Wohnungsnot in Deutschland

Wohnungsgipfel: „Packen wir's an, bauen wir“

Carl-Friedrich HöckKarin Billanitsch21. September 2018
Barley am Rande des Wohnungsgipfels
Bürger überreichen Justizministerin Katarina Barley am Rande des Wohnungsgipfels 70.000 Unterschriften gegen steigende Mieten.
In Berlin wurden am Freitag die Ergebnisse des Wohnungsgipfels vorgestellt. Eckpunkte sind: Mehr sozialer Wohnungsbau, eine Wohngeldreform und mehr Geld für Städtebauförderung. Bauen soll einfacher und billiger werden.

„Ich würde sagen, dass das heute ein Start war.“ Mit diesen Worten ordnet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Wohnungsgipfel am Freitag ein. Nun müsse die Arbeit in verschiedenen Gesprächskreisen weitergeführt werden. Wohnen sei „eine Frage, die uns alle angeht, die über den Zusammenhalt in der Gesellschaft mit entscheidet“.

Liste von Maßnahmen

Am Freitagnachmittag präsentierte Merkel gemeinsam mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen die Ergebnisse des Treffens. Sie zählte eine Reihe von Maßnahmen auf – einige sind bereits auf den Weg gebracht, andere sollen nun ausgearbeitet werden:

Sozialwohnungen: Ergänzend zu den bisherigen Beschlüssen sollen 100.000 zusätzliche Sozialwohnungen entstehen. Insgesamt gibt der Bund im Zeitraum 2018 bis 2021 fünf Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus.

Bauzuschüsse: Mit einem Baukindergeld und steuerlichen Anreizen in Form einer Sonderabschreibung will der Bund den Neubau von Wohnungen ankurbeln. Das Baukindergeld kann seit dem 18. September beantragt werden. Der Bund unterstützt Familien, die erstmals selbstgenutztes Wohneigentum erwerben, mit 1.200 Euro pro Kind und Jahr. Die Laufzeit beträgt zehn Jahre.

Wohngeld: Das Wohngeld soll bis 2020 reformiert werden. Im Klartext heißt das: Der Mietzuschuss für Menschen mit geringem Einkommen wird erhöht, zudem sollen ihn mehr Menschen beantragen können.

Mieten: Das vom Bundeskabinett bereits beschlossene Mietrechtsanpassungsgesetz soll vorrangig im Bundestag beraten werden und zum 1. Januar 2019 in Kraft treten.

Städtebauförderung: Auch die Städtebauförderung nannte Merkel als wichtigen Baustein. Im laufenden Förderjahr stehen hierfür 790 Millionen Euro zur Verfügung. Man habe die Förderung „auf ein Rekordniveau“ gehoben, sagte Merkel.

Mieterrechte: Diese sollen gestärkt werden. Die Mietpreisbremse wird reformiert.

Planungsverfahren: Die Vertreter der Länder haben ihre Bereitschaft erklärt, eine Musterbauordnung zu schaffen. Damit sollen die Verfahren vereinheitlicht werden. Serielles und modulares Bauen soll gefördert werden.

Liegenschaftspolitik: Bundeseigene Grundstücke sollen einfacher und vergünstigt an die Länder und Kommunen abgegeben werden, um dort günstigen Wohnraum zu schaffen, kündigte Bundesfinanzminister Scholz an. Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen dafür würden geschaffen.

Baulandentwicklung: Eine Expertenkommission soll Vorschläge entwickeln, wie die Baulandentwicklung nachhaltiger gestaltet werden kann. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) betonte, man müsse die Spekulation mit Grundstücken eindämmen.

Zuwanderung: Noch in diesem Jahr soll ein Fachkräftezuwanderungsgesetz in den Bundestag eingebracht werden. Damit sollen auch mehr Kapazitäten in der Bauwirtschaft geschaffen werden, erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Scholz: „ein starkes Signal”

„Die größte Anstrengung, die je unternommen wurde“, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen – so bewertet Seehofer die Ergebnisse des Wohnungsgipfels. Finanzminister Olaf Scholz sprach von einem „starken Signal für einen leistungsfähigen Rechtsstaat“. Mieten von mehr als zehn Euro nettokalt lägen über dem Budget der meisten Bürger.

Der Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Roland Schäfer sagte, man haben eine Fülle von Maßnahmen aufgelistet. Nun heiße es: „Packen wir´s an, bauen wir!“ Die Kommunen spielten eine zentrale Rolle, da sie Baupläne aufstellen, Baugenehmigungen erteilen und auch Wohnungsbaugesellschaften besitzen. Doch die Städte und Gemeinden bräuchten die Unterstützung von Wirtschaft, Ländern und Bund.

Mieterbund: „Wohngipfel hat Symbolcharakter“

„Der Wohngipfel im Bundeskanzleramt hat vor allem Symbolcharakter. ... In der Sache aber hat der Wohngipfel aus unserer Sicht wenig Neues gebracht. Das Eckpunktepapier der Bundesregierung enthält neben einer Reihe von Absichtserklärungen vor allem Hinweise auf altbekannte Vorschläge und Vereinbarungen“, kommentierte der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, das Ergebnis des Wohngipfels. Er forderte jährlich sechs Milliarden Euro von Bund und Ländern, damit 80.000 bis 100.000 Sozialwohnungen jedes Jahr neu gebaut werden können.

