Unfallverhütungsbericht

Zahl der Verkehrstoten gesunken

Carl-Friedrich Höck07. Januar 2021
Verkehrsunfall mit Kleinkind: Nach wie vor sterben jedes Jahr hunderte Fußgänger*innen und Radfahrende im Verkehr.
Die Zahl der Verkehrstoten lag 2019 auf dem niedrigsten Stand seit 60 Jahren. Das geht aus dem Unfallverhütungsbericht des Bundesverkehrsministeriums hervor. Wegen der Corona-Pandemie dürften die Todesfälle 2020 noch weiter zurückgegangen sein. Verkehrsminister Scheuer steht dennoch in der Kritik.

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Unfallverhütungsbericht für die Jahre 2018 und 2019 beschlossen – dieser wird nun dem Bundestag vorgelegt. Dem Bericht zufolge ist die Zahl der Verkehrstoten seit 2011 um 24 Prozent gesunken, obwohl der Verkehr zugenommen hat. 2019 starben 3.046 Menschen im Straßenverkehr. Das ist der niedrigste Stand seit 1960, teilt das Verkehrsministerium mit.

Corona prägt auch den Verkehr

Für das Jahr 2020 rechnet das Statistische Bundesamt mit einer noch niedrigeren Zahl, nämlich mit knapp 2.800 Verkehrstoten. Dies wäre der niedrigste Wert, seit die Statistik im Jahr 1953 eingeführt wurde. Ein wesentlicher Grund: Wegen der Corona-Pandemie ist das Verkehrsaufkommen insgesamt gesunken.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verweist auf verschiedene Maßnahmen, mit denen der Bund insbesondere schwächere Verkehrsteilnehmer*innen schützen will. Darunter die „Aktion Abbiegeassistent“, die Kampagne „Helme retten leben“ und eine „Käpt´n Blaubär“-Verkehrssicherheitsfibel für Kinder. Für die Zukunft setzt Scheuer vor allem auf automatisiertes und vernetztes Fahren. 90 Prozent der Unfälle seien auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen, heißt es in einer Mitteilung des Verkehrministeriums. Deutschland wolle „als erstes Land weltweit mit einem neuen Gesetz den Rechtsrahmen schaffen, dass autonome Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr im Regelbetrieb fahren können.” Ein Referentententwurf dazu befinde sich in der Ressortabstimmung.

Abbiegeassistenten: Einbau bleibt vorerst freiwillig

Zuletzt musste Scheuer jedoch auch viel Kritik einstecken. Die PR-Aktion „Helme retten leben“ wurde von mehreren Kommunen offiziell als sexistisch eingestuft. Mit der Aktion Abbiegeassistenz sollen Unternehmen, Kommunen und Organisationen für eine freiwillige Selbstverpflichtung gewonnen werden, elektronische Abbiegeassistenten für LKWs und Busse einzubauen. Die Nachrüstung wird finanziell gefördert. Eine EU-weite Pflicht, diese Abbiegeassistenten in neue Fahrzeugtypen einzubauen, gilt erst ab 2022. Und erst ab 2024 gilt diese Pflicht für alle Neufahrzeuge. Eine Nachrüst-Pflicht für Bestandsfahrzeuge wird es nicht geben.

Nach eigener Aussage verfolgt das Bundesverkehrsministerium die „Vision Zero“, also das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten auf Null zu reduzieren. Davon ist Deutschland aber trotz verbesserter Statistik noch weit entfernt. Als Zwischenschritt wollte die Bundesregierung eigentlich erreichen, dass die Zahl der Todesfälle im Jahr 2020 gegenüber 2010 um 40 Prozent sinkt. Der tatsächliche Rückgang beträgt lediglich 24 Prozent. Die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrenden ist in den vergangenen Jahren sogar gestiegen und lag im Jahr 2019 bei 445. Zudem sind laut Statistischem Bundesamt 417 Fußgänger*innen bei Verkehrsunfällen gestorben.

