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Befragung durch „AppStimmung“

Dorothea Kliche-Behnke22. April 2019
Dr. Dorothea Kliche-Behnke
Dr. Dorothea Kliche-Behnke, SPD-Stadträtin und stellvertretende Vorsitzende der SPD Baden-Württemberg
Tübingen nutzt seit kurzem eine BürgerApp für kommunale Befragungen. Ein Gewinn für die direkte Demokratie? Oder ein manipulierbares Werkzeug, das eh nur Wenige nutzen?

Endlich ist es so weit: In diesen Tagen läuft die erste Abstimmung in Tübingen mit Hilfe unserer Bürger­App. Das ist bundesweit die erste kommunale Befragung mittels einer App.

Was ist die BürgerApp?

Die BürgerApp ist ein neu entwickeltes Instrument direkter Demokratie und dient dazu, dass sich der Gemeinderat ein Meinungsbild der Tübinger*innen einholen kann. Mitmachen können alle Einwohner*innen ab 16 Jahren, also 77.000 Tübinger*innen, sofern sie sich per Smartphone oder Tablet mit ihrem persönlichen Zugangscode angemeldet haben, den alle per Post von der Stadt erhalten haben. Als Alternative ist es auch möglich, am PC oder auf Papier teilzunehmen. Die Befragung geht über zwei Wochen und ist für den Gemeinderat nicht bindend. Bei Interesse kann sich jede und jeder durch ein paar Klicks weitere Informationen zu Planungen, Gutachten, Kostenschätzungen usw. einholen.

Konkret fragen wir in dieser ersten Befragung die Tübinger*innen, ob sie dafür sind, ein neues Schwimmbad in Tübingen zu bauen, ob sie der Schließung unseres ältesten Schwimmbades zustimmen, ob sie sich dort einen Konzertsaal als Nachnutzung vorstellen können und ob ein mögliches neues Schwimmbad 25 oder 50 Meter lang sein sollte. Die Fragen haben wir interfraktionell mit dem Oberbürgermeister und den Beigeordneten konsensuell entwickelt. Für die Einführung der App sowie die Fragen war eine Zweidrittel-Mehrheit im Rat nötig.

Übrigens gab es für die Entwicklung der App eine Förderung durch das Land Baden-Württemberg. Voraussetzung war, dass sie zukünftig auch anderen Kommunen zur Verfügung stehen wird.

Kritik an der App

Eine der ersten Fragen – natürlich auch für die SPD – war: Schließen wir nicht Personen mit der App aus, die kein Smartphone haben? Deshalb hing unsere Zustimmung auch an der Bedingung, dass es alternative Abstimmungsmöglichkeiten gibt. Immer wieder gibt es grundsätzliche Kritik an uns Stadträt*innen von Bürger*innen, die uns vorwerfen, wichtige Entscheidungen delegieren zu wollen. Das ist das Argument, das letztlich gegen jede Form direkter Demokratie eingewandt werden kann.

Die lauteste Kritik kam aber vom Chaos Computer Club, der starke sicherheitstechnische und letztlich demokratietheoretische Bedenken hatte. Es wurde eingewandt, dass viele Endgeräte nicht vertrauenswürdig seien, der Quelltext und der Prüfbericht eines externen Sicherheitstest nicht einsehbar wären und dass wir als Stadt dem Anbieter vertrauen müssten und deshalb Manipulation nicht ausschließen könnten. Die Stadt hat Stellung zu den Einwänden genommen und sich entschieden, den Prüfbericht auf die städtische Internetseite zu stellen.

Unsere Position als SPD-Fraktion

Wir haben uns mit allen Einwendungen auseinandergesetzt und kommen bei unserer Abwägung zu der Position, dass wir die BürgerApp klar unterstützen. Es ist letztlich eine niedrigschwellige Möglichkeit, die Meinung von Menschen einzuholen, die sich nicht regelmäßig an Runden Tischen in unserer sehr diskussionsfreudigen und akademisch geprägten Stadtgesellschaft beteiligen. Außerdem können auch die Migrant*innen mitmachen, die kein Wahlrecht haben.

Ich bin gespannt auf das Ergebnis der ersten Befragung durch die App, denn die SPD hat zum Schwimmbad-Neubau und zur Konzertsaalnutzung eine sehr klare Position. Die Befragung birgt also das Risiko, dass wir unsere Haltung überdenken müssen, denn selbstverständlich muss man das Ergebnis der AppStimmung ernst nehmen. Abweichende Entscheidungen vom Mehrheitsvotum durch den Gemeinderat sind selbstverständlich möglich, müssen aber schon sehr gut begründet werden. Nur bei der Länge des von uns gewünschten neuen Schwimmbades sind wir noch nicht festgelegt und erhoffen uns Klarheit durch die Befragung. Gespannt bin ich natürlich auch auf die Resonanz der Tübinger*innen auf die Bürger­App. Bestimmt werden wir zukünftig nicht andauernd Befragung per BürgerApp durchführen. Aber in einem digitalisierten Zeitalter kann es nicht schaden, die direkte Demokratie durch ein solches Instrument zu ergänzen und dadurch letztlich die Demokratie zu beleben.

Dieser Text ist zuerst im Landes-SGK Extra Baden-Württemberg der DEMO erschienen. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der SGK Baden-Württemberg.