Kultur

Welche deutschen Städte Europas Kulturhauptstadt 2025 werden wollen

Karin Billanitsch01. Oktober 2019
Dresdner Panorama am Abend. Die Stadt gehört zu den Bewerbern um den Titel „Europas Kulturhaupstadt 2025“.
Das Rennen um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025 beginnt: Chemnitz, Dresden, Gera, Hannover, Hildesheim, Magdeburg, Nürnberg und Zittau haben sich als Bewerberstädte in Berlin präsentiert.

Um 24 Uhr in der Nacht ist die Frist zur Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025“ abgelaufen: Acht deutsche Städte sind jetzt im Rennen: Chemnitz, Dresden, Gera, Hannover, Hildesheim, Magdeburg, Nürnberg und Zittau. Heute haben sich die Bewerberstädte in Berlin präsentiert. Zeitgleich mit Slowenien ist Deutschland berechtigt, für das Jahr 2025 zum vierten Mal eine Europäische Kulturhauptstadt zu stellen.

Bis zum 30. September 2019 hatten deutsche Städte die Gelegenheit, ihre Unterlagen für den Wettbewerb bei der Kulturstiftung der Länder einzureichen. Maximal 60 Seiten durfte das Bewerbungsbuch („BidBook“) umfassen. Die Bewerbungen werden von einer europäischen Jury bei der Vorauswahlsitzung vom 10. bis 12. Dezember 2019 bewertet. Dort dürfen sich die Städte auch präsentieren.

 „Auswahlverfahren ist großartiges Abenteuer“

Der Vorsitzende der Kulturministerkonferenz und Hamburgs Senator für Kultur und Medien, Carsten Brosda sagte an die Bewerberstädte, die auf deutschem Ticket ins Rennen gehen wollen,  gerichtet: „Das ist ein großartiges Abenteuer, auf das Sie sich miteinander begeben werden, in den folgenden Tagen, Wochen, Monaten und Jahren, wenn alles gut geht.“ Der Prozess habe auch viel damit zu tun, sich in der Kommune darüber zu verständigen, welche Bedeutung Kultur eigentlich hat und auch das eigene Kulturangebot zu prüfen und die Bedeutung des Kulturellen vielleicht anders zu akzentuieren, als das sonst der Fall wäre.

„Alle Bewerber um den Titel ‚Kulturhauptstadt Europas 2025‘ haben mit ihrer Bewerbung ein Statement für die europäische Kultur gesetzt. Er wünschte den teilnehmenden Städten im Wettbewerb „gutes Gelingen und die notwendige Kreativität“, die auch über das Auswahlverfahren hinaus wichtige Impulse für die Entwicklung der Städte geben könne.

„Bewerbung stärkt die Kulturentwicklung“

Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, die für die Organisation des nationalen Auswahlverfahrens verantwortlich ist, betonte die nachhaltige Wirkung, die mit einer solchen Bewerbung einhergehen kann: „Die Geschichte des Kulturhauptstadt-Programms ist reich an Beispielen für langfristige positive Veränderungen des Lebensgefühls und der Lebensbedingungen vor Ort.“

Schon mit der Abgabe der Bewerbungsschrift sei die Kulturentwicklung in den Städten gestärkt und die Bürger stärker in die Kultur eingebunden worden. Er drückte die Hoffnung aus, dass so sogar schon nachhlatigere Prozesse angestoßen werden könnten.

Barbara Ludwig: „Chemnitz ist Veränderung“

Um für die Stadt Chemnitz zu werben, war Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig nach Berlin gereist. „Karl-Marx-Stadt-Chemnitz, als eine Stadt mitten in Europa, wollen wir zu einer selbstbewussten europäischen Stadt werden“, sagte Ludwig. „Auf dem Weg dorthin und als Kulturhauptstadt 2025 werden wir das zeigen.“ http://www.chemnitz2025.de/ Das sei nach all den Aufbrüchen, Zusammenbrüchen und Immer-wieder-aufstehen nicht selbstverständlich.

