Blog meine Sicht

Wie wir auf #Chemnitz reagieren sollten

Kevin Groß06. September 2018
Kevin Groß
Kevin Groß ist Mitglied der SPD-Fraktion im Erfurter Stadtrat.
Im Kampf gegen Rechts dürfe man nicht den Falschen die Hand reichen, forderte die Chemnitzer Sozialdemokratin Sabine Sieble auf demo-online – und kritisierte die Antifa. Darauf antwortet Kevin Groß, Mitglied im Erfurter Stadtrat: Politik gegen Nazis brauche das Selbstverständnis, Antifaschist zu sein.

Am Samstag und am Montag in Chemnitz war ich selbst nicht vor Ort. Aber warum melde ich mich trotzdem zu Wort? Seit meinen 15. Lebensjahr bin ich antifaschistisch organisiert, gehe auf Demonstrationen, helfe bei der Organisation von Anti-Nazi-Protesten und kam über mein Engagement gegen rechts in meiner Heimatstadt Erfurt erst zur Antifa, dann zu den Jusos und sitze heute für SPD im Erfurter Stadtrat.

In ihrem Kommentar schreibt die Genossin Sabine Sieble, von einem „fröhlich-unbedarften Demotourismus“, einer „militanten Antifa“ und einer Band, die „mit ihren Songtexten und Ansprachen alles tat, um das Motto ‚Herz statt Hetze‘ ins Gegenteil zu verkehren“. Letztendlich „müssen [wir] als Sozialdemokraten mit klarer Haltung und wahrhaftig für unsere Demokratie und ihre Werte einstehen und dürfen im Kampf gegen Rechtsextremismus nicht den Falschen die Hand reichen, allein weil es ‚gegen rechts‘ geht.“

Die bürgerliche Mitte hat den Protest verschlafen

Jahrelang habe ich in Erfurt Proteste gegen Nazis, Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und letztlich auch die AfD mitorganisiert. Als im Jahr 2015 die ganze Republik in meine Heimatstadt geschaut hat und Björn Höcke tausende dieser „besorgten Bürgerinnen und Bürger“ auf die Straße brachte, haben wir uns dagegen gewehrt. Parteien, Arbeitgeber und die ominöse bürgerliche Mitte schauten damals noch lange zu, als wir mit allen linken Jugendverbänden, Kirchen und Antifas Proteste organisierten, bei denen es vor allem darum ging unsere eigenen Demonstrationen vor Angriffen zu schützen.

Auch meine Gruppe hat es an so einem Abend erwischt und glücklicherweise blieb es nur bei paar blauen Flecken und geklauten Juso-Fahnen. Hätten wir in dieser Zeit niemanden aus der „militanten Antifa“ gehabt, der sich in die erste Reihe der Demonstration stellt, wäre die Bilanz dieser Demonstrationen verheerend, denn auch die Polizei war lange Zeit nicht für diese Massen an besorgten Bürgern und Nazis gewappnet. In meiner gesamten Zeit im Engagement gegen rechts war ich immer dankbar über diejenigen, die sich notfalls auch gegen Angriffe verteidigen können, die uns verteidigen können.

Der Aufstand der Anständigen fällt aus

Ich verstehe das befremdliche Empfinden, dass die Genossin an den Tag legt. Ich halte es aber für naiv. Es ist für mich nachvollziehbar, dass man aus der Position der Unbedarftheit heraus eine Volksfront gegen Nazis fordert. Die wird es aber nicht geben, der Aufstand der Anständigen wird keiner. In all den Jahren deutscher Bewegungsgeschichte ist immer klar gewesen, dass sich die bürgerliche Mitte in Gestalt von Arbeitgebern, CDU und FDP um klare antifaschistische Positionen drückt, wenn es drauf ankommt. Stattdessen wird die Keule des Extremismus herausgeholt, rechte Gewalt relativiert und die gute Mitte beschworen. Arbeitgeber, CDU und FDP stehen im Kern nicht dafür, wofür die Sozialdemokratie steht. Sie werden den Positionen der Rechtsextremen immer wieder nachlaufen und eine Politik gegen Nazis kann langfristig nur ohne sie stattfinden.

Wir SozialdemokratInnen sollten politische Kompromisse mit den Menschen suchen, die wissen wie es ist, von Nazis gejagt zu werden, und nicht mit denen die zuschauen und schweigen.

Von Bündnissen, die so breit aufgestellt sind, dass ihre Inhalte am Ende in Gestalt einer Aussage á la Helene Fischer daherkommen, halte ich nichts. Für eine Politik gegen Nazis braucht vor allem Haltung und das Selbstverständnis Antifaschist zu sein. Ich bin dankbar für alle Menschen, die im wilden Osten den Mut haben die Stimme gegen Nazis und Faschisten zu erheben!

 

Im Blog „Meine Sicht” schreiben wechselnde Autoren aus persönlicher Perspektive zu unterschiedlichen kommunalen Themen. Dieser Blogbeitrag gibt nicht die Meinung der DEMO-Redaktion, sondern des Autors wieder.