Interview mit Hamburgs Kultursenator Brosda

„Wir werden zunehmend mit den Folgen des Kolonialismus konfrontiert”

Carl-Friedrich Höck30. Oktober 2018
Carsten Brosda
Carsten Brosda ist Senator für Kultur und Medien in Hamburg.
Wie sollen die Museen mit Sammlungsstücken aus der Kolonialzeit umgehen? Bund und Länder wollen diese Frage von einer Arbeitsgruppe beantworten lassen. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda sagt im Interview mit der DEMO: Die Rückgabe von Objekten an die Herkunftsländer dürfe kein Tabu sein.

DEMO: Eine Arbeitsgruppe soll sich damit befassen, wie die Museen mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten umgehen sollen. Darauf haben sich Bund und Länder vor Kurzem verständigt. Worum geht es in der Debatte?

Carsten Brosda: Seit einigen Jahren beginnt endlich weltweit eine Debatte über die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. Es geht um die Anerkennung kolonialer Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie damit zusammenhängend um Formen der Entschuldigung und der Wiedergutmachung. Insbesondere ethnologische Museen sehen sich in diesem Zusammenhang mit Fragen zu ihrer kolonialen Vergangenheit konfrontiert. Ungeklärte Erwerbungen aus zum Teil gewaltvollen Herrschaftszusammenhängen werfen Fragen nach der Rechtmäßigkeit und Legitimität von Sammlungsgütern auf.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel sind die bekannten Benin-Bronzen, die 1897 im Rahmen einer „Strafexpedition“ von der britischen Kolonialarmee aus dem Königspalast von Benin-City geraubt wurden und zu Hunderten in europäische und nordamerikanische Museen gelangten – scheinbar ein klarer Fall von „Raubkunst“, der jedoch juristisch nur schwer zu lösen ist.

Was machen die Museen nun?

Der Deutsche Museumsbund hat mit Blick auf solche Fälle im Mai 2018 einen Leitfaden zum Umgang mit Kulturgut aus kolonialen Kontexten vorgelegt. Dieser Leitfaden stellt ein erstes Positionspapier dar. Darin werden die Notwendigkeit kolonialer Provenienzforschung sowie der Digitalisierung entsprechender Sammlungsbestände und die Entwicklung internationaler Kooperationsprojekte mit Museen in den Herkunftsgesellschaften begründet. Außerdem werden Hinweise zum Umgang mit Restitutionsforderungen gegeben. Für diese fachliche Stellungnahme und Empfehlung des Museumsbundes, die aktuell gemeinsam mit internationalen Expertinnen und Experten überarbeitet wird, gilt es nun, eine politische Position zu definieren, um für die Zukunft die Rahmenbedingungen für die Aufarbeitung dieses schwierigen Erbes zu schaffen. Da Fragen der kolonialen Provenienzforschung und möglichen Rückgaben nur international zu beantworten sind, freue ich mich, dass sich nun Bund, Länder und Kommunen gemeinsam dieses Themas annehmen.

Die deutsche Kolonialzeit ist 100 Jahre her. Warum wird diese Debatte erst jetzt geführt?

Die deutsche Kolonialgeschichte wurde jahrzehntelang kaum beachtet und häufig sogar nostalgisch verklärt. Der Historiker Prof. Jürgen Zimmerer von der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ an der Universität Hamburg konstatiert hier sehr treffend eine allgemeine „koloniale Amnesie“. Durch Migrations- und Fluchtbewegungen werden wir jedoch zunehmend mit den Folgen des Kolonialismus konfrontiert. Wir erleben, dass auch in aufgeklärten Gesellschaften rassistische und nationalistische Vorstellungen nach wie vor virulent sein können. Wenn wir unsere heutige globalisierte Welt verstehen und ihre Probleme lösen wollen, müssen wir uns mit der sechshundertjährigen Geschichte des europäischen Kolonialismus auseinandersetzen, von der die deutsche Kolonialzeit ein nicht unbedeutender Teil ist.

