Glosse „Das Letzte”

Abgehoben

Carl-Friedrich Höck27. Juli 2018
Glosse Das Letzte
Nicht zugänglich für Menschen ohne Humor: Die Glosse „Das Letzte”
Funklöcher per App melden? Eine Wohnung kaufen, wenn das Geld nicht für die Miete reicht? Manche Vorschläge von Politikern gleichen einem Schildbürgerstreich.

Als sich Alexander Gerst am 6. Juni 2018 auf den Weg zur Arbeit machte, schaute ihm halb Deutschland dabei zu. Was daran liegt, dass Gerst ein Astronaut ist. Statt des ÖPNV brachte ihn das Raumschiff Sojus zur Arbeitsstätte, der internationalen Raumstation ISS, wo er nun für einige Monate das Kommando innehat. Der Deutsche befindet sich also außerhalb der irdischen Sphären. Er wird es einem nicht krumm nehmen, wenn man ihn als abgehoben und weltfern bezeichnet.

Der Welt entrückt

Auf dem Planeten Erde dagegen gelten diese Adjektive nicht gerade als Kompliment. Die Geschichte hat nämlich wiederholt gezeigt, dass Menschen nicht in ein Raumschiff steigen müssen, um der Lebenswelt ihrer Mitmenschen zu entrücken. Ein klassisches Beispiel ist die einstige französische Königin ­Marie-Antoinette. Der Legende nach soll sie – auf ihr hungerndes Volk angesprochen – gesagt haben: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“

In abgewandelter Form taucht diese Logik bis heute immer wieder auf. Im vergangenen Jahr etwa verblüffte der FDP-Politiker Graf Alexander von Lambsdorff die Zuschauer des ARD-Morgenmagazins. Eine alleinerziehende Mutter wollte wissen, was die FDP als Regierungspartei für sie tun würde. Von Lambsdorff riet ihr daraufhin, sich eine Immobilie zu kaufen, statt monatlich 300 bis 400 Euro Miete zu zahlen (so die Kostenschätzung des Freidemokraten). Die FDP wolle schließlich die Grunderwerbssteuer senken und außer­dem auch noch die Grenze für den Spitzensteuersatz anheben. „Wenn man sich keine Miete leisten kann, einfach eine Wohnung kaufen“, kommentierten Twitter-Nutzer danach spitz. Mit der Alltagsrealität vieler Alleinerziehender dürften die Vorschläge wenig zu tun haben.

Kein Empfang? Per Handy melden!

Auch in der Argumentationskette des Bundesministers für digitale Infrastruktur klafft manchmal ein schwarzes Loch. Etwa dann, wenn es um die Mobilfunkabdeckung geht. Der CSU-Politiker Andreas Scheuer hat kürzlich die Bürger dazu aufgerufen, Funklöcher zu melden. Wenn sie in ein solches hineingeraten, sollen sie ihr Handy zücken und per App anzeigen, dass sie gerade keinen Empfang haben.

Eine App für Funklöcher? Das klingt nicht nur nach einem Schildbürgerstreich, die Jagd nach weißen Flecken ist auch von fragwürdigem Nutzen. Denn die Mobilfunkunternehmen wissen längst, wo ihre Netze Lücken haben. Die App ist wohl nur eine PR-Aktion. Ebenso gut könnte Scheuer Alexander Gerst damit beauftragen, die Funklöcher beim Blick auf die Erde zu identifizieren und seine Erkenntnisse vom Weltall aus direkt ins Digitalministerium durchzukabel... ach, lassen wir das.
Den Bürgerinnen und Bürgern im Funkloch bleibt derweil nur eines: Abwarten, Tee trinken – Kuchen essen!