Blog Meine Sicht

Wie die Digitalisierung der Pflege den Kommunen helfen kann

Steffen Haake10. Juni 2020
Steffen Haake, ist in Ostfriesland in der SPD engagiert und Mitglied im Auricher Stadtrat.
Die Corona-Krise wird insbesondere der Digitalisierung einen enormen Schub geben, den es sozialdemokratisch zu gestalten gilt. Dabei darf die wissenschaftliche Betrachtung der Digitalisierung der Pflege nicht zu kurz kommen. Das Thema bietet auch für die Kommunen großes Potenzial.

Schon lange machen wir ostfriesischen Jusos darauf aufmerksam, dass die gerechte Gestaltung dieser allumfassenden gesellschaftlichen Revolution unbedingt in den Fokus der Kommunalpolitik gerückt werden muss. In Zeiten des Lockdowns hat dieses Thema an Relevanz gewonnen, nicht nur durch die verstärkte Nutzung vom Home Office. Der Megatrend der Digitalisierung kann zur Demokratisierung in der Gesundheitsfürsorge führen: Denn die Teilhabe an Gesundheitsleistungen könnte im ländlichen Raum digital deutlich erleichtert werden.

Die Niederlande machen es vor

Der zwischenmenschliche Austausch in der Tele-Pflege kann beispielsweise durch städtische Förderung der boomenden Telefonseelsorge verbessert werden. Eine Digitalisierung sozialdemokratischer Prägung kann hier Abhilfe schaffen, wenn digitale Angebote Pfleger*innen näher an Patient*innen bringen. Ein Blick zu unseren niederländischen Nachbar*innen zeigt, dass es trotz der Pandemie noch zu viele Krankenhäuser in Deutschland gibt, deren Ausstattung häufig veraltet ist. Wie insbesondere von Gesundheits- und Pflegewissenschaftler*innen gefordert, muss ein höherer Spezialisierungsgrad nicht immer zur Aufgabe von Standorten führen, allerdings zwangsläufig mit dem kommunal gesteuerten Aufbau von digital ausgestatteten Gesundheitszentren einhergehen.      

Klar ist, dass all diese Forderungen nur mit einer guten Internetverbindung umgesetzt werden können. Der Landkreis Aurich muss daher den Breitbandausbau dringend weiter vorantreiben. Aurich muss sich am Nachbarkreis Leer orientieren, der vorbildliche Arbeit leistet. Die strukturpolitischen Maßnahmen vom Leeraner Landrat, dem Sozialdemokraten Matthias Groote, stehen insofern unmittelbar in Zusammenhang mit der Gesundheitspolitik. Auch das Auricher Digitalisierungsamt muss weiter gestärkt werden, ich begrüße es daher, dass die Stadt Aurich meine langjährige Forderung nach der Einrichtung eines Digitalisierungsamtes erfüllt hat. Schließlich ist es ein großes Problem, dass die Stadt Aurich als Verwaltungs-, Industrie- und Gesundheitsstandort bei der Digitalisierung immer noch zurück hängt.

Utilitaristisch helfen: Digitalisierung der Pflege gerecht gestalten

Doch so wichtig die Digitalisierungsanstrengungen des Kreises Leer, wie das smarte Fall-Tracking beim jüngsten Ausbruch von Corona-Infektionen durch eine zweifelhafte Restauranteröffnung gezeigt hat, auch sind, eines muss vor die Klammer gezogen werden: Wenn wir durch die Pandemie endlich verstehen, dass Kinder, Eltern und pflegebedürftige Menschen im Mittelpunkt unserer Gesellschaft zu stehen haben, werden wir auch die zumeist weiblichen Fürsorge-Arbeiter*innen fair bezahlen und durch digitale Werkzeuge effektiv entlasten.

Für mich ist daher auch bei diesen kommunalpolitischen Überlegungen der Utilitarismus nach John Rawls ausschlaggebend. Dabei handelt es sich um eine Ethik, die den angenommenen größten Nutzen für die größte Anzahl Betroffener als das moralisch Anzustrebende definiert. Im Falle der Corona-Krise bedeutet das also, dass wir hinter einem Schleier des Nichtwissens Entscheidungen darüber treffen müssen, wen zu fördern ungeachtet der Person gesellschaftlich am erstrebenswertesten wäre. Wird so ein Test unvoreingenommen durchgeführt, reift die Erkenntnis, dass es den größten gesellschaftlichen Nutzen hätte, systemrelevante soziale Berufe wesentlich besserzustellen. 

Wissenschaft statt Stimmungsmache

Kommunalpolitik muss also letztlich immer auf der Grundlage von Wissen agieren – und nicht auf dem reinen Vertreten von Partikularinteressen. In der Corona-Krise haben wir begonnen, auf Wissenschaftler*innen wie den Virologen Christian Drosten zu hören. Warum hört die Politik nicht auch auf Rawls? Die Glaubwürdigkeit der Regionalparlamente würde sich dadurch sicher erhöhen.

Als Mitglied im Unterbezirksvorstand der SPD im Landkreis Aurich habe ich das im Zusammenhang mit dem Bau einer Zentralklinik für den Landkreis und die kreisfreie Stadt Emden schon häufig gedacht. In der Debatte setzten viele auf Stimmungsmache, statt der Wissenschaft Glauben zu schenken. Gleichzeitig liegt in letzterem natürlich auch die Aufgabe der Parteien und Politiker*innen: in der verständlichen Kommunikation komplexer Zusammenhänge, dem Abbilden vielfältiger Interessen und Meinungen in der Bevölkerung und dem Ausgleich: Versöhnen statt spalten – erst recht, wenn es um Menschen geht.

m Blog „Meine Sicht” schreiben wechselnde Autor*innen aus persönlicher Perspektive über kommunale Themen. Dieser Text ist zuerst auf vorwärts.de erschienen.