Waldwirtschaft

Wald für Generationen

Maicke MackerodtUwe Roth19. Oktober 2021
Mitten im Wald – ein Schatz, der mit all seinen Funktionen für die Zukunft erhalten werden muss.
Wälder dienen der Erholung oder dem Sport, sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen, liefern Holz und sind essenziell für den Natur- und Klimaschutz. Schlaglichter nachhaltiger Waldwirtschaft aus Brilon, Remscheid und Heilbronn.

Ein Fünftel der deutschen Waldflächen – 11,4 Millionen Hektar – sind in der Hand der Kommunen, sie gehören den Bürgerinnen und Bürgern. Der Wald vor der Haustür oder nahe der Stadt prägt seine Bewohner und Bewohnerinnen, die sich dort erholen und Natur erleben können. „Der Kommunalwald ist dem Gemeinwohl verpflichtet. Dieses Gemeinwohl hat eine ökologische, eine soziale und eine ökonomische Dimension“, heißt es in einer Broschüre, die nach einem gemeinsamen Symposium vom Deutschen Städte- und Gemeindebund mit der Naturschutzorganisation NABU entstanden ist.

Diese Interessen gilt es auszubalancieren, wie Beispiele aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zeigen. Im nordrheinwestfälischen Remscheid haben engagierte Bürgerinnen und Bürger 2013 eine Wald-Genossenschaft gegründet, die erste und bislang einzige dieser Art in Deutschland. Im Sauerland wurde aus dem Stadtwald in Brilon ein „Bürgerwald“ – und Brilon 2017 zur Waldhauptstadt gekürt. Ziel bei beiden Projekten: Einen ökologisch wertvollen Wald erhalten und Erholungsgebiete für alle schaffen. Ein gutes Beispiel liefert auch die Stadt Heilbronn, wo man erkannt hat, dass ältere und dicke Bäume nicht nur die Artenvielfalt im Wald erhöhen, sondern sich auch besser vermarkten lassen.

Brilon: Ökologische Wiederbewaldung nach dem Sturm

Die alte Hansestadt Brilon liegt im Nordosten des Sauerlands an der Quelle der Möhne. Die Stadt ist nach Baden-Baden der zweitgrößte kommunale Waldbesitzer in Deutschland. Mit beachtlichen 78 Quadratkilometern ist der Wald größer als Manhattan. Dann kam Kyrill, und knapp 1.000 von den insgesamt 7.750 Hektar Gemeindewald fielen 2007 dem Sturm zum Opfer, der mit Windstärken von teilweise mehr als 200 Kilometern pro Stunde in Brilon tobte. „Der Anblick der umgestürzten Bäume in dem seit Jahrzehnten gepflegten Wald und die vielen Kahlflächen waren ein Schock“, so Bürgermeister Christof Bartsch (SPD). Daraus entstand die Idee des Bürgerwaldes: Alle sollte die Möglichkeit haben, einen Baum zu pflanzen und so ihren Beitrag zur Wiederbewaldung zu leisten. „Kyrill war das Signal für eine nachhaltige, artenreiche, klimaresistente Wiederaufforstung. Genau das spiegelt sich auf der Fläche des Bürgerwaldes wider, zumal Kyrill uns schmerzhaft vor Augen geführt hat, wie labil die Ökosysteme im Klimawandel sind.“

Im Jahr 2011 wurde begonnen, auf dem 20 Hektar großen, leergefegten Hügel Poppenberg (605 Meter) den „Briloner Bürgerwald“ anzulegen. Die Forstwirte hatten zu Pflanzaktionen aufgerufen, 4.500 Briloner kamen: Vereine wie der muslimische Kulturverein, private Gruppen oder die Jäger, alle haben Bäumchen gesetzt. Heimische Firmen sponsern ihnen gewidmete Waldstücke, die SPD pflanzte eine Rotbuche. Auch der vorwärts-Verlag engagiert sich bei diesem Projekt. Der Bürgerwald-Ansatz hat sich für Christof Bartsch „vollständig etabliert“. Auch junge Menschen sind dabei: Kindergärten, Schulen, Jugendverbände. „Wahres Umweltbewusstsein beweisen unsere Firmen, wenn sie, statt Rabatte zu gewähren, ihren Kunden einen Baum schenken.“

Mittlerweile wurde das Bürgerwaldkonzept auf den gesamten Briloner Stadtwald ausgedehnt, sodass er 2.500 Hektar groß geworden ist. Dort wachsen mehr als 50.000 neu gepflanzte Bäume – wie Aspe, Bergahorn, Douglasie, Eibe, Elsbeere, Faulbaum, Mammut- und Ginkgobaum. Der Wald soll als Einnahmequelle Brennstoffe und Rohstoffe für die Industrie liefern und auch Erlebnis-, Sport- und Freizeitwald sein. Die Umsetzung in eine naturnahe, ertragsorientierte, klimaresistente Waldwirtschaft inklusive des einzigartigen Bürgerengagements sind für das weltweit renommierte Waldzertifizierungsinstitut PEFC so „mustergültig gelungen“. Deswegen wurde Brilon 2017 zur Waldhauptstadt gekürt.

