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Gute Arbeit, auch in der Verwaltung – das Arbeitszeitgesetz in der Kommunalpolitik

Christian Großmann 02. März 2021
Christian Großmann
In der Kommunalpolitik müssen Haupt- und Ehrenamt gut zusammenspielen. Dazu gehört, dass Ehrenamtliche die Arbeitnehmerrechte der Hauptamtlichen respektieren. Anmerkungen zum Arbeitszeitgesetz von Christian Großmann, Vorsitzender SGK Brandenburg und Erster Beigeordneter der Stadt Ludwigsfelde.

Es ist Dienstagabend, so gegen 19 Uhr. Im Sitzungssaal des Rathauses tritt der Bauausschuss der Gemeinde zusammen; anwesend sind neben den Ausschussmitgliedern und den sachkundigen Einwohnern, einigen interessierten Bürger/-innen und einer Vertreterin der Lokalredaktion auch die Leiterin der Bauverwaltung, der Sachbearbeiter für Hochbau und die Mitarbeiterin des Sitzungsdienstes als Protokollantin. Da es in dieser Sitzung um die Erweiterung des Gemeindehauses geht, entbrennt eine intensive Diskussion, in dessen Folge der Ausschuss erst gegen 22.30 Uhr zu seinem Ende kommt.

So oder so ähnlich findet landauf landab die Arbeit der kommunalen Vertretungen und Ihrer Ausschüsse statt. Ein Bild, dass vielen ­Leser/-innen – oft schon seit langer Zeit – vertraut ist.

Und doch hat dieses Bild einen Fehler. Finden Sie ihn? Ein Tipp: Es ist nicht das Format der Präsenzsitzung, die in Corona-Zeiten schwierig geworden ist und deshalb hier und da Veränderungen erfahren hat; nein, es sind auch nicht die anwesenden Bürger/-innen, auch wenn Sitzungen der lokalen Gremien oftmals auf kein großes Interesse in der Bevölkerung mehr stoßen – vor ­allem nach der Abschaffung der Straßenbaubeiträge.

Nein, es sind die Mitarbeitenden der Verwaltung. Jetzt werden bestimmt Fragen laut, wieso ich hier diese steile These aufstelle? Schließlich gehören sie zu den Sitzungen dazu: Die Leiterin der Bauverwaltung vertritt die von ihr erstellte Beschlussvorlage, der Sachbearbeiter kann alle Fragen der Ausschussmitglieder zu dem Bauprojekt kompetent beantworten; und welches Ausschussmitglied führt schon gerne eigenhändig Protokoll? Natürlich lebt die kommunale Selbstverwaltung auch und gerade vom guten Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamt, bilden sie doch gewissermaßen die zwei Seiten ein und derselben Medaille.

„Houston, wir haben ein Problem“

Wo liegt also das Problem? Um es mit einem Wort zu benennen: Es sind die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes. Dort legt der § 3 fest, dass die tägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers acht Stunden nicht überschreiten darf.

Diese kann zwar auf bis zu zehn Stunden im Ausnahmefall erweitert werden, aber auch das reicht oft nicht aus. Denn wenn man davon ausgeht, dass die Amtsleiterin ihre Arbeit am Morgen so gegen 8 Uhr begonnen hat und bis 18 Uhr – es ist ja schließlich langer Dienstag und Sprechtag – im Dienst gewesen ist, hat sie bereits, abzüglich der 45 Minuten für die vorgeschriebenen Pausen, neun Stunden und 15 Minuten „auf der Uhr“. Somit hat sie spätestens um 19.45 Uhr ihre maximale Arbeitszeit erreicht und müsste schon während der Einwohnerfragestunde die Sitzung wieder verlassen, um keinen Arbeitszeitverstoß zu begehen.

