Blog Meine Sicht

Was (Kommunal)politiker*innen in der Fastnacht lernen können

Tatiana Muñoz25. Februar 2020
Empfang für Königspaare deutscher Karnevalsvereine im Bundeskanzleramt (Archivaufnahme von 2015)
Spitzt die Öhrchen, macht die Augen auf, atmet sie ein mit allen Sinnen, die fünfte Jahreszeit! Ob Fastnacht oder Karneval: Sie ist da, die Lehrzeit der (Kommunal-)Politik. Denn zu keinem Zeitpunkt im Jahr ist er so klar erkennbar, so im Spot der (TV-)Bühne, wie jetzt: der Zeitgeist.

Fastnacht taucht für mich die Welt in Licht. Was vorher verborgen in WhatsApp-Gruppen und Timelines der Republik umher waberte, zerredet und zerpflückt wurde von der unendlichen Masse an Meinungen und Informationen, ist herausgetreten aus den Schatten und Schattierungen der Bundesrepublik. Es ist die Zeit der klaren Botschaften und direkten Wahrheiten.

Was also bedeutet Fastnacht für die Kommunalpolitik? Für mich heißt es: Notizzettel raus und zuhören, denn Fastnacht ist eine gute Möglichkeit den politischen Zeiger zu justieren. Nicht in Bezug auf Inhalte und Werte. Die stehen fest! Aber in Bezug auf Stimmungen und Gefühle, die ich als Politikerin adressieren möchte. Welche Themen müssen stärker kommuniziert werden und welche sind vielleicht schon angekommen? Wo muss sich Politik in ihrer Kommunikation anpassen und verändern? Wenn man schon mal den Spiegel vorgehalten bekommt, muss man die Gelegenheit auch nutzen.

Klimaschutz als Fastnachtsthema

Ein Beispiel, bitte sehr: Ich kämpfe seit nun über einem Jahrzehnt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit, dieses Jahr kam keine Sitzung, kein Verein an diesem Thema vorbei. Interessant zu beobachten waren die gegensätzlichen Positionen. Zum einen waren da, meist Männer (ach ja, auch eine CDU-Bundestagsabgeordnete), die sich lustig über Greta Thunberg und die Jugend machten. Zum anderen, der viel größere Teil der Auftritte, performte das Thema Klimawandel und Erderwärmung so, wie nur die Fastnacht es kann

Wir müssen auf unsere Kinder horsche
Sie tun uns die Welt nur borsche
Weil wir uns um unsern Wohlstand sorche
Ändern wir uns erst übermorsche
Doch am Ende da zählt nur eins
Die Erde hier zu retten
Es gibt nur unsere eine Welt
Es zählt nicht Macht noch Geld!

sangen die Schnorreswackler dieses Jahr. Und ich? Ich beobachte vor allem genau, wie das Publikum reagiert, denn das ist ein guter Indikator für die politische Stimmung. Und damit auch für zukünftige Kommunikationsschwerpunkte in der inhaltlichen Arbeit. Auch auf der Couch, bei der traditionellen Fernsehsitzung am Freitag kann man mit geschärften Sinnen viel erkennen. So donnerte unser Mainzer Messdiener in der Fernsehsitzung so heftig, dass man Angst hatte er kippt gleich um:

Die Morde von Hanau, die Schüsse auf die Synagoge in Halle,
Ob Juden, Christen, Muslime, das war ein Angriff auf alle
Wir leben hier zusammen, die Demokratie wird triumphieren,
dieses Land werdet ihr niemals regieren!

Die Büttenrede ging viral, Rezo twitterte

Gänserhaut pur, der Saal tobte. Juden, Christen, Muslime, der Messdiener nutzt die Bühne und macht sichtbar, wer zu Deutschland gehört: Wir alle.

Menschen mit Migrationshintergrund fehlen

Aber grelles Licht erzeugt umso dunklere Schatten und so offenbart dieser Kontrast, was nicht sichtbar gemacht wird. Ein Schwenk der Kamera durch den tobenden Saal, Politiker*innen und Promis aus Bundes-, Landes-, und Kommunalpolitik. Nicht da: Menschen mit Migrationshintergrund. So sehr unsere Diversität auf der Bühne gefeiert wird, so wenig wird sie im Publikum der großen Fernsehsitzungen für die Millionen Zuschauer*innen erkennbar.

„Humor ist Meenzer Lebensart mit Herz und Toleranz gepaart!“ heißt das wunderbare Mainzer Fastnachtsmotto für dieses Jahr und hat voll ins Schwarze getroffen. Für mich bleibt mitzunehmen: Lasst uns Toleranz und Diversität feiern und konsequent diejenigen sichtbar machen, die dazu gehören und nicht gesehen werden. Anstatt sich als diese zu verkleiden.

 

Tatiana Muñoz ist SPD-Ortsvorsteherin in Mainz-Hechtsheim. Dieser Blogbeitrag ist zuerst auf vorwärts.de erschienen.