter zu ziehen …“

Fünf Millionen Euro Förderung

Anderswo sieht man das offenbar ähnlich. Denn wegen der signifikanten Verringerung des CO2-Ausstoßes erhielt die Stadt 2021 gleich zwei Ehrungen: Bundesumweltministerium und Deutsches Institut für Urbanistik kürten sie zur „Klimaaktiven Kommune“ und die Zeitung für kommunale Wirtschaft verlieh ihr ihren Nachhaltigkeits-Award. Zudem beteiligt sich der Bund mit rund fünf Millionen Euro – etwa einem Viertel der Gesamtkosten – an einem hochgradig innovativen Programm, das sich ­„Erneuerbare Fernwärme 2020 – das multifunktionale Fernwärmenetz als Wärmedrehscheibe“ nennt.

Unter „Wärmedrehscheibe“ summieren sich mehrere dezentrale Einspeisepunkte in das Fernwärmenetz sowie Pufferkapazitäten – wie jener Großspeicher an den Stadtwerken, um Schwankungen in der Wärmeerzeugung und den Verbrauchslastspitzen auszugleichen. Ziel sei es, so Schneider, die Wärme zwischen den einzelnen Erzeugern optimal zu verteilen und sie gegebenenfalls von einem Quartier zu einem anderen zu verschieben, ohne dass Verluste entstehen.

Hierfür tüfteln seine Ingenieure an einer intelligenten Netzsteuerung. Sie soll 2023 fertig sein. Im Stahlwerk entsteht ein zweiter, deutlich größerer Speicher zum Zwischenbunkern von Abwärme. ­Allein diese Komponente, die nicht an Weltmarktpreise für Öl und Gas gekoppelt ist, mache die Heizkosten – trotz anfänglich hoher Investitionen – perspektivisch kalkulierbar, versichert Günther.