Dieser Verstoß kann nach § 22 ArbZG als Ordnungswidrigkeit durch die für Arbeitsschutz zuständige Behörde geahndet werden; wenn aber infolge der Überschreitung eine gesundheitliche Beeinträchtigung eintreten sollte, wird aus der Ordnungswidrigkeit eine Straftat. Da kann es dann ausreichen, dass die Protokollantin nach der langen Sitzung auf dem Heimweg einen Wildunfall hat und im Straßengraben landet. Dann lautet die Meldung für die/den Hauptverwaltungsbeamt/-in: ­„Houston, wir haben ein Problem.“

Spätestens mit der nationalen ­Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 14.05.2019 (Az. C-55/18), die die Arbeitgeber/-innen dazu verpflichtet ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeitenden gemessen werden kann, werden diese Verstöße zunehmend auch transparent werden.

Eine Patentlösung für die hier angesprochenen Probleme wird nur schwer zu finden sein. Klar, im Grunde müssten die Beschäftigten doch nur auf die Einhaltung ihrer Arbeitszeit achten. Aber da beginnen dann doch die Schwierigkeiten. Beleuchten wir die Gemengelage doch einmal aus unterschiedlichen Perspektiven.

Wann ist die richtige Zeit zum Anfangen?

Die kommunale Selbstverwaltung lebt – wie schon eingangs gesagt – zu einem wesentlichen Teil von dem Zusammenspiel und dem Miteinander von Ehren- und Hauptamt. So werden die – zumindest wichtigen – Entscheidungen von den gewählten Gremien im Ehrenamt getroffen. Dabei sind die Stadtverordneten und Gemeindevertreter/-innen auf eine gute Vorbereitung der Beschlüsse durch die Verwaltung angewiesen.

Dazu zählt auch der Meinungsaustausch in Gremiensitzungen. Da bleiben Nachfragen an die Mitarbeitenden der Verwaltung nicht aus. Und die Bürgermeister und Amtsdirektor/-innen – für die das Arbeitszeitgesetz als Dienststellenleitung keine Anwendung findet – können nicht in jedem Sachverhalt so tief im Detail stecken, um alle Frage immer umfassend zu beantworten.

Aber gerade an dieser Nahtstelle wird es schwierig. Um die ehrenamtliche Tätigkeit zu ermöglichen, finden diese Sitzungen meist in den Abendstunden statt. Dass dies mitunter zu Problemen mit der Vereinbarkeit von Ehrenamt und Familie führen kann, sei hier nur kurz erwähnt und böte Raum für ein eigenständiges Thema.

Die in größeren Kommunen und Landkreisen oft zu beobachtende Praxis, mit den Veranstaltungen bereits am Nachmittag zu beginnen, hilft zwar den Verwaltungsbeschäftigten in puncto Arbeitszeit, bringt aber Menschen in Probleme, für die ihr kommunales Mandat wirklich Ehrenamt ist – also neben dem ­eigentlichen Beruf besteht.

Das in der Kommunalverfassung enthaltene Recht auf Freistellung ist gut gemeint, wird aber sicher – jenseits des öffentlichen Dienstes – nicht in allen Fällen immer so umgesetzt werden können. Letztlich sieht man hier recht deutlich, dass bereits über die Terminierung von Sitzungszeiten die Zusammensetzung der kommunalen Gremien bewusst oder unbewusst beeinflusst werden kann.

Wer erwartet hier was von wem?

Aber zurück zum Ausgangsproblem. Ich glaube, ein Schlüssel zur Lösung des eingangs aufgezeigten Arbeitszeitproblems ist zunächst die Klärung der unterschiedlichen Interessen sowie der daraus resultierenden Motivationen und Erwartungshaltungen der handelnden Akteure.

Was meine ich damit? Ich kann mich noch gut an Sätze von Gemeindevertretern wie etwa diesen erinnern: „Wir machen das hier auch alles in unserer Freizeit; also meckere nicht rum.“ Hier schwingt meines Erachtens die Erwartung des Ehrenamtlers mit, wenn er sich schon für die Kommune in der Freizeit einsetzte, haben dies auch andere zu tun.