„Unsere Stadt ist viele Städte“ betonte Ludwig in ihrer emotional gehaltenen Rede, mehrere Stadtnamen und Gesellschaftssysteme in mehreren Jahrzehnten, Umbrüche kennzeichneten die Geschichte der Stadt. „Chemnitz ist Veränderung“, konstatiert Ludwig. Aufbrüche machten die kulturelle Dynamik und Vielfalt ihrer Stadt aus“, betonte die Oberbürgermeisterin. Deshalb lautet das Motto der Bewerbung auch: „Opening minds, creating spaces“.

Dresden: „Eine neue Kultur des Miteinanders wird gebraucht“

Für Dresden stellt Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller die Bewerbung vor; sie ist Kuratoriumsmitglied der der Kulturhauptstadtbewerbung und Inhaberin eines Bäckereibetriebs „des ältesten der Stadt“. Dresden „Neue Heimat 2015“ lautet das Motto, das sich an Kultubetriebe, Künstler und Interessierte richtet – aber nicht nur. „Dresden adressiert die gesamte Stadtgesellschaft, denn diese entwickelt unsere Zukunft“, so Kreutzkamm-Aumüller. Jeder, egal ob gebürtiger Dresdner oder Zugezogener, empfinde die Stadt als Kulturstadt.

Aber, um Kulturhauptstadt Europas zu werden, reiche die Gegenwart und Vergangenheit nicht aus, sondern „die Stadt muss einen bedeutenden Beitrag für die Zukunft Europas leisten“. Aber warum, stellte die Rednerin die rhetorische Frage, warum die Stadt, die durch den Bau einer Brücke ihren Status als Weltkulturerbe der UNECO verspielte; warum die Stadt, in der Pegida jeden Montag die Straßen in Besitz genommen hat – ganz zu schweigen von den letzten Wahlergebnissen?

„Gerade weil die Stadt um die eigene Geschichte ringt, gerade weil sich hier soziale Spannungen auf der Straße entladen und gerade weil das friedliche Zusammenleben so zerbrechlich erscheint“ – das ist die Antwort der Dresdner. Dresden könne exemplarisch für ganz Europa stehen – die Stadt will Kulturhauptstadt werden, weil eine neue „Kultur des Miteinanders gebraucht wird.“

Gera: Im Transformationsprozeß

„Ja, hier ist Gera!“, hält Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos) eventuell noch vorhandenen Ungläubigen entgegen, als er die Bewerbung Geras zu Europas Kulturhauptstadt 2025 präsentiert. Mit einem neu zu entdeckenden kulturhistorischen Erbe und vielen neuen Ideen will Vonarb nach seinen Worten die Jury überzeugen. An wenigen Orten sei europäischen Humanismus, Weltoffenheit und Toleranz so verknüpft mit ökonomischem Fortschritt und Zukunftsfreude verknüpft, wie in Gera. „Wir arbeiten an der Europäisierung der eigenen Geschichte, Gegenwart und Zukunft“.

Die Stadt befindet sich in einem Transformationsprozess zwischen „Uranbergbau, Renaturierung, Provinzklischee und Großstadt“, heißt es in dem Bidbook. Die Bewerbung steht für die Idee der kooperierenden Regionen, der vielfältigen Stadt-Land-: Regionen: „Gera 2025 setzt auf den Austausch von Stadt und Region, zwischen Lebensorten, die neue Erlebnisse brauchen“, sagte Vonarb. „Catching the Updraft“, so ist Geras Bidbook überschrieben.: Gera im Aufwind.

