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Kommunalpolitik schützen heißt Demokratie schützen!

Nancy Faeser11. März 2021
Nancy Faeser
Zwei Drittel aller Kommunen geben an, dass ihre Amts- und Mandatsträger und Bediensteten schon mal beleidigt oder bedroht wurden. Nancy Faeser, Landesvorsitzende der SPD Hessen und Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, will etwas gegen Hass und Hetze unternehmen. Im Gastbeitrag erklärt sie, welche Schwerpunkte sie setzt.

Eine Umfrage des Hessischen Rundfunks hat zu Tage gefördert, wie sehr Kommunalpolitiker*innen, aber auch Verwaltungsmitarbeiter*innen in den Kommunen mittlerweile von Beleidigungen bis hin zu körperlicher Gewalt bedroht sind. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnt vor einer Gefahr für die lokale Demokratie und fordert Achtung und Respekt gegenüber den Kommunalpolitiker*innen.

Umfrage belegt hohes Maß an Drohungen

Bei der im Jahr 2019 durchgeführten Online-Umfrage unter allen der damals 423 hessischen Gemeinden und 21 Landkreisen wollte der Sender u. a. wissen, ob und auf welche Weise Kommunalpolitiker*innen und schon einmal beleidigt oder bedroht worden sind. Rund 73 Prozent, 322 Bürgermeister und Landräte, sind dem Aufruf gefolgt und haben sich an der Umfrage beteiligt. Dabei gaben zwei Drittel aller Kommunen an, dass ihre Amts- und Mandatsträger und Bediensteten schon mal beleidigt oder bedroht wurden. Mehr als 200 Gemeinden und Landkreise meldeten Probleme mit Anfeindungen in den vergangenen 12 Monaten. Von den Bürgermeistern und Landräten selbst wurde mehr als die Hälfte beleidigt (54 Prozent), jeder Zehnte wurde bedroht (10 Prozent). Mehr als jeder fünfte Bürgermeister oder Landrat (22 Prozent), der bedroht oder beleidigt wurde, hat mit dem Gedanken gespielt, sein Amt aufzugeben.

Einige Betroffene beklagen das derzeitige Sicherheitssystem. Jeder Dritte fühlt sich von den Sicherheitsbehörden nicht ausreichend gegen Angriffe geschützt (29 Prozent). 80 Prozent sind der Meinung, der Respekt von Bürger*innen gegenüber Politiker*innen habe abgenommen. Das ist einer der Gründe, warum viele fordern, dass der Gesetzgeber stärker gegen Hass und Hetze vorgehen soll. 84 Prozent aller Befragten verlangen striktere Gesetze.

Anhörung zeichnete erschreckendes Bild

Für uns als SPD Hessen, aber auch für mich persönlich als Stadtverordnete und Kreistagsabgeordnete, hat die Umfrage des Hessischen Rundfunks dokumentiert, was wir bereits vermutet haben. Wir als SPD haben sie zum Anlass genommen, eine Anhörung zu dieser Thematik im Hessischen Landtag zu beantragen. Unser Anliegen stieß auf Gehör bei den anderen Fraktionen und so fand im Spätsommer letzten Jahres eine umfangreiche Anhörung statt, bei der Kommunalpolitiker*innen, aber auch Flüchtlingsorganisationen, Gewerkschaften und andere Institutionen zu Wort kamen und ihre Erfahrungen schilderten.

Aus meiner persönlichen Sicht hat die Anhörung ein erschreckendes Bild davon gezeichnet, in welchem Maße die Verrohung unserer Gesellschaft vorangeschritten ist. Ganz offensichtlich haben immer mehr Menschen immer weniger Hemmungen, andere zu beleidigen, zu bedrohen oder gar mit körperlicher Gewalt anzugehen. Ob Kommunalpolitiker*innen oder Polizei, Rettungsdienste, Gewerkschaften oder ehrenamtlich engagierte Bürger*innen – alle haben davon berichtet, dass die verbalen und körperlichen Übergriffe sich mehren. Besonders bewegend war der Beitrag Betroffener – wie der des ehemaligen Landrats des Main-Kinzig Kreises, Erich Pipa, der zur Zeit der Flüchtlingskrise wegen seines Engagements Morddrohungen erhielt und als „Kanakenlandrat“ geschmäht wurde.

Angriffe auf diese Personengruppen sind immer auch Angriffe auf die Demokratie. Hier wird das Symptom einer gesellschaftlichen Verwahrlosung sichtbar, die zum Verlust des Gemeinsinns, zu radikalem Egoismus und letztlich zum Auseinander­fallen unserer Gesellschaft führen. Beschleunigt und verstärkt wird das bedrohliche Gegeneinander von den Filterblasen in den sozialen Medien, die zu „Radikalisierungsmaschinen“ geworden sind.