Diese Verhaltensweise ist aus normativen Organisationen wohl bekannt, also aus Bereichen, in denen sich die Beteiligten zusammenschließen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, das ihrer Meinung nach moralisch sinnvoll ist. Kirchen und diakonische Einrichtungen, politische Parteien oder Gewerkschaften funktionieren oft nach diesem Muster. Diese Motivation ist auch und gerade im ehrenamtlichen Bereich anzutreffen, was dann in der Zusammenarbeit mit hauptamtlichen Beschäftigten problematisch werden kann. Denn letztere beziehen ihre Motivation nur zum Teil aus dem gemeinsamen Ziel, die eigene Stadt oder Gemeinde voranzubringen; vermutlich spielt die monatlichen Gehaltszahlung ­eine mindestens genauso große Rolle, was dann mehr den Regeln einer Zweck- als einer normativen Organisation entspricht. Und ihre Freizeit verbringen sie meist lieber mit Aktivitäten, die jenseits der Kommunalpolitik liegen.

Die Klärung der gegenseitigen Motivation – Einsatz für ein kommunalpolitisches Ziel einerseits und die Arbeit gegen Geld andererseits – hilft Missverständnisse auf beiden Seiten zu vermeiden.

Dorfkneipe oder Sitzungssaal

Unter die Rubrik „Erwartungen“ fällt aber auch die Frage, welche Verwaltungsmitarbeiter/-innen überhaupt an den Sitzungen teilnehmen müssen. Das ist von Gemeinde zu Gemeinde verschieden.

Ein Kriterium ist sicherlich die Größe der Kommune, einhergehend mit der Anzahl der Mitglieder in den kommunalen Gremien und dem Aufbau und Umfang der Verwaltung. Je größer, desto höher dürfte der Formalisierungsgrad der Gremienarbeit und im Verwaltungshandeln sein.

So kann man in Gemeindevertretungen von kleinen amtsangehörigen Gemeinden mit ihren zehn Mitgliedern und einem ehrenamtlichen Bürgermeister oder einer ehrenamtlichen Bürgermeisterin schon mal das Abendbrot mit dem Feierabendbier auf dem Sitzungstisch in der Dorfkneipe vorfinden, und das Ganze erinnert manchmal an eine Mischung aus familiärem Abendessen und Stammtischrunde. Dass dann auch die Gäste mit am Tisch sitzen und mitdiskutieren, versteht sich da fast von selbst.

Das ist natürlich bei der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung einer kreisfreien Stadt undenkbar. Hier ist der Ablauf stark formalisiert, die Sitzungsleitung erteilt das Wort und die Redner/-innen dürfen teilweise nicht einmal vom Platz aus sprechen, sondern sie müssen sich an ein separates Mikrofon oder Pult begeben. In der Regel bleiben die inhaltlichen Diskussionen der Arbeit den Ausschüssen vorbehalten, die wiederum in kleinen Gemeinden oft gar nicht erst gebildet werden. Entsprechend des Arbeitsstils der Gremien gestaltet sich auch die Teilnahme der Verwaltungsbeschäftigten. Während in kleineren Kommunen oft die Sachbearbeiterebene anwesend ist, steigen mit zunehmender Größe auch die Teilnehmer/-innen in der Verwaltungshierarchie nach oben.

All hands on deck!

Die Kommunalverfassung erwähnt in Sachen Sitzungsteilnahme durch das Hauptamt nur die Hauptverwaltungsbeamt/-innen und -beamten, die entweder selber Mitglied sind oder zumindest ein aktives Teilnahmerecht haben, sowie die Beigeordneten, ebenfalls mit aktivem Teilnahmerecht. Darüber hinaus können Kämmerer/-innen ihre abweichenden Auffassungen zum Haushaltsplan in der Vertretung vortragen. Die Teilnahme weiterer Beschäftigter ist somit rechtlich nicht zwingend vorgesehen.