Hannover: Enger Bezug zu Großbritannien

Die Stadt Hannover hatte sich dafür entschieden, ihre dreiminütige Rede durch die Schauspielerin Hannah Gibson präsentieren zu lassen. „Wer, wenn nicht eine Britin, könnte den Ansatz unserer Bewerbung gerade besser erzählen?" fragt Hannovers Erste Stadträtin Sabine Tegtmeyer-Dette. Sie verweist auf den Brexit und will Hannovers enge geschichtliche Verbindungen zu England auch in Zukunft vertiefen: „Wir planen in Hannover 2025 gemeinsame Projekte mit den aus dem Kulturhauptstadtverfahren 2023 ausgeschiedenen, englischen Bewerberstädten.“

So betrat die gebürtige Engländerin die Bühne und machte – in reinstem British English deutlich, dass sich die Europäische Union mit schwierigen Problemen konfrontiert sieht: Wie kann es sein, dass ein Land nicht mehr Mitglied sein möchte; dass Menschen dafür kriminalisiert werden, wenn sie Leben anderer retten, dass Journalisten in manchen Teilen Europas um ihr Leben fürchten müssen und dass unsere Kinder uns daran erinnern müssen dass es keinen „Planeten B“ gibt. Europäische Städte müssen reagieren auf die Krisen, mit denen sich die Europäische Union auseinandersetzen muss. „Der Wettbewerb zur Kulturhauptstadt exisitiert nicht in einem Vakuum“, so Gibson.

Domstadt Hildesheim: „Progressive Provinz“

Thomas Harling – Leiter des Bewerbungsbüros der Domstadt Hildesheim lockert die Stimmung auf, indem er eine frisch geerntete Zuckerrübe aus seiner Region mitbringt. „The beet or not the beet – that is indeed the question“ formuliert er frei nach Shakespeares Hamlet: „Rübe oder keine Rübe – das ist hier die Frage“. Kann man sich tatsächlich um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ bewerben mit einer Zuckerrübe? „Wir glauben, man kann“, bekräftigt Harling, denn: „Wir haben nicht nur das Weltkulturerbe, sondern auch das Feldkulturerbe“.

Er spielt darauf an, dass sich Hildesheim bewirbt mit dem umliegenden Landkreis, also die Stadt und die Region gemeinsam kulturell gut aufstellen will. „Die Bewerbung die wir abgeben kommt aus der Provinz. Wir wollen Kulturhauptstadt werden, nicht obwohl, sondern weil wir Provinz sind“, betont Harling. Sie wollten zeigen, dass es so etwas wie eine progressive Provinz gebe, eine „europäische Kultur-Modellregion“, die auf „ganz neue Lösungen kommt, weil sie das Urbane und das Rurale zusammen denken kann, und weil sie aufhört mit den Stereotypen von Stadt und Land“. Die bekannten Kulturschätze Hildesheims sollen in der Bewerbung nicht im Mittelpunkt stehen, sagte der Projektleiter schon im Vorfeld.

Magdeburg: Kraft aus der Leere gewinnen

Magdeburg – Stadt des Vakuums: Mit diesem Bild will Tamás Szalay, Leiter des Bewerbungsbüros auf den Halbkugelversuch von Otto von Guericke hinweisen, der bewiesen hat „dass ein Vakuum existiert und Stärke hat“. Davon abgleitet ist das Motto der Bewerbung: „Out of the Void“ – raus aus der Leere. Drei Themen wurden dabei nach Szalays Worten identifiziert: Erstens der Fokus auf die Menschen und auf die Gesellschaft. Die Leute sollen ermutig werden, aktiver und stolzer zu werden auf städtischer und europäischer Ebene. So würden „europäische Werte mit Leben erfüllt“.

Das zweite große Thema, Urbanität, nimmt Bezüge auf die mehrmals in der Vergangenheit zerstörte und wieder aufgebaute Stadt und auch weiter denken, was heute Urbanität bedeutet, was „nicht nur die Gebäude, sondern auch die Natur“ einschließt. Schließlich soll das kulturelle Profil Magdeburgs geschärft werden, unter anderem im musikalischen Bereich. Magdeburg ist die Geburtsstadt von Georg Philipp Telemann.