Der Hamburger Senat hat im Zuge dessen 2014 die wissenschaftliche Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit unserer Stadt und die Entwicklung eines gesamtstädtischen postkolonialen Erinnerungskonzepts beschlossen. Daraus sind neben der Schaffung der oben genannten Forschungsstelle zahlreiche weitere Projekte und Vorhaben entstanden, die in Hamburg umgesetzt wurden und werden. Ich freue mich, dass es im Koalitionsvertrag der Großen Koalition gelungen ist, die Provenienzforschung auch mit Blick auf koloniale Fragen zu einem eigenen Thema zu machen.

Welche Folgen könnte der Prozess für kommunale Museen haben – abgesehen von Anregungen für die nächste Ausstellung? Sollten sie auch in Erwägung ziehen, Teile der eigenen Sammlung an die Länder zurückzugeben, aus denen die Sammlungsstücke kommen?

Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass sich Museen als Orte gesellschaftlicher Diskurse der Aufarbeitung der kolonialen Geschichte und ihrer Folgen annehmen. Ausstellungen und entsprechende Publikationen und Begleitprogramme sind hier eine Möglichkeit. Unverzichtbar sind zudem die Provenienzforschung, der internationale Wissenstransfer – etwa durch Digitalisierungsprojekte – und die Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern der ehemals kolonisierten Herkunftsgesellschaften. Letzteres kann zum Beispiel durch die Einladung von Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus den Herkunftsländern geschehen, in Form von Projekten in den Herkunftsländern oder auch durch die Einbindung der migrantischen und diasporischen Communities in die Museumsarbeit vor Ort.

Die Restitution von Teilen der eigenen Sammlung an die Herkunftsländer darf kein Tabu sein. Gerade Forderungen nach der Rückgabe von menschlichen Überresten („Human Remains“) und kulturell oder spirituell besonders sensiblen Objekten sollten nach eingehender Prüfung in einer Rückgabe münden. Die derzeit geltenden Rechtsordnungen halten für die Klärung von Forderungen nach Rückgaben von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten leider kaum hilfreiche Instrumente bereit. Umso wichtiger ist es, dass wir hier analog zu den Washingtoner Prinzipien zum Umgang mit NS-Raubkunst international anerkannte politische Lösungen entwickeln. Auch im Hinblick auf diese Aufgabe soll die neue Arbeitsgruppe einen Beitrag leisten.

Die Länder sollen die Arbeitsgruppe gemeinsam mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie den kommunalen Spitzenverbänden einrichten. Können Sie schon nähere Angaben machen, wer der AG angehören wird, wie sie arbeitet und bis wann Ergebnisse vorliegen sollen?

Die Arbeitsgruppe soll die fruchtbare Arbeit der Museen und Kultureinrichtungen politisch begleiten. Angesichts der Brisanz des Themas ist es wichtig, dass wir hier auch zu einer klaren Haltung kommen. Es geht dabei nicht nur um Sammlungsgüter, sondern um ein Konzept postkolonialer Erinnerungskultur, das gesellschaftlich viel breiter angelegt ist. Insofern plädiere ich dafür, dass wir in der AG gründlich und zügig arbeiten. Was die Arbeitsweise angeht, wird es sicherlich Treffen der fachlich Zuständigen aus den Verwaltungen geben, um dann die politische Beschlussfassung vorzubereiten. Ein klares gemeinsames Bekenntnis von Ländern und Bund werden letztlich die Ministerinnen und Minister vereinbaren müssen. Die Chance dazu haben wir.

 

Dr. Carsten Brosda (SPD) ist Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg. Er wird ab Januar 2019 der Vorsitzende der neu gegründeten Kulturministerkonferenz sein.

Zum Hintergrund: Im Oktober hat das „9. Kulturpolitische Spitzengespräch” stattgefunden. Vertreter von Bund und Ländern haben sich dort verständigt, dass die Länder – gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien – eine Arbeitsgruppe zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten einrichten. Die Arbeitsgruppe soll mit dem Auswärtigen Amt, dem Entwicklungsministerium und dem Deutschen Museumsbund zusammenarbeiten.