Wer schlussendlich verwaltungsseitig an der Sitzung teilnimmt, hängt aber nicht unwesentlich von der Erwartungshaltung der Gremienmitglieder ab. Gerade bei einschlägigen Tagesordnungspunkten wie der Einwohnerfragestunde oder den Anfragen von Stadtverordneten wird dies deutlich.

Wenn eine hohe und detaillierte Auskunftsfähigkeit der Verwaltung erwartet wird und Anfragen lieber mündlich in der Sitzung gestellt werden, dann wird der Bürgermeister eher das Kommando „All hands on deck!“ geben müssen. Werden hingegen Anfragen – wie es manche Geschäftsordnungen vorsehen – vor dem Sitzungstermin rechtzeitig eingereicht, sodass eine schriftliche Beantwortung möglich ist, wird weniger Verwaltungspersonal notwendigerweise anwesend sein. Die Teilnahme an Gremiensitzungen ist und bleibt für die kommunalen Beschäftigten Arbeitszeit. Von daher sollte also immer geprüft werden, welche Teilnahme wirklich notwendig ist und mit welchen Verfahrensregeln ggf. alle Erwartungen erfüllt werden können.

Wenn die Ehrenamtlichen die Teilnahme der Hauptamtler an Sitzungen als Arbeit(-szeit) anerkennen, dann sollten das die Führungskräfte erst recht tun. Wenn folglich die Zeit am Abend Berücksichtigung findet, betrifft dies nicht nur die Bezahlung, vielmehr muss auch die Organisa­tion der Arbeit darauf abgestellt sein. So müssen die Beschäftigten an Sitzungstagen ihren Arbeitsbeginn so legen können, dass die Gesamt­arbeitszeit inklusive der Sitzungsteilnahme eben nicht über acht Stunden liegt.

Das Gleiche gilt auch für den Arbeitsbeginn am nächsten Tag: Da zwischen Beschäftigungsende und dem Beginn am nächsten Tag mindestens elf Stunden liegen müssen (§ 5 Abs. 1 ArbZG), kann die Arbeit dann – z. B. bei einem Sitzungsende gegen 22.30 Uhr – nicht vor 9.30 Uhr aufgenommen werden. Diese Restrik­tionen nicht nur einzuhalten, sondern auch bewusst zu akzeptieren heißt, die Zeit für die Sitzungsteilnahme bei der Bemessung der Arbeit für die häufig betroffenen Beschäftigten zu berücksichtigen, heißt beispielsweise für eine Führungskraft, an diesen Tagen Besprechungstermine eben nicht auf 8.30 Uhr zu legen und bedeutet letztlich, dass das Ausschussprotokoll nicht bereits am folgenden Tag um 11 Uhr zur Unterschrift vorliegt.
 
Sind die Erwartungen zur Sitzungsteilnahme geklärt, sollte bei der Aufstellung der Tagesordnung darauf geachtet werden, die Arbeitszeit so effektiv wie möglich zu nutzen. ­Eine Möglichkeit könnte dabei sein die Tagesordnungspunkte, die eine Anwesenheit von Beschäftigten erfordern, möglichst im vorderen Bereich der Tagesordnung zu platzieren und möglichst im Zusammenhang zur behandeln, sodass die erforderlichen Beschäftigten die Sitzung auch wieder zeitig verlassen können.

Wir stehen in einer langen Tradition

Der Kampf um gute Arbeitsbedingungen war von je her ein Hauptanliegen der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie. Die Frage nach der angemessenen Arbeitszeit war dabei ein zentraler Punkt. Ob der 10-Stunden- und später der 8-Stundentag, arbeitsfreie und bezahlte Sonnabende und Feier­tag, ein gesetzlicher Mindest­urlaub oder ein Recht auf Teilzeit sind Meilensteine auf diesem Weg. Auch die Arbeitszeitordnung aus dem Jahr 1924 und das Arbeitszeitgesetz von 1993 stehen in dieser Tradition.

Als sozialdemokratische Kommunal­politiker/-innen  – im Ehren- wie im Hauptamt – sollte uns dies besonders am Herzen liegen.