Nürnberg: Vergangenheit und Zukunft

Professor Hans-Joachim Wagner stellte die Nürnberger Bewerbung in einer ungewöhnlichen Form vor. Was kommt, fragte Wagner, einem als erstes in den Sinn, wenn man Nürnberg hört? Ein mit Zuckerguss überzogener Lebkuchen? Eine Bratwurst mit Senf? Eine über der Stadt thronende Burg oder ein Christkind in Gestalt eines kleinen blondgelockten Mädchens? Ober das berühmte Selbstbildnis Albrecht Dürers? Andere Menschen erinnerten sich womöglich an einer der Reichsparteitage aus der Zeit des Nationalsozialismus oder an die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Vielleicht seien ein Fußballclub oder Spielzeug die Assoziation.

Diese Bilder einer sehr ambivalenten Vergangenheit umschreiben im Kern das Selbst- und Fremdbild von Nürnberg, stellte Wagner fest. Keine andere Stadt würde so stark mit der Geschichte des Nationalsozialismus verbunden wie Nürnberg, in keiner anderen Stadt definiere man sich so stark über das mittelalterliche Erbe wie dort. Genau darin liege das Dilemma: „Wie können wir die Zukunft gestalten und sie uns zu eigen machen, wenn wir gewissermaßen in der Vergangenheit leben?“ Nürnberg will als Kulturhauptstadt zu einer Zeitreise einladen und dabei „auch die Zukunft erarbeiten“. Daher das Wortspiel „Past forward“ als Motto der Bewerbung.

Zittau: Nahtstelle in der Europäischen Union

Für Zittau trat Oberbürgermeister Thomas Zenker ans Mikrophon. Er machte auf die enorme Symbolkraft des tschechisch-polnisch-deutschen Dreiländerecks aufmerksam: „Krieg, Vertreibung, Versöhnung, eiserner Vorhang und EU-Erweiterung haben den Menschen einiges abverlangt und verlangen ihnen tatsächlich immer noch etwas ab“, so Zenker. Der Zusammenbruch der Wirtschaft nach der Wende habe viel Kraft gekostet. Zenker: „Unsere Region ist eine wichtige Nahtstelle dafür, was in den Parlamenten beschlossen und gedacht wird, aber hier vor unserer Haustür erarbeitet und gespürt wird.“

Die Zittauer Bürgerschaft hatte die Bewerbung mit einer riesigen Mehrheit von 74,2 Prozent unterstützt. Neben den sechs Städten des Oberlausitzer 6-Städtebundes (Kamenz, Bautzen, Löbau, Görlitz, Luban und eben Zittau) und Liberec als Zentren der Bewerbung, gehören weitere Teile der Euroregion „Neisse-Nisa-Nysa“ zu der Bewerberregion. Mit weiteren Partner-Städten sollen Themenachsen in den Bereichen bildende und darstellende Kunst, Architektur und Industrie, Kulinarik, Handwerk, Musik, Natur und Landschaft, Geschichte, Digitalisierung, Vision und Soziokultur entstehen, heißt es im Bidbook. Im trinationalen Bewerbungsgebiet leben rund 1,2 Millionen Einwohner.

„Wir wollen Europa zu uns einladen, am liebsten auf unsere Brücke über dem Dreiländereck“, schließt Zenker und nennt den Leitspruch: „365 Grad Leben“. „Das macht nirgends so viel Sinn wie in einer Grenzregion.“

Auswahlverfahren läuft bis Herbst 2020

Am 12. Dezember 2019 schließlich werden jene Städte bekanntgegeben, die es in die zweite Runde geschafft haben. „Im Herbst 2020 werden wir wissen, wer den Titel der deutschen „Kulturhauptstadt Europas 2025“ tragen wird, erklärte Hilgert.

Programm Kulturhauptstadt

Mit dem seit 1985 existierenden und kontinuierlich weiterentwickelten Programm will die Europäische Union das Zugehörigkeitsgefühl zu einem gemeinsamen Kulturraum fördern und nachhaltige kulturelle Entwicklungen in den jeweiligen Städten anregen.

2025kulturhauptstadt.de