„Klatsche für den CSU-Minister”

Anke Rehlinger (SPD), Verkehrsministerin des Saarlandes und bis Ende 2020 Vorsitzende der Verkehrsminister*innenkonferenz, stellt Scheuer ein schlechtes Zeugnis aus: „Statt Vision Zero erreicht der Bundesverkehrsminister gerade mal etwas mehr als die Hälfte der selbstgesteckten Ziele. Das StVO-Desaster hat zuletzt gezeigt, dass die Sicherheit von Radfahrerinnen und Radfahrern für Herrn Scheuer vor allem Verhandlungsmasse ist. Das Verfehlen der Ziele ist eine Klatsche für den CSU-Minister.“

Zum Hintergrund: Eine neue Straßenverkehrsordnung wurde im vergangenen Jahr wegen Formfehlern teilweise außer Vollzug gesetzt und musste überarbeitet werden. Scheuer nutzte die Gelegenheit, um schärfere Strafen für Raser wieder rückgängig zu machen. Und er drängte die Landesverkehrsminister*innen, dem zuzustimmen, da andernfalls auch bereits beschlossene Verbesserungen für Radfahrende nicht in Kraft treten würden.

Mobilitäts-Bündnis von Bund, Ländern und Kommunen

Aktuell arbeitet das Verkehrsministerium an einem Verkehrssicherheitsprogramm für die Jahre 2021 bis 2030. Dabei sollen auch andere Ressorts der Regierung eingebunden werden. Das Ministerium teilt mit: „Alle für Verkehrssicherheit relevanten Akteure sollen ihre Anstrengungen bündeln und sich selbst zu Maßnahmen verpflichten.“ Bei der Vision Zero müssten Bund, Länder und Kommunen gemeinsam vorangehen. „Insbesondere auf die Städte und Gemeinden kommt es an, wenn es zum Beispiel um mehr Schutz für Fußgänger und Radfahrer geht“, betont das BMVI.

Um die Abstimmung zwischen den Ebenen zu verbessern, haben Bund, Länder und Kommunen vor gut einem Jahr ein „Bündnis für moderne Mobilität“ gegründet. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund teilt dazu mit: „Durch eine engere Abstimmung zwischen den Ebenen sollen unter anderem gestiegene Fördermittel des Bundes zielgerichtet an die Kommunen fließen, der Austausch über nachhaltige Mobilitätslösungen verstärkt und Wege zu besseren Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen für die Verkehrswende identifiziert werden.“ Ein Bericht zu ersten Ergebnissen des Bündnisses wurde im vergangenen November veröffentlicht.

Pop-up-Radwege in Berlin dürfen bleiben

Unterdessen hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg entschieden, dass die umstrittenen Pop-up-Radwege in der Bundeshauptstadt vorerst nicht zurückgebaut werden müssen. Damit hat das OVG einen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom November 2020 aufgehoben. Dieses hatte argumentiert: Radwege dürften nur dort angeordnet werden, wo Verkehrssicherheit, Verkehrsbelastung und/oder der Verkehrsablauf ganz konkret auf eine Gefahrenlage hinwiesen und die Anordnung damit zwingend erforderlich sei. In erster Instanz konnte die Berliner Verkehrsverwaltung die entsprechenden Belege nicht vorweisen. Das hat sie aber mittlerweile nachgeholt und unter anderem Verkehrszählungen und Unfallstatistiken vorgelegt.

Gegen die Pop-up-Radwege geklagt hatte ein Abgeordneter der AfD. Seine Klage begründete er damit, dass er sich wegen Staus nicht wie gewohnt durch die Stadt bewegen könne und die Fahrtzeiten sich verlängert hätten. Laut Oberverwaltungsgericht konnte der Kläger jedoch keine geeigneten Belege vorweisen. Bei den betreffenden Straßen sei eine Trennung von Fahrrad- und Kfz-Verkehr aus Sicherheitsgründen gefordert. Dieser öffentliche Belang überwiege die privaten Interessen des Antragstellers.

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