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Wie ärztliche Versorgung auf dem Land funktioniert

Jürgen Kaufmann30. Dezember 2020
Die gesundheitliche Versorgung in Stadt und Land zu gestalten ist eine Herausforderung.
Es braucht einen vielfältigen und attraktiven Mix aus Unterstützungs- und Förderangeboten, um ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen zukunftsfähig zu machen. Jürgen Kaufmann beschreibt das am Beispiel des Schwalm-Eder-Kreises, wo er Erster Kreisbeigeordneter und Gesundheitsdezernent ist.

Problembeschreibung

Den idealtypischen Landarzt, der allein eine Praxis betreibt und an 365 Tagen im Jahr für alle denkbaren medizinischen und sozialen Problem­stellungen rund um die Uhr zur Verfügung steht, gibt es nur noch im Fernsehen.

Die ärztliche Versorgung auf dem Land ist in aller Munde. Es geht um zu wenig Praxen und zu lange Wartezeiten bei Fachärzten. Besonders die allgemeinmedizinische Versorgung in ländlich geprägten Regionen wie dem Schwalm-Eder-Kreis in Nordhessen, mit 27 Städten und Gemeinden, stellt zunehmend ein Problem dar, was noch immer nicht ausreichend gelöst ist.

Rolle der Politik

Um die landärztliche Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen, bedarf es politischer Weichenstellungen. Auch beim prognostizierten Bevölkerungsrückgang wird es immer mehr hochbetagte Menschen geben, die aufgrund von Multimorbidität vermehrt auf qualifizierte medizinische Versorgung angewiesen sind.

Ein Gegensteuern durch politische Entscheidungen ist dringend geboten. Dabei wird die Bereitstellung zusätzlicher Medizinstudienplätze eine entscheidende Rolle spielen. Idealerweise sollten 20 Prozent mehr ­Studienplätze geschaffen werden, die über eine verbindliche Landarztquote vergeben werden. Dabei sollten neben der Allgemeinmedizin auch die allgemeinen Fachdisziplinen berücksichtigt werden.

Der Verweis, dass die Kassenärztliche Vereinigung zuständig sei und das Problem lösen müsse, greift zu kurz. Es gilt vielmehr ein Maßnahmenbündel aller im System Beteiligten zu schnüren und dadurch Erfolge zu erzielen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Hessen jährlich etwa 100 Ärzte eine allgemeinmedizinische Facharztprüfung absolvieren, während im gleichen Zeitraum der altersbedingte Abgang einen Nachbesetzungsbedarf von rund 200 Ärzten erfordert. Diese Zahlen machen deutlich, welches Delta sich auftut und dass die KV keine Ärzte verteilen kann, die nicht vorhanden sind.

Lösungsansätze

Die Tendenz junger Ärzte*innen geht dahin, sich eher in Berufsausübungsgemeinschaften zu organisieren. Dabei streben viele nicht in die Selbstständigkeit, sondern in ein Angestelltenverhältnis, ohne sich langfristig, z. B. durch die Aufnahme von hohen Krediten, binden zu müssen.

Kombinationen mit arztentlastenden Diensten – wie der Versorgungsassistentin in Hausarztpraxen ­(VERAH) oder von nichtärztlichen Praxisassistenten (NäPA) – sind ebenso geeignet den Praxisalltag und die Arbeitsbelastung der Ärzt*innen zu optimieren. Die Nutzung von Telemedizin kann für Mediziner*innen und Patient*innen Erleichterungen bringen.

Beispiele aus dem Schwalm-Eder-Kreis

Die Kommunalpolitik hat im Rahmen der Daseinsvorsorge dafür Sorge zu tragen, dass auch in Zukunft die medizinische Versorgung sichergestellt ist. Dabei muss allen Beteiligten von Beginn an klar sein, dass es nicht das eine Lösungsmodell gibt.

Der Schwalm-Eder-Kreis hat ein Förderprogramm aufgelegt, in dem er auf Basis einer 2019 erstellten Gesamtversorgungsanalyse für den Landkreis in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gemeinden innovative Projekte zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung fördert. Die Unterstützung kann sowohl im konzeptionellen als auch im investiven Bereich erfolgen.

Seit 2015 gibt es das Versorgungsstärkungsgesetz, das erstmals Kommunen die Möglichkeit einräumt, an der medizinischen Versorgung teilzunehmen. Die Initiative kam u.a. aus dem Schwalm-Eder-Kreis. Der Wahlkreisabgeordnete und Gesundheitspolitiker, MdB Dr. Edgar Franke, transportierte die Problematik und sorgte dafür, dass sie in den Koalitionsverhandlungen 2013 aufgenommen und die Lösung im Versorgungsstärkungsgesetz gefunden wurde.

Die kleinste Stadt Hessens, Schwarzenborn, hat sich parallel dazu entschieden, ein kommunales „Medizinisches Versorgungszentrum“ (MVZ) einzurichten. Es galt zunächst viele medizin-, kommunal- und arbeitsrechtliche sowie finanzpolitische Probleme zu lösen. Mittlerweile gibt es das MVZ in einem neu errichteten Gebäude, in dem neben einem Allgemeinmediziner eine Fachärztin sowohl für Allgemeinmedizin als auch Gynäkologie arbeitet. Ferner haben eine Physiotherapiepraxis sowie ein Pflegedienst hier ebenso ihren Sitz wie eine Automatengeschäftsstelle der beiden örtlichen Kreditinstitute. In direkter Nachbarschaft befindet sich ein über eine Genossenschaft initiierter Nahversorgungsmarkt, sodass hier ein Zentrum entstanden ist, das im Radius von zehn Kilometern rund 3.000 Menschen im ländlichen Raum die Grundversorgung garantiert.

Weitere Kommunen werden mit dem vom Landkreis aufgelegten Förderprogramm bei der Sicherstellung der medizinischen Versorgung ­sowie durch Beratung und Begleitung ­unterstützt.

Darüber hinaus hat der Schwalm-Eder-Kreis ein Stipendienprogramm aufgelegt, um die zukünftige ärztliche Versorgung besser zu sichern. Stipendiaten, die das Physikum absolviert haben und sich verpflichten nach ihrer Ausbildung mindestens zehn Jahre im Landkreis als Mediziner*innen zu praktizieren, erhalten für bis zu acht Semester eine monatliche Unterstützung im ­Studium von 875 Euro.

Fazit

Es wird auf einen vielfältigen und attraktiven Mix aus Unterstützungs- und Förderangeboten ankommen, um die medizinische Versorgung in ländlichen, zentrenfernen Regionen zukunftsfähig zu machen. Im Schwalm-Eder-Kreis haben sich die Verantwortlichen auf den Weg gemacht und hoffen, dass die angelaufenen Maßnahmen zum Erfolg führen.

Gewiss ist aber, dass die medizinische Versorgung auf dem Land eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die gelingen muss. Es wäre zu kurz gegriffen, den Blick auf urbane Gegebenheiten einzuschränken. Auf dem Land leben noch immer mehr Menschen als in der Stadt. Deren Zukunft so zu gestalten, dass auch kommende Generationen die Attraktivität des Landlebens erfahren können, ist und muss das Ziel sein.

 

Dieser Text wurde zuerst im Landes-SGK EXTRA Hessen der DEMO veröffentlicht und erscheint mit freundlicher Genehmigung der SGK Hessen. Im Blog „Meine Sicht” schreiben wechselnde Autoren aus persönlicher Perspektive über kommunale Themen.