Remscheid: Genossenschaft von Waldbesitzern

Waldbesitzer zu werden, ist in Remscheid seit 2013 ganz unkompliziert. Einfach für mindestens 500 Euro Genossenschaftsanteile erwerben und sich so für den Erhalt des privaten und des kommunalen Waldes einsetzen. „Die Idee der Genossenschaft ist alt – die Umsetzung für unseren Wald zeigt, dass sie topaktuell ist“, sagt Remscheids Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz (SPD). „Wald als Lebensraum zu erhalten und ihn nur nicht unter Gewinnerzielungsabsicht zu stärken, ist ein spannender Prozess und ein wunderbarer Beitrag für eine Stadtgesellschaft, die von dem Engagement der Waldgenossenschaft profitiert.“

Wald 2.0, wie die genossenschaftliche Initiative ursprünglich hieß, hat ihren Sitz im hügeligen Remscheid. Entstanden ist die Idee, als im benachbarten Stadtwald 2013 plötzlich große Areale gerodet wurden. Forstverband, Politik, Juristen und Banker schlossen sich zu einem einzigartigen Bündnis zusammen und kaufen seitdem als Genossenschaft kleine Waldstücke von Privatleuten an. Das Problem in Nordrhein-Westfalen: Fast 70 Prozent des Waldes gehört Privatleuten. Auch der Privatwald in Remscheid besteht aus unzähligen unbewirtschafteten Parzellen von oft nicht mehr als zwei Hektar. Nicht selten wird an private Investoren verkauft, die der Rendite wegen einfach abholzen. Die Remscheider Genossenschaft kauft den Wald von verkaufswilligen Eigentümern und legt ihn in die Hände möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger. Wer mitmachen will, kauft einen Anteilsschein oder bringt eine eigene Waldparzelle ein. Die Hälfte der 315 Anteilskäufer sind Remscheider, der Rest kommt aus ganz Deutschland.

„Über Wahlperioden und Parteigrenzen hinweg Zukunft so zu gestalten, dass die nächsten Generationen auch eine gute Zukunft haben. Dabei spielt ein gesunder Wald eine wichtige Rolle,“ erläutert SPD-Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz seine Nachhaltigkeitsstrategie. Wirtschaftlich arbeitet Wald 2.0 bisher nur, weil viele der Genossenschaftlerinnen und Genossenschaftler ehrenamtlich mitarbeiten und auf ihre Dividende verzichten. Mit dem Gewinn werden weitere Waldstücke gekauft, gut 80 Hektar sind es inzwischen. Zehn Prozent der Flächen werden sich selbst überlassen, sodass ein Art Nationalpark-Urwald entsteht. Natürlich werden alte Bäume geschlagen und verkauft, um den Wald zu verjüngen und Monokulturen vorzubeugen. Es gibt Waldpflanzaktionen mit Schulklassen und zuletzt setzte die Genossenschaft gezielt Laubhölzer, um ihren Wald langfristig ökologisch umzubauen. Ihr Ziel: wertvollen Wald erhalten, multifunktional bewirtschaften und als Erholungsgebiet sicherstellen.

Heilbronn: Multifunktionalen Schatz für die Zukunft erhalten

Man kennt den Heilbronner Wein – zumindest in Baden-Württemberg. Für dessen Wälder ist die 126.000-Einwohner-Stadt fünf Kilometer nördlich von Stuttgart weniger bekannt. „Als Wirtschaftsfaktor spielt der Stadtwald eine untergeordnete Rolle“, sagt Immanuel Schmutz, Leiter der Abteilung Forst und Landwirtschaft im Rathaus. Der Kämmerer ist froh, wenn die Einnahmen aus dem Holzverkauf den Aufwand für die Pflege decken. Doch in der Folge des Klimawandels werden die rund 1200 Hektar Forst für die Naherholung immer wichtiger. Das sind 15 Prozent der Stadtgemarkung.

