Bauprojekt auf ehemaligem Zechengelände

Wandel am Kanal

Silke Hoock 07. Juli 2016
Auf der Zechenbrache werden in einigen Jahren um einen neuen See Wohnungen und Geschäfte entstehen.
Der Bergbau in Bergkamen wurde abgeschafft. Nun entsteht auf dem Gelände der Zechenbrache Haus Aden die städtebaulich ambitionierte Wasserstadt Aden.

Wenn das helle Klingeln ertönte, ging es bergab. Dann raste der Förderkorb in 1400 Meter Tiefe. Dort, im Dunkel der Erde, gab es etwas, das Wohlstand verhieß und Unabhängigkeit: Kohle. All das geht Peter Schedalke durch den Kopf, wenn er zurückkehrt an den Ort, an dem es über Jahrzehnte laut und betriebsam zuging. Doch das Stimmengewirr, das gewaltige Schlagen von Eisen, das schrille Horn der Zechenbahn, das stetige Rattern der Förderbänder – all das spielt sich nur noch im Kopf des ehemaligen Bergmanns ab.

Euphorie des Aufbruchs

Denn der Bergbau wurde in Bergkamen, der einst größten Bergbaustadt Europas, längst abgeschafft. Dort, wo 6000 Kumpel im Schichtbetrieb ranmussten, um das schwarze Gold zu Tage zu fördern, erinnert lediglich ein kleiner, stolzer Förderturm an die ruhmvolle Geschichte. Doch die Trauer um den Verlust dieses Industriezweiges könnte gerade hier auf dem ehemaligen Gelände des Bergwerks Haus Aden einem anderen, vergessenen Gefühl weichen: der Euphorie des Aufbruchs. Denn hier entsteht die Wasserstadt Aden. Wo noch bis zum Jahre 2001 Kohleschiffe beladen wurden, am Ufer des Datteln-Hamm-Kanals, werden in Zukunft schwimmende Häuser, Ufervillen und Geschäfte entstehen. Das rund 50 Millionen Euro schwere Projekt, das das Land Nordrhein-Westfalen und der Bund mit rund 12,6 Millionen Euro bezuschussen werden, feierte gerade den ersten Spatenstich. 4,8 Millionen Euro ist der Eigenanteil der Stadt. Die Differenz wird aus zusätzlichen Einnahmen wie den Grundstückserlösen und entsprechenden Erschließungsbeiträgen finanziert.
 

Bürgermeister Schäfer: „Es ist das wichtigste Entwicklungsprojekt der Stadt“

In Bergkamen, wo die SPD die Mehrheit im Rathaus hat, ist man stolz auf die Wasserstadt. „Es ist das wichtigste Entwicklungsprojekt der Stadt. Wir werden hier einen überregional bedeutsamen Attraktionspunkt schaffen, der in dieser Form in der Bundesrepublik einzigartig ist“, sagt Bürgermeister Roland Schäfer (SPD). Er weiß, wie wichtig es ist, dieses Leuchtturmprojekt zu realisieren. Denn die 51.000-Einwohner-Stadt, die durch Steinkohle und Chemieindustrie geprägt wurde, hat massiv Arbeitsplätze verloren und ihr Bild in der Region – und zum Teil auch in der eigenen Bürgerschaft – ist immer noch eher negativ. Schäfer betrachtet daher den städtischen Eigenanteil am Projekt als „gut angelegtes Geld“.
Doch was macht die Wasserstadt Aden tatsächlich so einzigartig? Ist es die Möglichkeit an einer Gracht zu wohnen oder den eigenen Bootssteg vor der Haustür zu haben? Oder ist es die Wiederbelebung einer mehr als 50 Hektar großen Brachfläche, der letzten Hinterlassenschaft eines Bergbaus in Bergkamen, als ein Wohn-, Gewerbe- und Freizeitquartier? Beides. Die Alleinstellungsmerkmale des Projektes erläutert Dr. Hans-Joachim Peters, Erster Beigeordneter in Bergkamen und Verantwortlicher Projektleiter so: Alleinstellungsmerkmal der Wasserstadt Aden ist der neue Adensee mit seinen vielfältigen Funktionen: Er ist schiffbar und barrierefrei, also ohne Schleuse. Er wird mit der Bundeswasserstraße, dem Dattel-Hamm-Kanal, verbunden, sodass Skipper von dort auf große oder kleine Fahrt gehen können. Er ist Bauland für schwimmende Häuser und Ufervillen, die über den See hinausragen. Die Grundstücke am See können eigene Bootsanleger haben. Sie haben damiteine doppelte Erschließung: zum einen auf dem Landweg über Straßen und zum anderen über den Wasserweg.

Einbindung des Elementes Wasser

Dass diese Pläne tatsächlich Wirklichkeit werden, war nicht immer selbstverständlich. Dem Ergebnis gingen viele Jahre mühevoller Arbeit voraus. Als das Bergwerk, der damals größte Arbeitgeber der Stadt im Jahr 2001 geschlossen wurde, hätte man im Rathaus wohl am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt. Doch noch im selben Jahr wurde in ­einem Workshop unter Beteiligung des Landes, des Grundstückseigentümers (RAG Montan Immobilien GmbH/RAG MI), der Stadt, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Unna und zweier Planungsbüros über zukunftsfähige Nachfolgenutzungen beraten. „Grundlage war die Zielvorgabe, einen multifunktionalen Standort mit besonderer städtebaulicher Einbindung des Elementes Wasser in hochqualitativer Form zu entwickeln“, berichtet der Erste Beigeordnete. Das Büro PASD, Feldmeier und Wrede aus Hagen, hat damals die Idee einer Wasserstadt entwickelt. Allen Beteiligten gefiel das.

