Blog Aus den Bundesländern

16 Hotspots für 760 Einwohner

Andreas W. Ditze15. Juli 2020
Das Freifunknetz in Mellnau, Stand 4/2020. Die öffentlichen Plätze im Ort sind weitgehend erschlossen.
Ein flächendeckendes und offenes WLAN ohne laufende Kosten für die Kommune – geht das? Ja, schreibt Andreas W. Ditze, Schriftführer im Ortsbeirat Mellnau. Im Dorf wurde ein Freifunk-Netz installiert.

Im Sommer 2018 reifte in Mellnau der Plan, ein möglichst flächendeckendes offenes WLAN bei geringen laufenden Kosten zu installieren. (Mellnau ist ein Ortsteil der Gemeinde Wetter im Landkreis Marburg-Biedenkopf, d. Red.) Nach knapp zwei Jahren steht heute fest: Es ist gelungen.

Fördergelder für Freifunk

Die von Kirsten Fründt im Landkreis Marburg-Biedenkopf eingeführte Ehrenamtspauschale kam wie gerufen, um das offene WLAN zu installieren. Rund 1.600 Euro standen aus der Pauschale für WLAN im Ort zur Verfügung. Das Geld wurde an einen Verein übergeben, in dem sich ein Elektriker und ein Informatiker, der zugleich Autor dieser Zeilen ist, für den Aufbau und die Einrichtung der Hotspots bereiterklärt hatten.

Technologisch wird das Dorf-WLAN mit Freifunk bewerkstelligt. Freifunk bedeutet, dass Bürger und Institutionen ihren vorhandenen Internetanschluss mit der Allgemeinheit teilen. In der Praxis sieht das dann so aus: drei Privathaushalte, ein Vereinsheim und die Grundschule (erneut herzlichen Dank an den Landkreis) sind an das Freifunk-Netz angeschlossen und versorgen alle übrigen Hotspots im Ort mit Internet. Die Hotspots sind technisch so gesichert, dass WLAN-Nutzer nicht ins heimische Netzwerk kommen können. Außerdem erscheint die eigene Internet-Adresse (IP) nicht direkt im Netz, was sämtliche Themen rund um die Haftung enorm vereinfacht.

Unterschied zur digitalen Dorflinde

Auch in Mellnau gibt es mittlerweile eine (!) digitale Dorflinde. Gemeint ist damit der vom Land Hessen öffentlich geförderte Hotspot. Hinter der digitalen Dorflinde steht eine Firma aus Österreich, die Wartung, Betrieb und Haftung übernimmt. Dafür will sie natürlich bezahlt werden: So kostet ein Hotspot in der Anschaffung bis zu 1.500 Euro – für ein Gerät. Zum Vergleich: die Materialkosten bei Freifunk liegen inklusive Montage bei ca. 250 Euro pro Gerät. Ähnlich ist es bei den laufenden Kosten: Damit die Dorflinde funktioniert, benötigt sie einen Internetanschluss. Muss die Stadt den extra anschaffen, kommen schnell 600 Euro pro Jahr und Hotspot zusammen – bei Freifunk entfallen diese Kosten komplett.

Die ungeliebte Vorschaltseite

Die digitale Dorflinde ist technisch so gestaltet, dass man vor der Nutzung zunächst den Anbieter-AGB zustimmen muss. Was banal klingt, bringt in der Praxis Probleme mit sich. Erkennt ein Smartphone eine solche AGB-Vorschaltseite, blendet es sie ein und wartet auf eine Bestätigung – automatisch wird hier nichts bestätigt. Das ist nicht nur unkomfortabel, sondern auch hinderlich. Wer in einem Handy-Funkloch wohnt, könnte über ein offenes WLAN zumindest noch telefonieren, aber eben nur, wenn er auch eingeloggt ist. Hat man sich einmal bei Freifunk eingewählt, geschieht das danach automatisch. Die Dorflinde braucht regelmäßig den manuellen Login. Sensoren und Messgeräte können eine solche AGB-Sperre prinzipiell nicht überwinden, was bedeutet, dass Feinstaub- oder Temperatursensoren, Rasenmäherroboter des Bauhofs oder Füllstandsmesser an Containern von diesem Netz nicht profitieren.

WLAN an Orten ohne Internetanschluss

Besonders spannend an der Freifunk-Technologie ist, dass sie von Haus aus „Mesh“-Netzwerke bildet. Das bedeutet, dass sich zwei WLAN-Hotspots automatisch miteinander verbinden, um ihr Netz zu vergrößern. Der konkrete Nutzen dabei ist, dass mit dieser Technik das Internet an Orte gebracht werden kann, an denen normalerweise kein Netz ist. In Mellnau wird das Internet aus der Grundschule per Mesh in das Dorfgemeinschaftshaus und zur Burg gebracht – was dort zuvor mangels eigener Anschlüsse nicht möglich war.

Zahlen, Daten, Fakten

Das Mellnauer Freifunk-Netz hat bisher knapp 3.000 Euro gekostet, ein Gutteil davon sind Fördergelder, ca. 500 Euro sind private Geld- und Materialspenden. Stand Ende März 2020 sind zwölf Hotspots in Betrieb, außerdem drei Richtfunkstrecken. Zwei Hotspots werden für Event-Installationen vorgehalten, zwei weitere gehen noch in Betrieb. Aus dem Dorf wird bisher eine Bandbreite von ca. 200 Mbit/s zur Verfügung gestellt.

Soziale Teilhabe pur

Ein Handyvertrag kostet bei der Deutschen Telekom mit Gerät schnell 40 Euro bis 50 Euro im Monat, inklusive 10 bis 15 Gigabyte monatliches Datenvolumen. Eine 30-minütige Ausgabe der Hessenschau „verbraucht“ zwischen 0,5 und ein Gigabyte. Wohlgemerkt: für jedes Mal anschauen. Spielfilme verbrauchen entsprechend mehr Daten. Wer rein auf Mobilfunk angewiesen ist und diese Medien konsumieren will, stellt fest, dass es ohne WLAN nicht geht. Das jedoch kostet schnell noch einmal 40 Euro pro Monat. Berücksichtigt man, dass 2019 insgesamt 9,75 Prozent aller Haushalte in der Gemeinde als überschuldet galten, wird die Bedeutung dieser WLAN-Installation einmal mehr deutlich.

Und auch jenseits des Finanziellen bleibt offenes WLAN wichtig. Im Vereinsheim macht es einen Unterschied, ob Internet da ist oder eben nicht. Wer Internet hat, kann die Champions League zeigen – und hat automatisch mehr Besucher. Sogar das Dorfgemeinschaftshaus profitiert ganz handfest: Der Hochzeits-DJ freut sich über den Zugang zu Spotify und Youtube, die Teilnehmer an Sitzungen freuen sich über den Online-Zugriff auf Akten und E-Mails. Zu guter Letzt zeigte sich in Mellnau, dass wir mit dieser Technik auch echte Funklöcher ausleuchten konnten, so dass dort nun sogar – über das Internet – telefoniert werden kann.

Ein tieferer Einblick in das Mellnauer Freifunknetz findet sich auf
www.ditze.net

Dieser Beitrag stammt aus dem Landes-SGK EXTRA Hessen der DEMO. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Hessen.