Interview mit Steffen Skudelny

Der Wert des Alten

Carl-Friedrich Höck14. Februar 2018
Sr. Steffen Skudelny: „Alte Bausubstanz ist unglaublich haltbar, wenn sie gepflegt wird.“
Die Deutsche Stiftung Denkmalsschutz fördert Eigentümer und Instututionen, die historische Bausubstanz retten wollen. In Städten wie Görlitz, Quedlinburg oder Stolberg war die Stiftung sehr aktiv. Steffen Skudelny betont im Gespräch mit der DEMO: „Historische Städte, die intakt sind, haben eine unglaubliche Anziehungskraft für den Tourismus und schaffen ein Alleinstellungsmerkmal anderen Städten gegenüber. Skudelny nennt auch die wichtigsten Herausforderungen für den Denkmalsschutz in Innenstädten.

Herr Skudelny, lassen Sie uns mit einer Definition beginnen: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem alten Gebäude und einem denkmalschutzwürdigen Baudenkmal?

Bei einem alten Gebäude spielt nur der Zeitverlauf eine Rolle, nicht aber die Aussagekraft oder Qualität eines Gebäudes. Denkmalgeschützte Bauten müssen bestimmte Kriterien erfüllen, die auch ihren Niederschlag in den Denkmalschutzgesetzen der Länder gefunden habendefiniert werden. In der Regel haben sie eine historische Bedeutung und stehen zum Beispiel für einen Abschnitt der Technik- oder Gesellschaftsgeschichte. Ein zusätzlicher Aspekt ist oft auch der Seltenheitswert. Wenn ein Gebäudetyp oder eine Form nicht mehr häufig vorkommt, kann man sie auch unter Denkmalschutz stellen.

… ein Artenschutz für Gebäude?

Richtig. Man kümmert sich um die Dinge, die in Gefahr sind, aus der Lebenswelt der Menschen verloren zu gehen.

Manche Städte haben ihre historischen Innenstädte verloren – nicht nur wegen der Kriegszerstörungen, sondern auch, weil in den Nachkriegsjahrzehnten viel Altes abgerissen wurde. Ist so etwas heute noch denkbar?

Die angesprochenen Veränderungen in den 60er und 70er Jahren waren ausschließlich auf die Funktionalität für den Verkehr ausgerichtet. In den aktuellen Debatten wird ein Umdenken in der Verkehrspolitik gefordert wird. Es sind also für eine relativ kurze geschichtliche Zeit ganze Stadtbilder komplett auf den Kopf gestellt worden. Man hat sich viel historischer Substanz beraubt, und nun hat man vielleicht neue Konzepte, denen das alte Stadtbild gar nicht im Wege gestanden hätte. Manchmal wird das, was viele Jahrhunderte gewachsen ist, zu leicht aufgegeben für ein kurzfristiges Interesse. Auch heute sollte man sich jede Entscheidung, die zu einem Verlust von Bausubstanz führt, genau überlegen.

Denken Sie dabei an das Leitbild der fahrradfreundlichen Städte oder den Lärmschutz? Beides führt oft dazu, dass altes Kopfsteinpflaster modernem Asphalt weichen muss.

Es ist klar, dass wir mit Blick auf die nächsten Generationen alternative Verkehrskonzepte brauchen: Mehr Schienenverkehr und Elektromobilität beispielsweise und weniger Autos. Aber tatsächlich wird selten darüber gesprochen, dass auch Oberflächen in einer Stadt oftmals historisch sind. Es gibt schöne Möglichkeiten damit umzugehen; etwa indem man Trassen in das historische Pflaster hinein verlegt, um den Verkehr zu beruhigen. Anderswo hat man einfach alles ersetzt, nur um dann zu merken, dass der neue Belag auch nicht gut funktioniert. Zum Beispiel, weil der schöne asiatische Steinbelag sich als glitschig zu rutschig herausstellt. Auch beim Straßenbelag sollte man nicht zu voreilig die historische Substanz beseitigen.

Welchen Wert haben Altbauten für die Entwicklung von Innenstädten? Lässt sich das in Geld bemessen?

Historische Städte, die intakt sind, haben eine unglaubliche Anziehungskraft für den Tourismus. Quedlinburg zum Beispiel ist vorsichtig wiederhergerichtet worden, nun ist der Tourismus dort der größte Wirtschaftsfaktor. Einen Wert hat auch die Identität der Bürger mit ihrer Stadt. Das Heimatgefühl ist stark mit der Altbausubstanz verbunden. Sie schafft Alleinstellungsmerkmale anderen Städten gegenüber. Moderne Architektur ist dagegen globaler, also weniger regional geprägt.

Hinzu kommt: Alte Bausubstanz ist unglaublich haltbar, wenn sie gepflegt wird. Sie ist also nachhaltig und ressourcenschonend. Damit ist sie auf lange Sicht auch viel preiswerter, als wenn man alle 40 bis 50 Jahre neue Substanz dort hinstellt.

Langfristig zu planen fällt oft schwer. In Leipzig wurden in den frühen 2000er Jahren noch Gründerzeithäuser abgerissen, weil das Geld für die Instandsetzung fehlte – ein Beispiel von vielen. Was kann eine Kommune trotz Leerstand und leerer Kassen in so einer Situation unternehmen?

Unsere Stiftung will ja genau in solchen Situationen beispielgebend fördern. Wir verschenken Zuschüsse an Privateigentümer, Vereine und so weiter, die ihre Substanz retten wollen. In Städten wie Görlitz, Quedlinburg oder Stolberg war unsere Stiftung sehr aktiv. Dort erkennen Sie: Wenn angefangen wird, Merkpunkte in der Struktur herzurichten, und dort wieder jemand einzieht, dann hat das eine ansteckende Wirkung. Plötzlich entstehen entwickeln sich diese  Strukturen wieder. Die Projekte finden Nachahmer, und es bilden sich Kompetenzgruppen mit Architekten und Handwerkern, die wissen, wie man das Alte wieder herrichtet.

