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Clean City – wie Herrenberg gegen Luftverschmutzung kämpft

Sarah Holczer08. Mai 2018
Sarah Holczer
Sarah Holczer
In Herrenberg ist die Luftverschmutzung durch Stickoxide besonders hoch. Schuld sind zwei Bundesstraßen und eine ungünstige geografische Lage. Mit digitalen Möglichkeiten und einem umfassenden Konzept geht die Stadt das Problem an und könnte zum Modell für andere Kommunen werden.

Herrenberg ist seit Faschingsdienstag 2018 bundesweit bekannt. Zumindest bei denen, die sich mit NOx, dem Dieselskandal und den Grenzwerten aus Brüssel auskennen.

Autos gehören zur Stadt – im Guten wie im Schlechten

Herrenberg liegt im Speckgürtel Stuttgarts, an der A81 vor dem Tunnel, aus Stuttgarter Sicht gerne nach dem Tunnel. Eine 30.000-Einwohner-Stadt aus acht Stadtteilen. Das Besondere an Herrenberg ist neben der hohen NOx-Belastung vielleicht auch, dass direkt neben der Autobahn einer der Hauptarbeitgeber von Böblingen ansässig ist: Daimler. Ein Automobilkonzern. Herrenberg leidet unter dem Automobilverkehr wie kaum eine andere Stadt in dieser Größe.

Herrenberg liegt wunderschön am Schönbuchrand mit einer historischen Altstadt, die zur Fachwerkstraße Baden-Württemberg gehört. Verweilen in Herrenberg macht allerdings nur wenig Freude. Die Stadt selbst wird von zwei Bundesstraßen zerschnitten, die Herrenberg wie ein Kreuz in vier Teile teilt. Ausweichen ist nicht möglich, da Herrenberg am Berg liegt und zusätzlich die Bahnachse die Stadt weiter zerschneidet. Die Bundesstraßen dienen zusätzlich als Umleitungsstrecke für die A81. Seit Jahrzehnten zerbrechen sich Planer und Gemeinderäte den Kopf nach einer Verkehrslösung, die der Stadt Luft zum Atmen bringt. Der große Wurf kam bisher noch nicht.

Herrenberg ist Modellkommune

Seit fünf Jahren hat der Gemeinderat das Thema der integrierten Verkehrsplanung auf Antrag der SPD für sich erkannt und festgestellt, dass für Herrenberg in diesem Ansatz eine Lösung zu finden sein könnte, immer auch unter dem Hinweis, dass die Stadt ein NOx-Problem hat. In der Verlagerung des Modalsplit wurde beispielsweise ein Lösungsansatz gesehen. Nach und nach wurden Maßnahmen umgesetzt und Gelder im Haushalt eingesetzt. Schritt für Schritt hat die Stadt sich auf den Weg gemacht. Momentan findet die Planung für ein integriertes Mobilitätskonzept statt, Herrenberg ist im Green Plan und nun auch Modellkommune.

Wieso sollte eine Kommune wie Herrenberg denn jetzt noch von der Modellkommune profitieren, wenn sie sich ohnehin schon auf den Weg gemacht hat?

Viele der Prozesse sind langwierig, scheitern am Geld und am Umsetzungswillen aller beteiligten Akteure. In Herrenberg ist als Baulastträger der Straßen immer auch das Regierungspräsidium Stuttgart beteiligt. Hier treffen zwei Meinungen aufeinander. Was in anderen Regierungspräsidien gut und sicher umgesetzt wird, scheint für Herrenberg nicht zu funktionieren. Die Rahmenbedingungen aufgrund der Verkehrslage sind einmalig.

Digitalisierung als Chance

Die Chance einer Modellkommune besteht nun darin die digitalen Möglichkeiten zu nutzen und alle relevanten Verkehrsströme berücksichtigen zu können. Der Stau auf der Autobahn (der Tunnel auf der A81 spielt hier eine entscheidente Rolle), der Verkehrsfluss um Herrenberg und in Herrenberg, alles könnte digital erfasst werden und durch ein flexibles Leitsystem in Fluss gebracht und gehalten werden.

Parallel können gezielte Maßnahmen, die den Modalsplit zu Gunsten des ÖPNV, Fuß- und Radverkehr verbessern, umgesetzt werden. Also alles, was Nahmobilität und innerstädtischen Ziel- und Quellverkehr betrifft. Die sogenannte „letzte Meile“ soll attraktiver werden. Maßnahmen für einen attraktiveren ÖPNV, bessere Taktzeiten, Bürgerbus und Bus-on-Demand in Schwachlastzeiten, vergünstige Monatstickets und mehr. Ebenso soll in das Fahrrad investiert werden. Eine Verbesserung der Fahrradabstellanlagen, wie z.B. durch einen Parktower oder kommunale Fördermittel beim Kauf eines E-Bikes oder E-Lastenrades. Es sollen Anreize geschaffen werden, innerhalb der Stadt den ÖPNV oder das Rad zu nutzen.

Ziel ist es, die Verlagerung des innerstädtischen Verkehrs herzustellen, um z.B. auch Platz für eine Busspur und Busvorrangschaltung zu erhalten. Getoppt werden soll das Ganze von einer App, die einem die jeweils NOx-ärmste oder schnellste oder günstigste Route – oder welche Optionen dann noch zur Verfügung stehen – zum Ziel anzeigt. Diese Entwicklung einer App oder auch das Implementieren von Verkehrssystemen soll in Zusammenarbeit mit der regional ansässigen Industrie wie Daimler oder Bosch geschehen.

Die Fraktionen arbeiten in Herrenberg zusammen

Dies alles ist nur ein kurzer Auszug aus einem 5-Maßnahmen-Paket. Entwickelt wurde dieses Paket durch einen Vertreter jeder Fraktion sowie der Verwaltung. Hervorzuheben ist hier, dass es allen Beteiligten wichtig war, hier Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die sich auch auf andere Kommunen übertragen lassen können. Ziel war nicht, für Herrenberg den bestmöglichen Profit herauszuholen, sondern auch zu überlegen, was könnte in anderen Kommunen unserer Größenordnung nachher in ähnlicher Form funktionieren und auch, wie können wir die umliegenden Kommunen jetzt schon einbinden oder wie könnte das dann in einem nächsten Schritt funktionieren? Herrenberg hat sich hier nicht isoliert selbst betrachtet, sondern im Kontext einer kommunalen Gemeinschaft mit dem Umliegergemeinden und Städten.

Clean City ist nicht nur eine Chance in Bezug auf NOx, sondern auch eine große Chance im Bezug auf Lärmvermeidung, den Raumgewinn für die Stadtplanung und eine zukunftsorientierte Mobilitätspolitik in den Kommunen.

 

Im Blog „Meine Sicht” schreiben wechselnde Autoren aus persönlicher Perspektive über kommunale Themen. Dieser Beitrag wurde zuerst im „Landes-SGK EXTRA Baden-Württemberg” der DEMO veröffentlicht und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Baden-Württemberg.