Um sich ganz und gar auf dieses eine Ziel konzentrieren zu können, nämlich die Nachfolgenutzung für die Zechenbrache zu entwickeln und die Machbarkeit nachzuweisen, wurde im Jahr 2006 die Projektgesellschaft Haus Aden mbH zwischen der Stadt Bergkamen (51 Prozent) und RAG Montan Immobilien (49 Prozent) gegründet. Im Jahr 2007 wurde die Planungsphase beendet mit dem Ergebnis: Die Wasserstadt ist umsetzbar. Dann musste die Machbarkeit nachgewiesen werden. Das Land musste davon überzeugt werden, dass eine ehemalige Bergbaustadt am Randes des Reviers „Wohnen am Wasser“ braucht, um zukunftsfähig zu sein. Denn nur so konnten die Verantwortlichen sicher sein, dass die Wasserstadt Aden aus Bundes-, Landes- oder EU-Mitteln gefördert wird. Die Projektgesellschaft bereitete entsprechende Förderanträge bis zur Bewilligung vor. Am Ende gelang es, in einer externen Machbarkeitsstudie davon zu überzeugen, dass eine Förderung der Ballungsrandzone sinnvoll ist und strukturelle Positiveffekte für die gesamte Region/Metropole Ruhr erwirkt werden. Die erste Bewilligung erfolgte im Jahr 2011. Die Projektgesellschaft wurde inzwischen aufgelöst.

„Kein Reichen-Ghetto“

Doch wer soll hier vor Anker gehen? Ist das Wohnen am Wasser bezahlbar, und wen wollen die Stadtväter an den Adensee locken? Roland Schäfer, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und 1. Vize-Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW, nimmt allen Kritikern den Wind aus den Segeln: „Die Wasserstadt ist als Standort für jedermann aus der gesamten Region gedacht. Es wird hier keinesfalls ein Reichen-Ghetto entstehen“. Die Wasserstadt Aden will unterschiedliche Zielgruppen ansprechen: Familien, Wassersportler, Mieter, Eigentümer. „Dementsprechend entscheidet jeder selbst, was er für sein Haus, seine Immobilie ausgeben möchte. Mehrkosten, die sich aufgrund der Lage an See und Gracht ergeben, wird es nicht geben“, pflichtet Erster Beigeordneter
Peters bei. Auch die Grundstückspreise in den verschiedenen Quartieren seien differenziert. Sie werden zirka zehn Prozent über dem Bodenrichtwert vergleichbarer Wohngebiete liegen. Geplant sind bis zu 300 Wohneinheiten. Zudem ein Lebensmittelmarkt, kleinere Geschäfte, Dienstleistungsbetriebe und Gastronomie direkt am Datteln-Hamm-Kanal. Sporteinzelhandel und Bootseinzelhandel sind ebenfalls willkommen.

Peter Schedalke war Bergmann auf Haus Aden.

Ex-Bergmann Peter Schedalke würde gerne in der Wasserstadt wohnen. „Doch bevor ich einziehen könnte, wäre ich über 80“, bedauert der heute 70-Jährige. Er hofft, dass die Wasserstadt Aden genauso Wirtschaftsmotor sein wird, wie einst Haus Aden. Denn so, wie die ehemalige, nach Angaben von Stadt und RAG nicht kontaminierte Industriefläche jetzt daherkommt, beschleicht ihn nur noch Wehmut. „Hier holt sich die Natur alles zurück. Überall Birken.“ Auch da, wo sich die Kohle meterhoch türmte, oder die Kaue stand oder die Kohlewäsche oder der Holzplatz. „Dann lieber was Neues und Leben und Arbeit.“ Der Mann, der mit 49 Jahren kurz vor dem endgültigen Aus von Haus Aden in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wurde, freut sich, dass seine alte Wirkungsstätte wieder Auftrieb hat.  
Kritik an der Wasserstadt Aden gab es kaum. Offenkundig hat die eigene Geschichte der Stadt die Bedenkenträger zuversichtlich gestimmt. Denn vor 20 Jahren hatte es bei der Umwandlung eines brachgefallenen Industriehafens in das modernste und größte Sportbootzentrum Nordrhein-Westfalens ­beißenden Spott über ein „zum Scheitern verurteiltes Fantasieprojekt“ aus breiten Teilen der Bergkamener Bevölkerung gegeben. Heute ist diese Marina im Stadtteil Rünthe Vorbild für die Wasserstadt, nicht zuletzt deshalb, weil neben fast 300 Bootsliegeplätzen mehr als 35 Betriebe mit rund 800 Arbeitsplätzen angesiedelt wurden.

Binnen drei Jahren baureif

„Dieses Beispiel für erfolgreichen Strukturwandel war unsere Blaupause bei der Konzeptentwicklung der Wasserstadt Aden“, sagt Roland Schäfer. Der Phönix-See in Dortmund, so der OB, war kein Vorbild für Bergkamen. Gemeinsamkeit sei lediglich ein künstlich angelegter See. Der Zeitplan für das Projekt sieht so aus: In den kommenden drei Jahren wird die Fläche baureif gemacht. 1,3 Mil­lionen Kubikmeter Boden werden bewegt, damit der Adensee angelegt werden kann. Ab 2019 beginnt das Marketing, 2027 ­sollen alle Grundstücke vermarktet sein. Wenn in Zukunft auf Haus Aden Schiffe schippern, wird das Bergwerk tatsächlich Geschichte sein. Dann wird Peter Schedalkes Erinnerung und sein mit Kollegen betriebenes Bergbaumuseum noch mehr Zuspruch erfahren als heute. „Glück auf!“, sagt er zum Abschied.