Genossenschaftswesen

Wie Genossenschaften die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung stärken

Ingmar RegaAsmus Schütt20. Juli 2021
Rund 7.000 Genossenschaften mit rund 23 Millionen Mitgliedern sind in der Gesellschaft tief verankert und ökonomisch unersetzlich. Ein Beispiel sind Marktreffs in Schleswig-Holstein.
Genossenschaften gibt es in Deutschland seit rund 170 Jahren. Lange Zeit galten sie als „Kinder der Not“. Heute sind sie zeitgemäße Antwort auf viele Megatrends und werden gegründet, um Chancen zu nutzen. Sie bieten für die Kommunalpolitik erhebliche Potentiale, die bislang kaum genutzt werden. Zeit für einen neuen Blick auf ein bewährtes System von Ingmar Rega, Vorstandsvorsitzender Genossenschaftsverband – Verband der Regionen, und Asmus Schütt, Bereichsleiter Kommunikation.

Die genossenschaftliche Idee entstand in Deutschland als eine Antwort auf die industrielle Revolution und schlecht umgesetzte Reformen auf dem Land. BreiteBevölkerungsschichten fielen in prekäre Lebensverhältnisse. Im Kern fehltenArbeitern, Bauern und Handwerkern der Zugang zu Finanzdienstleistungen und ökonomische Relevanz.

Daher bündelten die Menschen in Genossenschaften ihre Interessen und wirtschaftlichen Potenziale. Solidarisch und mitbestimmt entstanden förderwirtschaftliche Unternehmen, die sich den Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung verpflichteten.

Heute sind die in Deutschland aktiven rund 7.000 Genossenschaften mit fast 23 Millionen Mitgliedern ökonomisch unersetzlich, in der Gesellschaft tief verankert und hoch anerkannt. Sie sind krisenresistent, demokratisch und stärken die Zivilgesellschaft. Das ist kein Zufall sondern Ergebnis eines effektiven institutionellen Rahmens. Scheinbare Widersprüche ergänzen sich zu einem erfolgreichen Ganzen: Eigennutz und Solidarität, Partizipation und Effizienz, Unternehmer*in und Kund*in. 

Das genossenschaftliche Yin und Yang

Jede Genossenschaft ist ein Unternehmen, das durch einen gemeinsamen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb die ökonomischen, kulturellen oder sozialen Interessen der Mitglieder fördert. Jedes Mitglied ist zugleich Eigentümer*in und Geschäftspartner*in des Unternehmens.

Genossenschaften sind Unternehmen, in denen sich natürliche und/oder juristische Personen zusammenschließen, um durch einen gemeinsamen, wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb mehr zu erreichen als sie es einzeln können. Ergebnis ist der genossenschaftliche Förderauftrag. Die Genossenschaft handelt nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse ihrer Mitglieder.

Da alle Mitglieder im Förderinteresse gleich sind, haben sie unabhängig von ihrer kapitalmäßigen Beteiligung nur eine Stimme. Dem genossenschaftlichen Prinzip der Selbstverwaltung folgend, können nur Mitglieder der Genossenschaft Vorstands-oder Aufsichtsratsfunktionen wahrnehmen. Die Effizienz wird dadurch gestärkt, dass der Vorstand einer Genossenschaft große Freiheiten in der operativen Geschäftstätigkeit genießt. Dem wird die Pflichtmitgliedschaft in einem Genossenschaftsverband, die Gründungsprüfung sowie die genossenschaftliche Pflichtprüfung als Korrektiv gegenübergestellt. Im Ergebnis stehen viel Vertrauen undeine hohe Insolvenzresistenz.

Das Eigenkapital müssen die Mitglieder - ganz im Sinne der Selbstverantwortung - selbst aufbringen. Die Haftung – wichtig für die Beteiligung von Kommunen an Genossenschaften – kann beschränkt werden. In einer Genossenschaft findet ein permanenter Optimierungsprozess zwischen den Interessen der Mitglieder als Unternehmer*innen und denen der Mitglieder als Kund*innen statt. Wo das eine „Ich“ möglichst hohe Preise wünscht, erwartet das andere „Ich“ möglichst günstige Konditionen. Über das Verhältnis zwischen ausgeschütteten und thesaurierten Überschüssen entscheiden die Mitglieder in der General- bzw. Vertreterversammlung und bringen ihre beiden „Ichs“ zum Wohle der Genossenschaft in Einklang.

Fülle von Stärken der genossenschaftlichen Rechtsform

- Genossenschaften sind in der Regel auf Langfristigkeit und wirtschaftliche Nachhaltigkeit ausgerichtet. Ihre positive Wirkung entfalten sie über die Laufzeit eines Förderprogramms hinaus.

- Durch Genossenschaftsgründungen werden neue und zusätzliche Finanzmittel für freiwillige Leistungen bereitgestellt. Der kommunale Haushalt steht für andere, nicht unternehmerisch zu erbringende Leistungen zur Verfügung.

- Genossenschaften können klein starten. Der einfache Ein- und Austritt in und aus Genossenschaften lässt ein kontinuierliches Wachstum zu.

- Dank Pflichtmitgliedschaft in einem und Pflichtprüfung durch einen Genossenschaftsverband sowie dem damit verbundenen niedrigen Insolvenzrisiko sind die politischen Risiken überschaubar und auf mehrere Akteure verteilt.

- Unbeliebte Maßnahmen wie Schwimmbadschließungen können vermieden werden. Findet sich kein hinreichendes Bürgerengagement zum Betrieb oder ist das unternehmerische Risiko zu hoch, ist die Vermittlung negativer Entscheidungen deutlich leichter.

- Schließich stärken Genossenschaften das Wir-Gefühl. Sie können zum Kit der Dorfentwicklung werden, in Zeiten einer zunehmenden gesellschaftlichen Fragmentierung ein ganz besonderer Rechtsform-Asset.

Noch fokussiert die Kommunalpolitik bei ihrer Leistungserbringung auf steuerfinanzierte Ausgaben. Dabei könnten genossenschaftliche Lösungen ein zweiter starker Strang kommunaler Entwicklung werden – selbstragend, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkend und die Demokratie stützend.

Beispiel Markttreffs

Als Beispiel seien die MarktTreffs in Schleswig Holstein genannt. MarktTreffs sind Begegnungsstätten auf dem Land. Schleswig-Holstein fördert sie seit den 1990er Jahren. Wie sie sich bewährt haben, zeigen etwa die Beispiele in dem Dorf Heidgraben oder in Kirchbarkau, wo sich der Markttreff mit Lebensmittelladen, kleinem Café, Getränkemarkt zu einem Treffpunkt aller Generationen aus der rund 800 Einwohner*innen zählenden Gemeinde im Kreis Plön entwickelt hat. 

Kontakt: asmus.schuett@genossenschaftsverband.de