Meine Schwerpunkte für die politische Arbeit

Hass, Hetze und Verschwörungs­theorien dominieren inzwischen weite Bereiche der sozialen Medien. Und natürlich bildet sich die Radikalisierung im Internet mit einer gewissen Verzögerung im wirklichen Leben ab. Aus wirren Gedanken werden Worte. Aus Worten werden Taten. Dieser Mechanismus bedroht aus meiner Sicht wesentliche zivilisatorische Errungenschaften wie ­Toleranz, Mitmenschlichkeit oder Respekt vor dem anderen.

Ich persönlich habe aus der Anhörung, aber auch aus meinen persönlichen Erfahrungen als Kommunalpolitikerin und aus Gesprächen mit Kommunalpolitiker*innen erste Schwerpunkte für meine weitere ­politische Arbeit ausgemacht.

Ausbau politischer Bildung/Demokratieerziehung

Wichtig ist ein frühzeitiger Fokus auf den Bereich politische Bildung und Demokratieerziehung. Demokratieprozesse sind Alltagsprozesse, sie lassen sich am besten durch frühzeitiges, eigenes Erleben lernen. Demokratieerziehung ist bereits im Kita­bereich zu stärken. Auch im Schul­bereich muss das Erlernen von demokratischen Prozessen, beispielsweise durch die Stärkung von Kinder- und Jugendbeteiligung und -mitbestimmung, stärker verankert und Schulsozialarbeit ausgebaut werden.

Personeller Ausbau in den Sicherheitsbehörden / wirksame und konsequente Strafverfolgung

Für mich ist deutlich geworden, dass Strafanzeigen nach Bedrohungs­situationen immer seltener gestellt werden, da man ohnehin mit einer Nichtverfolgung oder zeitnahen Einstellung der Verfahren rechnet. Die Betroffenen fühlen sich zudem nicht ausreichend geschützt. Von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit für die von Gewalt Betroffenen ist daher ­eine Verfolgung der Taten. Die fehlende wirksame Strafverfolgung ist eine Form von Kapitulation, die nicht akzeptiert werden darf. Polizei und Justiz sind in einer Weise auszustatten, die neben einem besseren Schutz der Betroffenen auch eine ordentliche und umfassende Strafverfolgung ermöglicht. Dies gilt auch für die Strafverfolgung in ­sozialen Netzwerken. Zudem spielt das ­Anzeigeverhalten von Vorgesetzten eine wichtige Rolle. Hier muss konsequent angezeigt ­werden.

Weitere wissenschaftliche Erhebungen/Evaluation zu Ursachen und Wirkungen von Bedrohungen bzw. ­Bedrohungssituationen

Es fehlt an empirischem Wissen. Zwar gibt es einige Studien, aber die sind entweder noch nicht ausreichend valide oder zu allgemein gefasst. In einigen Fragen muss auf qualitativer Ebene noch tiefer eingestiegen werden. Zum Beispiel kennt man selten die Anlässe, wegen denen es zu Bedrohungen kommt. Auch dynamisierende Effekte und Wechselwirkungen sind nicht erforscht. Hier muss dringend nach­gebessert werden.

Systematische Erhebung bisheriger Maßnahmen und bessere Koordination

Seit 2015 gibt es das Landesprogramm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“. In der Anhörung wurde jedoch deutlich, dass den verschiedenen Maßnahmen und Handlungsfeldern der rote Faden fehlt. Insofern scheint es sinnvoll, alle Maßnahmen und Handlungsfelder aufzuschlüsseln und auf den Prüfstand zu stellen, um im Anschluss zu schauen, wo es Lücken gibt (systematische Erhebung auch der fehlenden Maßnahmen). Zudem geht es um eine Verstetigung der ­Arbeit und um eine dauerhafte ­Finanzierung.

Landesdemokratiefördergesetz prüfen

Das auf Bundesebene diskutierte Bundesdemokratiefördergesetz kann nicht alle landesspezifischen Probleme lösen. Die Beratungsaktivitäten, die über die Landesdemokratiezentren organisiert werden, erfolgen in Länderverantwortung. Insofern sollte man auch in Hessen prüfen, inwieweit ein eigenes Landesdemokratiefördergesetz in Betracht kommt, um eine Verstetigung der Mittel in den wichtigsten ­Handlungsfeldern sicherzustellen.

Dies soll nur ein erster Ansatz sein. Bei allen Maßnahmen, die ergriffen werden oder werden können, muss klar sein, dass sie immer nur ein kleiner Baustein sein können. Wir alle sind gefragt, unsere Gemeinwesen auf der einen Seite mitzugestalten und auf der anderen Seite zu verteidigen. Denn die Verrohung von Teilen der Gesellschaft bedroht das friedliche Miteinander und letztlich die Demokratie in unserem Land. Dem müssen wir schnell und konsequent entgegen­steuern.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem „Landes-SGK EXTRA Hessen” der DEMO und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Hessen.