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Anmerkungen zum Angehörigen-Entlastungsgesetz

Rachil Rowald06. November 2019
Rachil Rowald, Geschäftsführerin der SGK Brandenburg.
Ein Schritt in die richtige Richtung auch für die Kommunen? Rachil Rowald, Geschäftsführerin der SGK Brandenburg, spricht sich dafür aus, dass die Kommunen vom Bund einen entsprechenden Ausgleich fordern, damit die Kosten nicht am Ende an den Kommunen hängen bleiben.

Es gibt zwei Grundwahrheiten im Leben: Das Alter lässt sich nicht aufhalten und die meisten Dinge im Leben kosten Geld. Zwei Bevölkerungsgruppen waren sich dessen besonders bewusst: die Kinder pflegebedürftiger Eltern und Eltern, die ihre Kinder pflegen.

Bereits der Koalitionsvertrag der großen Koalition auf Bundesebene sah hier eine Entlastung der Angehörigen vor und setzt dies nun mit dem „Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe“ (kurz: Angehörigen-Entlastungsgesetz) um. Dieser Entwurf der Bundesregierung wurde am 14. August dieses Jahres im Kabinett verabschiedet und mit Vorlage an den Bundestag, damit auf den Gesetzgebungsweg gebracht.

Jede und jeder, der Angehörige pflegt – seien es Kinder, die Eltern pflegen oder Eltern, die Kinder pflegen – weiß, wie finanziell belastend das ist. Die Pflegebedürftigen können die nicht unerheblichen Summen selten stemmen, deshalb wurden bislang in der Regel die Angehörigen herangezogen. Können also zum Beispiel pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren die Kosten für die Pflege nicht selber zahlen, kommen die Angehörigen für sie auf. Für viele ist das grundsätzlich auch selbstverständlich, dass man seine Eltern unterstützt. Auf der anderen Seite sind die Kosten oftmals sehr hoch, so können schnell mal monatlich 2.700 Euro fällig werden.

Grenzen fanden sich bei Geringverdienern, Alleinstehenden, die weniger als 21.600 Euro netto verdienten und Familien mit einem Einkommen unter 38.800 Euro. Diese Grenzen waren dem Gesetzgeber denn auch zu niedrig angesetzt.

Es gilt das Solidarprinzip

Angehörige sollen zukünftig, so der Gesetzentwurf, erst ab einem Bruttojahreseinkommen von 100.000 Euro herangezogen werden können. Das soll auch für alle Eltern gelten, die ein Kind mit Behinderungen pflegen, und erfasst werden auch die Zuzahlungen, soweit ein Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht. Bei einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von um die 3.880 Euro wird ein erheblicher Anteil der Angehörigen also davon erfasst werden.

Der Gedanke, der hinter der Entlastung steht, ist das Solidarprinzip, wonach Bürgerinnen und Bürger eben nicht nur für sich alleine verantwortlich sind, sondern sich gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewähren. Das Solidarprinzip ist die tragende Säule der Sozial- und gesetzlichen Krankenversicherungen – aber auch ein grundlegender sozialdemokratischer Gedanke.

Widerspruch nicht aufgelöst

Von den Kommunen, kommunalen Verbände und vielen kommunalpolitisch Aktiven wird allerdings befürchtet, dass nun erhebliche Mehrbelastungen auf sie zukommen. Tatsächlich wird der Widerspruch zwischen den Interessen der Pflegebedürftigen bzw. deren Angehörigen und den Kommunen, denen dadurch erheblicher weiterer Aufwand entsteht, nicht aufgelöst. Eine weitere Grundwahrheit ist nämlich auch, dass Entlastungen auf der einen Seite Belastungen auf einer anderen Seite mit sich bringen. Denn Geld kann man nicht beschließen – nur die Verwendung.

Natürlich ist eine Entlastung von Angehörigen grundsätzlich wünschenswert. Man muss sich nur die Frage stellen, wo auf der anderen Seite eine höhere Belastung gesehen wird.

Kommunalpolitisch Aktive, die gleichzeitig finanziell für Mutter und/oder Vater im Pflegeheim gerade stehen, verstehen vermutlich am ehesten, wo die Haken liegen – da schlagen dann zwei Herzen in einer Brust.

Vereinzelt wird angeführt, das Gesetz gehe in die falsche Richtung, weil es eben nicht aus der Luft gegriffen ist, dass Eltern für ihre Kinder verantwortlich sind und Kinder eben auch für ihre Eltern gerade stehen müssen. Das Argument übersieht allerdings, dass sich die Gesellschaft ganz grundsätzlich verändert hat und auch die Familienstrukturen nicht mehr dieselben sind. Bei Alleinerziehenden, aber auch bei zwei oder mehr Verdienern, die zwar über der unteren Grenze des ursprünglichen Gesetzes liegen, aber bei Weitem keine großen Sprünge machen können, und bei steigenden Pflegekosten auf der anderen Seite, ist die Antwort nämlich nicht so einfach. Auch deshalb, weil die Rentenbezüge nicht mit diesen Vorstellungen einhergehen.

Aber wer soll die Kosten nun zukünftig übernehmen? Aus den kommunalen Verbänden ist zu hören, dass man für die Kommunen Mehrbelastungen in Milliardenhöhe befürchtet. Bereits gegenwärtig würden rund 400.000 Menschen finanzielle Hilfen von den Sozialämtern der deutschen Städte und Gemeinden für die Entlastung erhalten – Kosten seien aber aus den Einnahmen nicht gedeckt. Bei einer 100.000-Euro-Grenze würde sich die Anzahl der Betroffenen dann erheblich vervielfachen.

Wo allerdings auf der einen Seite entlastet wird, muss man eben auch wissen, wo an anderer Stelle belastet wird. Jede und jeder kommunalpolitisch Aktive, Kämmerin und Kämmerer und Mitglied eines Haushaltsausschusses weiß das.

Die Forderung der Kommunen muss deshalb darauf gerichtet werden, dass der Bund für einen entsprechenden Ausgleich sorgt, damit die Kosten nicht am Ende an den Kommunen hängen bleiben. Das ist eine Frage, die vorab zu klären ist. Man wird sehen, wie Bundestag und Bundesrat, aber auch die einzelnen Länder sich dazu verhalten.