Er begrüßte allerdings die angekündigte Wohngeldreform. Es reiche aber nicht, das Wohngeld immer mal wieder nach ein paar Jahren zu erhöhen. „Wir brauchen eine Dynamisierung des Wohngeldes, das heißt, die Wohngeldzahlungen müssen automatisch den gestiegenen Mieten angepasst werden“, so Siebenkotten.

Im Vorfeld Kritik am Wohnungsgipfel und umstrittene Personalie

Zum Wohnungsgipfel hat die Bundeskanzlerin Vertreter von Ländern, Kommunen, der Bau- und Immobilienwirtschaft sowie von Mieterbund und Gewerkschaften ins Kanzleramt eingeladen. Die Organisation „Lobbycontrol“ hat die Zusammensetzung im Vorfeld kritisiert. „Während gleich sieben Verbände der Immobilienwirtschaft und vier Verbände der Baubranche eingeladen sind, ist für Sozial-, Umwelt- oder Wohnungslosenverbände nicht einmal ein Platz am Katzentisch vorgesehen“, bemängelt Lobbycontrol-Mitarbeiterin Christina Deckwirth. Der Deutsche Mieterbund hat am Donnerstag einen „alternativen Wohngipfel“ abgehalten, gemeinsam mit dem DGB, Sozialverbänden und Bürgerinitiativen.

Überschattet wurde der Gipfel der Bundesregierung zudem von der Entscheidung des Innenministers Seehofer, den Baustaatssekretär Gunther Adler in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Er muss weichen, damit der bisherige Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen Staatssekretär im Innenministerium werden kann. Trotz dieser Entscheidung hat Adler am Wohnungsgipfel noch teilgenommen.

Entscheidung „Das beste Pferd vom Platz genommen”

Der Sozialdemokrat bearbeitet seit zehn Jahren für die Bundesregierung den Bereich Bau und Stadtentwicklung – zunächst als Referatsleiter und seit 2012 als Staatssekretär. Gunther Adler gilt parteiübergreifend als ausgewiesener Experte, der sowohl bei Mieterverbänden als auch der Immobilienwirtschaft ein hohes Ansehen genossen hat. Im Bundesinnenministerium gibt es fünf beamtete Staatssekretäre.

Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW kritisierte die Abberufung Adlers scharf. „Sie ist eine herbe Hiobsbotschaft für unsere gesamte Branche und ein Unding in einer Zeit, in der es darum geht, mit allen Kräften im Lande für deutlich mehr bezahlbares Bauen zu sorgen“, so Präsident Axel Gedaschko. „Hier wird mitten im Rennen das beste Pferd vom Platz genommen.“ Dass es künftig nicht einmal mehr einen eigenen Baustaatssekretär geben soll, sei ein fatales Zeichen. Auch die ehemalige Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) äußerte sich entsetzt: „Seehofer löst ein Desaster aus“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mittlerweile angekündigt, Adler werde eine neue Position erhalten, die seinen Erfahrungen entspreche. Seine Arbeit werde von der Bundesregierung weiter benötigt. Details nannte Merkel noch nicht.

Reaktionen der kommunalen Verbände

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg hat im Vorfeld des Gipfels mehrere Forderungen artikuliert. „Überflüssige Standards“ beim Bauen müssten abgeschafft werden, etwa im Bereich der Energieeinsparverordnung. Die Zulassung von Häusern in Serienbauweise soll bundesweit vereinheitlicht werden. Einer weiterer Vorschlag: „Bebauungspläne müssen im beschleunigten Verfahren unbefristet aufgestellt werden können.“ Außerdem fordert Landsberg eine Lockerung des Naturschutzes: „Bei festgestellter Wohnungsnot muss bei naturschutzrechtlichen Fragen der Wohnungsbau im Rahmen der Abwägung besonders gewichtet werden dürfen.“ Der soziale Wohnungsbau müsse weiter angekurbelt werden, und abgelegene Gebiete sollen mit Schnellbahnen erschlossen werden. „Schnellbahnen können, wie die Praxis zeigt, Ballungsräume entlasten“, sagt Landsberg.

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Markus Lewe aus Münster, der heute am Gipfel teilgenommen hatte, erklärte, der Wohngipfel habe dem wichtigen Thema bezahlbarer Wohnraum für weite Teile der Gesellschaft wieder Priorität verschafft. „Jetzt kommt es darauf an, die angekündigte Wohnraumoffensive zügig voranzubringen und die heute beschlossenen Maßnahmen umzusetzen.“ Ferner erklärte Lewe, die Städte würden Bauland mobilisieren und für mehr Wohnungsbau werben und dafür die bereits bestehenden Instrumente des Planungsrechts, wie Vorkaufsrechte, ausschöpfen.

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