Blog Aus den Bundesländern

Hanau vereint gegen Rassismus und Gewalt

Claus Kaminsky24. Dezember 2020
Mahnwache in der Hanauer Innenstadt im Februar 2020
Im Februar 2020 hat ein rassistischer Anschlag Hanau erschüttert. Oberbürgermeister Claus Kaminsky beschreibt, wie die Stadt darauf reagiert hat. Nun wird ein „Zentrum für Demokratie und Vielfalt” geschaffen.

In den späten Abendstunden des 19. Februars 2020 geschah in unserer Stadt, was für uns alle bis dahin unvorstellbar gewesen war: Neun Menschen mit ausländischen Wurzeln wurden Opfer eines rassistisch motivierten Anschlags. Danach tötete der Täter seine Mutter und sich selbst. Dieses schreckliche Attentat hat ­Hanau nachhaltig geprägt und wird auf alle Zeiten im kollektiven Gedächtnis der Stadtgesellschaft verankert bleiben. Nicht nur die Angehörigen der Getöteten, sondern alle müssen mit der Erinnerung an dieses erschütternde Ereignis weiterleben. Der 19. Februar 2020 war der dunkelste Tag für Hanau in Friedenszeiten. Diesen Frieden in der Stadtgesellschaft zu erhalten, fordert uns alle gemeinsam – jeden von uns.

„Kein Platz für Rassismus und Gewalt. Hanau steht zusammen. Für Respekt, Toleranz und Zivilcourage.“ ist heute auf dem großen Transparent zu lesen, das die Fassade des Neustädter Rathauses in Hanau verdeckt. Es hat das Banner abgelöst, auf dem die Stadtgesellschaft sechs Monate lang deutlich machte: „Die Opfer waren keine Fremden“. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das Nationaldenkmal der Brüder Grimm, wo sich am Tag nach dem rassistisch motivierten Terroranschlag des 19. Februars Hanauer*innen zum Zeichen der Trauer und Anteilnahme zusammengefunden haben und wo seither immer wieder Menschen innehalten. Blumenschmuck, Kerzen und Bildtafeln lassen das Denkmal zu einer Gedenkstätte der Schreckensnacht werden.

Das gemeinsame Entsetzen einte die Stadtgesellschaft

Mit Mahnwachen, Trauermärschen und diversen Kundgebungen gegen Rassismus reagierte die Hanauer Bürgerschaft in der Zeit unmittelbar auf die Tat. Auch an den öffentlichen Totengebeten und Beisetzungen der Mordopfer nahmen viele Menschen der Region teil. Das gemeinsame Entsetzen einte die Stadtgesellschaft in ihrer spontanen Anteilnahme. Doch die Schreckensereignisse waren noch nicht ansatzweise verarbeitet, da musste sich Hanau wie jede andere Kommune des Landes mit der Corona-Pandemie der nächsten existentiellen Krise stellen. Die Menschen hier in Hanau sind von einer Extremsituation direkt in die nächste gefallen. Zwischen der offiziellen Trauerfeier und dem Lockdown waren nicht einmal zwei Wochen vergangen. In der Folge galt es über Monate, die schwierige Gratwanderung zu meistern, trotz aller Restriktionen und Kontaktbeschränkungen den Angehörigen die versprochene Unterstützung zu leisten und ihnen bei der Bewältigung der Trauer die notwendigen Hilfestellungen zu ­geben.

Als ein erfreuliches Zeichen der Wertschätzung sehe ich hier das ­enge Netz der unterstützenden Akteure, das neben den städtischen Strukturen die Opferfamilien und ­Augenzeugen begleitet hat und ­immer noch begleitet. Neben den etablierten Systemen haben sich zwei Organisationen neu zusammengefunden, die den Betroffenen in der Trauer­bewältigung zur Seite stehen. Die gute Vernetzung der verschiedenen Hilfsangebote sorgt dafür, dass ­niemand zurück­gelassen wird.

In der Pflicht sind nach wie vor die zuständigen Ermittlungsbehörden bei Bund und Land. Dass die Aufklärung so schleppend verläuft und so viele Fragen der Angehörigen nach wie vor offen sind, stellt ihr ­Vertrauen in unseren Staat auf eine harte Probe.