Bedauerlich ist, dass die öffentliche Hand stark Neubauten und Neubaugebiete fördert, dabei aber die Altbausubstanz manchmal vernachlässigt. Auch hier muss man investieren, um Innenstädte zu beleben. Was nicht heißen muss, alles gleich komplett zu sanieren. Leipzig ist ein gutes Beispiel: Es kann auch sinnvoll sein, eine Bausubstanz nur im Stillstand zu managen. Also zu sagen: Wir halten die Dächer instand und legen so lange Ziegel nach, bis wir wissen, was die Zukunft bringen. Man hätte mehr Geduld haben müssen. Heute reißen sich die Leute in Leipzig um alte Häuser.

Heute boomen die Immobilienmärkte in den Großstädten und Ballungszentren – ist damit auch mehr Geld da für die Denkmalpflege?

Ja, es kommt mehr Geld in die Denkmalpflege. Bausubstanz erhalten lohnt sich wieder. Schade ist, dass der Investorengedanke oft zu sehr im Vordergrund steht. Investoren geht es nicht um das Denkmal selbst, sondern um die schnelle Rendite, die sie daraus schöpfen können. Das ist nicht immer gut für die Bausubstanz.

Fehlt das Geld im Gegenzug in den Kleinstädten und Dörfern, aus denen die Bewohner wegziehen, weil keiner mehr Geld in eine Dorfkirche steckt?

Das ist tatsächlich ein Problem. Als Stiftung versuchen wir, wenigstens einige Merkpunkte in den strukturschwachen Dörfern zu erhalten. Also eine Kirche, ein Pfarrhaus, zwei oder drei Fachwerkhäuser. Manchmal bringt das eine Entwicklung in Gang, manchmal bleibt es aber auch bei dem einen Ankerpunkt.

Ein Beispiel: Die Stadt Hachenburg im Westerwald – die relativ klein ist – hat irgendwann die Devise ausgegeben: Wir wollen keine Neubauten am Stadtrand, solange nicht alle Innenstadtbauten belegt genutzt sind. Die Folge dieser Politik ist eine schöne, lebendige und gut strukturierte Innenstadt mit nur kleinen Neubau- und Gewerbegebieten am Stadtrand. So etwas kann ein gutes Modell sein. Leider passiert oft das Gegenteil: Dann finden Sie am Stadtrand ein beliebiges Neubaugebiet vor und der Dorf- oder Stadtkern ist heruntergekommen und wird nicht mehr genutzt.

Ein Gebäude unter besonderen Schutz zu stellen ist die Aufgabe der Denkmalschutzbehörden. Wie bewerten sie deren Arbeit?

Bedauerlicherweise sind sie viel zu gering mit Personal ausgestattet. Für die Politik haben Arbeitsplätze oder kurzfristigen Investoreninteressen Priorität. Langfristige Überlegungen und der Kulturbereich geraten da in den Hintergrund. Man kann überall beobachten, dass sich die Denkmalschutzbehörden unglaublich bemühen, aber gegen wirtschaftliche Interessen oft nicht ankommen. Als Stiftung merken wir, dass uns kompetente Ansprechpartner in den Behörden zunehmend verloren gehen.

Was sind neben der Demografie die derzeit größten Herausforderungen für den Denkmalschutz in Innenstädten?

Ein wesentliches Problem ist, dass wir ein stark industriegeprägtes und globalisiertes Bauen haben mit Produkten, die überall auf der Welt eingesetzt werden. Regionale Bauweisen gibt es kaum noch. Dadurch ist es schwieriger geworden, für die Arbeit in einem kleinteiligen Denkmal die passenden Fachkräfte zu finden. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass ein ausgebildeter Handwerker mit einer so komplexen und wertvollen Bausubstanz umgehen kann.

Für uns Denkmalschützer schwierig ist auch, dass die Debatte um den Klimaschutz oft einseitig geführt. Wenn ich die gesamte Energiebilanz eines Gebäudes berechnen will, muss ich dessen Lebensdauer berücksichtigen. Also müssten auch die Produktions- und Entsorgungskosten eingerechnet werden. Ich bin überzeugt, dass ein Baudenkmal aus Holz, Stein oder Lehm in Sachen Umweltschutz nicht schlechter abschneidet als ein Neubau, dessen Lebensdauer auf 50 Jahre ausgelegt ist.

Kennen Sie weitere originelle Konzepte, mit denen Kommunen ihre historischen Ortskerne erhalten? Das Beispiel Hachenburg haben Sie ja schon genannt.

Es gibt viele Kommunen, die sagen: Wir müssen unsere Kleinstadt Stadt von innen denken, ihre Proportionen und Parzellen erhalten. Etwa Schweinsdorf in Mittelfranken, dort hat man es ähnlich gemacht wie in Hachenburg. Und es gibt Netzwerke für den ländlichen Raum, beispielsweise in Hessen. Dort holt sich der eine Anregungen und Beispiele von vom anderen. Und in Brandenburg haben sich Städte mit historischen Stadtkernen vernetzt. Sie tauschen sich aus zu Förderprogrammen und Belebungsmöglichkeiten, haben auch Tourismusrouten ausgearbeitet und sich so verbunden. In Miltenberg oder Hiddenhausen gibt es Förderprogramme für Menschen, die leerstehende Gebäude in der Altstadt beziehen. Viele Städte, die das Thema ernsthaft diskutieren, erzielen auch gute Ergebnisse.

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