An heißen Sommertagen spaziert niemand gerne durch die schattenlosen Weinberge. In den Wäldern jedoch können die Städterinnen und Städter selbst bei Temperaturen von über 30 Grad Celsius durchatmen. Wenn die Sonne auf den zentralen Kiliansplatz brennt und sie die Passantinnen und Passanten in den Schatten treibt, sind die Waldparkplätze als Anlaufstelle zur Stadtranderholung voll und abends die zehn Grillplätze belegt. Der oberste Stadtförster weiß, was er zu tun hat, um die Multifunktionsfläche Wald in Schuss zu halten, diese zukunftsfähig zu machen und um damit den Erwartungen seines obersten Chefs zu entsprechen: „Der Stadtwald ist ein beliebter Erholungsraum für die Heilbronnerinnen und Heilbronner“, sagt Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD). Gleichzeitig sei der Wald „wertvoller Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten“. Und er liefere Holz „als wichtigen nachwachsenden Rohstoff“. Der Arbeitsauftrag lautet: „Diesen Schatz mit all seinen Funktionen für die Zukunft zu erhalten, ist derzeit die wichtigste Aufgabe unserer Forstleute.“

Für die Forstleute, das sind neben dem Amtsleiter zehn Mitarbeitende plus vier Auszubildende, bedeutet das einen Umbau bei laufendem Betrieb. Eine Großbaustelle Wald will niemand sehen. „Seit drei Jahren nehmen Schäden zu. Inzwischen sind 95 Prozent der Bäume geschädigt“, stellt Schmutz fest. Der bisherige Plan lautet: „Totholz stehenlassen.“ Der Sinn dahinter muss nicht nur dem Gemeinderat, sondern auch der Öffentlichkeit erklärt werden. „Wir fällen nur dort, wo erkrankte oder tote Bäume auf die Wege fallen und Fußgänger verletzen könnten.“ Verkehrssicherungspflicht nennt sich das. Der Wald soll sich aus eigenen Kräften natürlich verjüngen. Nur wo die Verjüngung von allein nicht klappt, werden Bäume nachgepflanzt. „Im Fokus stehen Baumarten, die bei uns in der Natur bereits vorkommen und mit der Klimaveränderung klarkommen“, sagt er. Das seien die Hainbuche, die Esche und die Vogelbeere. Laubholz geht vor Nadelholz. Die kommerzielle Holzwirtschaft will Schmutz dennoch nicht vernachlässigen – auch aus Gründen des Klimaschutzes. „Holz ist als Baumaterial allen anderen Baustoffen haushoch überlegen“, sagt er mit Verweis auf die Produktion von Beton, dessen Gefährlichkeit als Beitrag zum Klimagas CO2 inzwischen unbestritten ist. Der Holzverkauf an die Bau- und Möbelindustrie sei durchaus der Beitrag einer Kommune zum Klimaschutz.

Lob für starke Bäume

Lob kommt für diesen Ansatz vom NABU. „Starke Buchen und Eichen machen den Wald nicht nur deutlich vielfältiger, sondern eröffnen der Stadt neue Vermarktungsmöglichkeiten“, heißt es vom Landesverband in Stuttgart. Vorsitzender Johannes Enssle sagt: „Klar ist, dass man versuchen muss, wie an der Börse das Risiko möglichst breit zu streuen. Je größer die Baumartenvielfalt, desto besser.“ Allerdings müsse das Ökosystem, dennoch naturnah sein. „Wenn wir jetzt anfangen, einen forstbotanischen Garten aus lauter exotischen Baumarten zu pflanzen, wird das nicht funktionieren.“

Es müssten möglichst naturnahe, reich strukturierte Wälder sein mit mindestens 70 Prozent heimischen Baumarten, empfiehlt der Waldexperte. Damit das gelinge, also damit Eiche, Ahorn, Elsbeere und Speierling eine Chance hätten, „spielt die richtige Bejagung eine wichtige Rolle“, so Enssle. „Denn im Moment frisst vielerorts das Rehwild die Naturverjüngung auf.“ Pflanzungen seien aber teuer und wesentlich weniger resilient, da es Baumschulmaterial sei und die Pflanzen nicht so gut wurzelten wie bei Naturverjüngung. Der Wildbestand ist im Heilbronner Stadtwald ein doppeltes Problem, nicht nur eines für den Schutz des Jungbaumbestands: „Wildschweine gehen bei uns auch gerne in die Weinberge“, sagt Schmutz. Eine Bejagung sei daher auch im Interesse der Weinbauern. Und die setzen auf Verbraucherinnen und Verbraucher, die einen Rotwild- und Wildschweinbraten schätzen.