Das zehnte Opfer

Trotzdem haben Angehörige der Opferfamilien des 19. Februar acht Monate nach dem Anschlag mit ­einer bewegenden Geste zu Füßen des Brüder-Grimm-Denkmals ein Zeichen für ein friedliches Miteinander gesetzt, als sie weiße Rosen im Gedenken für alle zehn Getöteten niederlegten und damit auch gegenüber der Mutter des Täters, die ebenfalls gewaltsam ihr Leben verlor, Respekt zeigten. Dieses Einbeziehen des zehnten Opfers und Bekenntnis für eine Zukunft in Frieden war mehr als ein kraftvolles Zeichen gegen Gewalt, sondern entfaltet auch eine einende Wirkung in die Stadtgesellschaft, wo die bisherige Fokussierung auf die neun Opfer, die aus rassistischen Motiven getötet wurden, durchaus kritisch begleitet wurde.

Als ein Symbol der Verbundenheit haben wir den neun Getöteten posthum die Ehrenplakette der Stadt Hanau in Gold verliehen. Dabei war es dem Magistrat wichtig, herauszustellen, dass diese höchste Auszeichnung der Stadt auch als Mahnung verstanden werden soll, wachsam zu bleiben und respektvoll miteinander zu leben. In diesem Sinne ist auch die Entscheidung getroffen worden, die Gräber der drei in Hanau bestatteten Opfer zu offiziellen Ehrengräbern der Stadt zu machen. Die drei Grabstätten auf dem muslimischen Gräberfeld sollen als Mahnung für zukünftige Generationen auf alle Zeit erhalten bleiben.

Bedeutung für die Erinnerungskultur

Von immenser Bedeutung sind jetzt die nächsten Schritte der Erinnerungskultur an öffentlichen Plätzen. Bisher erinnern Namenstafeln an den Tatorten sowie ein Gedenkort auf dem Hauptfriedhof an die Opfer. Gemeinsam mit einem Expertengremium für Gedenkkultur arbeiten wir an der Realisierung des angekündigten Mahnmals. Die erschütternden Geschehnisse öffentlich und in die Zukunft gerichtet zu verarbeiten, ist ein wichtiger Prozess – sowohl für die Opfer-­Angehörigen als auch die Stadtgesellschaft. Es will deshalb gut überlegt sein, wie ein solcher Ort des Gedenkens aussehen soll. Wir sind uns einig darin, dass das Mahnmal die Getöteten würdigen muss, es soll aber zugleich in die ­Zukunft gerichtet sein und Inhalte wie Vielfalt, Zusammenleben, Gemeinschaft aufgreifen und thematisieren. Der Magistrat hat dafür einen jurierten zweistufigen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Jury des Wettbewerbs setzt sich aus Vertreter*innen der Opfer­familien unter Vorsitz des Oberbürgermeisters zusammen, begleitet durch einen Beirat. Das Mahnmal soll im Laufe des Jahres 2021 realisiert ­werden.

Um für die Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus, Gewalt, Extremismus sowie für den Einsatz für unsere Demokratie einen förderlichen Rahmen zu schaffen, hat sich die Stadt entschieden, ein „Zentrum für Demokratie und Vielfalt“ zu schaffen. Damit wollen wir bei den zentralen Zukunftsfragen des Zusammenlebens Verantwortung für unsere Bürger*innen übernehmen. Wenngleich das Attentat den Impuls dazu gegeben hat, wird die Ausrichtung der Arbeit weit darüber hinausgehen. Das Ziel ist hier die Stärkung des Zusammenhalts der ­lokalen Hanauer Zivilgesellschaft über kulturelle und ethnische Unterschiede hinweg. Es soll das Vertrauen in die Demokratie stärken und sich gegen Gewalt, Extremismus und Menschenfeindlichkeit engagieren. Das Engagement wendet sich gegen alle Feinde unserer Demokratie.

Traurige Bestätigung, wie dringend ein solcher aufklärende Einsatz ist, hat dieser Tage das islamistisch motivierte Attentat auf einen Lehrer in unserer französischen Partnerstadt Conflans gebracht. Einmal mehr wurde uns vor Augen geführt: Es ist dringend an der Zeit, sich als Zivilgesellschaft gegen solche Entwicklungen zu wehren und deutlich zu machen, dass Terror und Gewalt – egal ob aus rassistischen oder reli­giösen Gründen – ob in Hanau, ­Halle, in ­Paris oder Conflans – in unserer ­Gesellschaft keinen Platz haben.

 

Dieser Text stammt aus dem Landes-SGK EXTRA Hessen der DEMO und wird hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Hessen veröffentlicht.