Blog Meine Sicht

Warum ich bei der Kommunalwahl in Niedersachsen nicht mehr kandidiere

Steffen Haake09. August 2021
Steffen Haake
Es braucht mehr junge Menschen in der Kommunalpolitik, meint unser Blogger Steffen Haake. Trotzdem tritt er bei der niedersächsischen Kommunalwahl im September nach fünf Jahren als Stadtrat in Aurich nicht mehr an. Aus rein praktischen Gründen.

Nach fünf Jahren im Auricher Stadtrat trete ich bei der niedersächsischen Kommunalwahl im Landkreis Aurich nicht wieder an, da ich in den Nachbarkreis Leer ziehe. Grund genug, eine kleine Bilanz über die ehrenamtliche Arbeit der vergangenen Jahre zu ziehen und auch die Probleme zu beleuchten, vor denen insbesondere jüngere Menschen in den kommunalen Gremien stehen.

Als Mittzwanziger unter Über-60-Jährigen

Nachdem ich mich bereits einige Jahre in verschiedenen SPD-Gliederungen engagiert hatte, gründete ich vor etwa sechs Jahren eine Juso-AG in der Stadt Aurich. Dadurch wurde ich sogenannter Orga-Vertreter in der SPD-Stadtratsfraktion. Bei der Kommunalwahl 2016 wurde ich direkt in meinen Ortsrat und auch in den Stadtrat gewählt. Voll motiviert pendelte ich zwischen Aurich und meinem damaligen Studienort  um an den häufigen Sitzungen teilzunehmen. Seitdem bin ich im Auricher Rat also ein Mittzwanziger unter lauter 60- bis 80-Jährigen.
Natürlich empfinde ich es als Ehre, dem Rat meiner Heimatstadt anzugehören und die Interessen der etwas jüngeren Leute zu vertreten. Und auch den vielen anderen Engagierten, die ihre Freizeit für die Kommunalpolitik einsetzen, gebührt Respekt. Ich bin dankbar, dass ich in meiner Zeit im Rat auch das eine oder andere anstoßen konnte. Vom sicheren Hafen für Geflüchtete über klimapolitische Maßnahmen, wie auch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum konnten wir vieles erreichen. Es war auch schön, dass ich einige junge Menschen zum Mitmachen motivieren und als Ansprechpartner für Bürger*innen ein Sprachrohr zur Politik werden konnte.  

Es braucht mehr Frauen und jüngere Menschen

Es ist nur eben so, dass die politischen Anliegen der jungen Generation von den anderen Mitgliedern des Rates und auch von der Rathausspitze, die auch in Aurich von älteren Amtsmännern dominiert wird, häufig nicht ernst genommen werden. Es bräuchte die Perspektive von mehr Frauen und jüngeren Menschen. So war ich in der SPD-Fraktion zuerst der einzige Student, seit 2019 bin ich der einzige angestellte Arbeitnehmer.

Die Ratsarbeit mit einer Berufstätigkeit zu verbinden ist schon kompliziert. Schwieriger wird es, wenn die verschiedenen Sichtweisen aufeinanderprallen und man etwa ohne Ergebnis Überzeugungsarbeit für Videokonferenzen in der Pandemie leistet. Dass Politik und Verwaltung nicht bereit waren, statt Präsenztreffen Videokonferenzen durchzuführen, schockiert mich bis heute und zeigt, wie schwierig es sein kann, in Kommunalparlamenten für eigentliche Selbstverständlichkeiten Mehrheiten zu organisieren. Im Grunde bräuchte es jedoch einen grundlegenderen Kulturwandel: Denn durch teils gebetsmühlenhaft wiederholte Beiträge werden die Sitzungen am Nachmittag unnötig in die Länge gezogen und erschweren insbesondere für junge Eltern die Teilnahme.

Zunehmende Beleidigungen gegen Kommunalpolitiker*innen

In der Auricher Stadtverwaltung kündigten kürzlich auch die beiden Fachbereichsleiter*innen und die Klimamanagerin der Stadt. Damit verlassen jüngere Führungskräfte das Rathaus der krisengebeutelten Stadt. Erfreulicherweise konnte immerhin eine Stelle mit einer jungen Juristin nachbesetzt werden. Neben mir tritt auch das jüngste CDU-Mitglied nicht zur Wiederwahl an – schaut man sich die Listen für die kommende Kommunalwahl an, wird der Rat in der kommenden Periode also eher älter.

Natürlich unterstütze ich unsere jüngeren SPD-Mitglieder nach Kräften, damit diese hoffentlich im September gewählt werden. Besonders frappierend ist der Mangel diverser Perspektiven, wenn man sieht, dass es kaum junge und weibliche Bürgermeisterinnen gibt. Im nahegelegenen Papenburg möchte Vanessa Gattung das ändern, sie erhielt aufgrund ihrer SPD-Bürgermeisterkandidatur jedoch Morddrohungen. Allgemein werden Kommunalpolitiker*innen zunehmend beleidigt – insbesondere in den (un)sozialen Medien.

Meine Zeit im Stadtrat endet, mein Engagement geht weiter

Mich hätten diese Widrigkeiten allerdings nicht von einer erneuten Ratskandidatur abgehalten – in meinem Fall ist schlicht die Verlagerung meines Lebensmittelpunktes ausschlaggebend. Denn meine Heimat Aurich ist als am schlechtesten angebundene Stadt Deutschlands eben schwer zu erreichen und die fehlenden Autobahn- und Bahnanschlüsse tragen nun dazu bei, dass es mich aus Aurich wegzieht.
Im benachbarten Landkreis Leer werde ich in der Nähe eines Bahnhofs wohnen: Für mich als Berufspendler eine enorme Verbesserung, während in Aurich schlicht der Konsens fehlte, dieses Thema ernsthaft anzugehen. Eine bessere Anbindung wäre als Standortfaktor, um junge Menschen nach Aurich zu holen, jedoch enorm wichtig. Insofern sehe ich es auch als einen der größten Erfolge meines kommunalpolitischen Engagements an, dass unser Juso-Antrag einer Bahn-Machbarkeitsstudie vom SPD-Kreisparteitag beschlossen und mit Hilfe vieler Engagierter hoffentlich auch umgesetzt wird.     

Natürlich gibt es auch viele Positivbeispiele von Kommunen, denen es gelungen ist, junge Menschen in Entscheidungswege zu integrieren: So führte die ostfriesische Gemeinde Rhauderfehn schon vor Jahren die Möglichkeit ein, an Fraktionssitzungen per Telefonkonferenz teilzunehmen. Solche Möglichkeiten sind insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Ehrenamt, Familie und Beruf viel wert.
Dort entschlossen sich die älteren Mandatsträger*innen aus Solidarität sogar einen Teil ihrer ohnehin geringen Sitzungsgelder für die Fahrtkostenzuschüsse derer abzugeben, die vom Studienort anreisen. Anhand solcher Beispiele müssen wir nach vorne schauen und es attraktiver machen, sich zu engagieren. Ich wünsche mir für die SPD, aber auch für die gesamte kommunale Landschaft, dass man solidarisch miteinander umgeht, andere Meinungen respektiert und jüngere Menschen fördert. Dafür kämpfe ich weiter!

Der Beitrag ist zuerst unter vorwaerts.de erschienen.