Stickoxide

Wegen Luftverschmutzung: EU-Kommission verklagt Deutschland

Carl-Friedrich Höck17. Mai 2018
Straßenverkehr in Berlin.
Straßenverkehr in Berlin. In vielen Städten sind die Stickoxid-Werte zu hoch.
Weil die Luftverschmutzung vielerorts die EU-Grenzwerte übersteigt, hat die EU-Kommission Klage gegen Deutschland eingereicht. Auch fünf weitere Staaten werden verklagt. Sie hätten „genügend letzte Chancen erhalten“, meint EU-Kommissar Vella.

Die Debatte um Fahrverbote erhält weiteren Auftrieb. Die EU-Kommission verklagt Deutschland, Frankreich und Großbritannien, weil sie die Grenzwerte für Stickstoffdioxid nicht einhalten. Auch hätten diese Länder keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um das Problem schnellstmöglich zu beheben. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wurde auch gegen Ungarn, Italien und Rumänien eingereicht – diese Länder stehen wegen hoher Feinstaubwerte in der Kritik.

Deutsche Luftreinhaltungs-Maßnahmen überzeugten die EU nicht

Der für Umwelt zuständige EU-Kommissar Karmenu Vella sagte nach der Entscheidung am Donnerstag: „Wir haben immer gesagt, dass diese Kommission eine schützende Kommission ist, und unsere Entscheidung folgt diesem Anspruch. Die heute vor dem Gerichtshof angeklagten Mitgliedstaaten haben in den zurückliegenden zehn Jahren genügend ‚letzte Chancen‘ erhalten, um die Situation zu verbessern.“

Die allerletzte Chance ließ die Bundesrepublik demnach im Februar ungenutzt. Erneut sollte sie Maßnahmen vorschlagen, wie sie das Problem mit der hohen Stickoxid-Belastung in den Griff bekommen will. Die Bundesregierung legte einen Maßnahmenkatalog vor, der von einer Förderung für E-Autos über vergünstigte ÖPNV-Tarife bis zu Niedrigemissionszonen für Schwerlastverkehr reichte. Doch die EU-Kommission überzeugte das Paket nicht: Es sei nicht wirksam genug, teilt sie nun mit.

Autohersteller wurden zu wenig sanktioniert

Zum Verhängnis könnte der Bundesregierung nun werden, dass sie sich auf Druck der Unionsparteien bisher nicht dazu durchringen konnte, Hardware-Nachrüstungen für Diesel-PKW einzufordern. Die für Industrie zuständige EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska machte deutlich: „Wir werden die Luftverschmutzung in Städten nur dann erfolgreich bekämpfen können, wenn auch die Autoindustrie ihren Teil dazu beiträgt.“ Hersteller, die weiterhin gegen die Emmissions-Vorschriften verstoßen, müssten die Konsequenzen für ihr Fehlverhalten tragen.

In diesem Zusammenhang hat die Kommission in einem weiteren Vertragsverletzungsverfahren den Druck erhöht. Die Mitgliedsstaaten müssen über wirksame Sanktionssysteme verfügen, um Autohersteller davon abzuhalten, gegen geltendes Recht zu verstoßen. So sehen es die Typgenehmigungsvorschriften der EU vor.

Der Druck auf Deutschland nimmt zu

Deutschland ist nach Ansicht der Kommission bisher unzureichend gegen die Autohersteller vorgegangen, die bei der Zulassung von Dieselfahrzeugen geschummelt haben – etwa mittels einer Abschaltvorrichtung, die den Ausstoß von Schadstoffen in Laborversuchen verringert. Deshalb hat die Kommission ein sogenanntes „zusätzliches Aufforderungsschreiben“ verfasst, das einem offiziellen Auskunftsersuchen entspricht. Nun hat die Bundesregierung zwei Monate Zeit, um zu erklären, welche Sanktionen und Abhilfemaßnahmen sie plant.

Durch die Klage der EU drohen Deutschland nun Strafzahlungen. Die EU-Kommission will Deutschland und andere Länder aber auch aktiv dabei unterstützen, die Luftqualität zu verbessern. In einer Mitteilung vom Donnerstag heißt es dazu: „Um die verkehrsbedingten Luftschadstoffemissionen zu verringern, wird die Kommission ihre Zusammenarbeit mit nationalen, regionalen und lokalen Behörden im Hinblick auf einen gemeinsamen integrierten Ansatz für Zufahrtsregelungen für Fahrzeuge in Städten im Rahmen der EU-Städteagenda weiter ausbauen.“

Städtetag fordert erneut Hardware-Nachrüstungen

Die Klage zeige den Ernst der Lage, kommentierte der Deutsche Städtetag den Vorgang. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy sieht nun den Bund und die Autoindustrie in der Pflicht: „Im Verkehr in der Stadt verursachen Diesel-PKW bis zu drei Viertel der Stickoxid-Emissionen. Wenn die Software-Updates nicht ausreichen, um die Grenzwerte an den Mess-Stationen in den Städten einzuhalten, muss die Autoindustrie zu Hardware-Nachrüstungen verpflichtet werden – und diese auch finanziell tragen.“

Weiter sagte Dedy: „Die Städte sind nicht die Verursacher des Stickoxid-Problems und werden es mit ihren Maßnahmen auch nicht lösen können. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten setzen die Städte viele Schritte für eine stärkere Luftreinhaltung um, erneuern schneller als geplant zum Beispiel ihre Busflotten, bauen die E-Mobilität und den Radverkehr aus und investieren in intelligente Verkehrssteuerung.“ Dazu trage auch der Fonds nachhaltige Mobilität von einer Milliarde Euro bei, mit dem die etwa 90 betroffenen Städte Förderung beantragen können.

Schulze drängt Koalitionspartner zum Einlenken

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) richtete sich nach dem Urteil mit deutlichen Worten an den Koalitionspartner. „Wir bedauern, dass die Kommission unsere bisherigen Anstrengungen – zum Beispiel das Sofortprogramm Saubere Luft – nicht für ausreichend hält. Wenn wir vor Gericht bestehen wollen, brauchen wir größere und schnellere Fortschritte, um die Luft sauber zu bekommen. Darauf zu hoffen, dass sich das Problem von selbst erledigt – wie manche das offenbar tun - ist spätestens jetzt keine Option mehr.” Man brauche jetzt so schnell wie möglich technische Nachrüstungen für Diesel-PKW, und zwar auf Kosten der Automobilhersteller, sagte Schulze.