Verkehrspolitik

Ein „Wumms“ für die ökologische Verkehrswende

Carl-Friedrich Höck25. Juni 2020
Temporärer Radweg in Berlin-Friedrichshain: Mit gelber Farbe und Sicherheitsbalken wurde kurzfristig mehr Platz für Radfahrende geschaffen.
Bund und Kommunen nutzen die Krise als Chance, sich in Fragen nachhaltiger Mobilität für die Zukunft aufzustellen.

Es heißt, dass jede Krise auch Chancen birgt. Krisen können als Katalysator dienen für Umbrüche. Einiges spricht dafür, dass dies auch für die Verkehrswende gilt, also den Wandel hin zu einer umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Mobilität. Sie wird durch die Corona-Pandemie beschleunigt.

Boom des Radverkehrs

Das offensichtlichste Beispiel ist der Radverkehr. Das Fahrrad erlebt in vielen Städten einen Boom. Das belegt auch eine Datenauswertung des Marktforschungsinstituts GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) gemeinsam mit dem Start-up MotionTag, für die mit Hilfe ­einer App Bewegungsprofile ausgewertet wurden.

Danach verbringen die Deutschen mehr als doppelt so viel Zeit auf dem Fahrrad wie vor der Coronakrise. Im April war der Wert sogar zeitweise auf das Vierfache gestiegen. Autos dagegen wurden im gleichen Zeitraum zunehmend stehengelassen.

Pop-up-Radwege im Trend

Auch wenn dies wohl vorübergehende Effekte sind, nutzen einige Kommunen die Gunst der Stunde, um Verkehrsflächen neu aufzuteilen. In Berlin hat die Verwaltung zahlreiche sogenannte Pop-up-Bikelanes geschaffen. Das sind kurzfristig eingerichtete und temporäre Radwege. Dafür muss in der Regel eine Autospur weichen, im Gegenzug erhalten Radfahrende und Fußgänger mehr Platz und können sich somit leichter an die Abstands­gebote halten.

Die Stadt München plant ebenfalls Pop-up-Bikelanes. „Ich finde es richtig, dass wir in Zeiten wie diesen auch offen sind für ungewöhnliche Maßnahmen“, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). „Um die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten, meiden viele Menschen den öffentlichen Personennahverkehr. Damit nicht alle aufs eigene Auto umsteigen, müssen Städte schnelle Alternativen bieten.“

In Berlin sollen viele der neuen Radwege auch dauerhaft bestehen bleiben. Die provisorisch mit gelber Farbe aufgemalten Bikelanes dienen als Testlauf für eine spätere bauliche Umsetzung. Der Vorteil: Werden verkehrsplanerische Schwachstellen sichtbar, kann schnell reagiert werden. Planungsverfahren würden somit kürzer und günstiger, meint die Deutsche Umwelthilfe. „Die Umsetzung baulicher Radwege benötigte bisher zwei bis zehn Jahre“, sagt Geschäftsführer Jürgen Resch. Mit den Erfahrungen der Pop-up-Bikelanes könnten die Planungsfristen für die spätere bauliche Umsetzung auf zwei bis zwölf Monate verkürzt werden.

Leere Busse und Bahnen

Den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) dagegen hat die Corona-Pandemie vor große Probleme gestellt. Die Fahrgastzahlen sind laut dem Branchenverband VDV kräftig eingebrochen, zeitweise um bis zu 90 Prozent. Gleichzeitig fuhren die Bus- und Bahnunternehmen „im Schnitt auf einem Niveau von 80 Prozent weiter, um den Polizisten, Krankenhausangestellten und weiteren systemrelevanten ­Berufsgruppen Mobilität bei gleichzeitigem Abstand in den Fahrzeugen zu ­bieten“, sagt VDV-Sprecher Eike Arnold.

In den Bilanzen der ÖPNV-Unternehmen klaffen deshalb große Löcher. Doch Rettung naht: Die große Koalition hat jüngst beschlossen, fehlende Fahrgeldeinnahmen auszugleichen, indem der Bund die Regionalisierungsmittel um 2,5 Milliarden Euro erhöht. Die Länder sollen weitere 2,5 Milliarden dazugeben.

Konjunkturpaket fördert auch die Verkehrswende

Das von CDU, CSU und SPD geplante Konjunkturpaket geht sogar noch weiter. Mit 130 Milliarden Euro will die Koalition nicht nur die wirtschaftlichen Corona-Folgen abfedern, sondern auch Klimaschutz und Zukunftstechnologien fördern. Die Verkehrswende ist ein Teil davon. SPD-Fraktionsvize Sören Bartol hält das Paket für einen „Clou“, weil sowohl die Umweltverbände als auch die Autoindustrie und Kommunen zufrieden sein könnten.

Bartol zählt unter anderem auf: „Unterstützung des ÖPNV, Verdopplung der Umweltprämie für Elektro-Autos, Hilfen bei der Batteriezellproduktion, ein Flottenaustauschprogramm für Elektro- und Wasserstoffbusse, Zuschüsse für die Fuhrparkmodernisierungen unter anderem bei Sozialen Diensten.“ Auch die Ladesäulen-Infrastruktur soll ausgebaut werden, allein hierfür und für die Erforschung von Elektromobilität plant der Bund Extra-Ausgaben in Höhe von 2,5 Milliarden.

Schulze lobt Konjunkturprogramm

Zufrieden zeigte sich auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Das Konjunkturprogramm bringe Tempo in die Verkehrswende, schrieb sie in einem Brief an ihre Mitarbeiter, aus dem mehrere Zeitungen zitieren. Ein großer Teil des Pakets widme sich der Mobilität, die wegen hoher Treibhausgasemissionen zurzeit das „größte Sorgenkind“ beim Umweltschutz sei.