Blog Meine Sicht

Wie Kommunen zu Brückenbauern internationaler Landärzt*innen werden

Steffen Haake20. März 2021
Steffen Haake
Die Versorgung mit Hausärzt*innen gehört zu den drängendsten Problemen im ländlichen Raum. Unser Blogger Steffen Haake berichtet daher von Projekten und Ideen, diesem Problem zu begegnen.
In meinem vorherigen Blogbeitrag schrieb ich über neue Pflege- und Wohnkonzepte, insbesondere in Form von Mehrgenerationenhäusern, die der Debatte momentan frischen Wind verleihen. Doch um die pflegerische Versorgung im ländlichen Raum zu verbessern, sind natürlich nicht nur neue Wohnkonzepte gefragt. Denn Mehrgenerationenhäuser machen nur da Sinn, wo Fachärzt*innen für Allgemeinmedizin in der Nähe sind. In der Medizinwelt braucht es Innovationen und so gibt es zur Lösung des Hausärzt*innenmangels neben digitalen Ansätzen auch grenzüberschreitende. Zu diesem Zweck engagiere ich mich ehrenamtlich als Schirmherr vom Projekt BRIDGE der „Pflegepioniere“.

Projekt mit viel Zukunftspotenzial

Dabei geht es darum, den hausärztlichen Nachwuchs mit internationaler Geschichte bei ihrer fachärztlichen Anerkennungsprüfung im Landkreis Aurich und der Stadt Emden zu unterstützen. Dieses Projekt bietet viel Zukunftspotenzial, denn wir müssen die Versorgung auf dem Land interdisziplinärer, kooperativer und bunter gestalten.

Das Ziel dabei lautet nicht Brain-Drain, also die Talentabwanderung aus dem Ausland, sondern eine klug gesteuerte Einbindung von Menschen, die sich bereits auf den Weg in die norddeutsche Tiefebene gemacht haben. Es geht um die Unterstützung in den Stromschnellen der Bürokratie und Sprachtests, damit die Ärzt*innen dahinkommen, wo sie gebraucht werden. Es geht darum, vorhandene Potenziale besser zu kombinieren, um die Herausforderungen einer Gesellschaft langen Lebens zu lösen.       
Europäische und internationale Grenzen überschreiten

Zur Realisierung dieser Ziele haben die „Pflegepioniere“ aus Oldenburg das Projekt BRIDGE ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um Pflegeexpert*innen unter Leitung der Gerontologin Melanie Philipp. Sie ergriff die Initiative, weil eine digitale Bewerbung für medizinische Berufe ihrer Meinung nach nicht ausreicht. Mit der Auffassung, dass zwar die Ansprache zukünftiger Landärzt*innen mit internationaler Geschichte digital durchgeführt werden kann, nicht aber ihre Integration, stand sie nicht allein dar: Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV Bezirksstelle Aurich), der European Medical School (EMS Oldenburg und Groningen/NL), der Stadt Emden sowie dem Landkreis Aurich wurde erfolgreich ein Antrag in der Förderrichtlinie „Soziale Innovation“ der Regional- und Europaministerin Birgit Honé (SPD) gestellt. Denn Tatsache ist, dass es dringend Unterstützung in der Gesundheitsversorgung braucht – speziell im ländlichen Raum.

Vor diesem Hintergrund soll nun das BRIDGE-Jahr projektiert werden, in dem die medizinischen Trainees in Praxen auf ihre Prüfungen und das „Ärzt*in Sein“ in Deutschland vorbereitet werden. Damit begegnet man laut Philipp dem Problem, dass 60 Prozent dieser Ärzt*innen bei ihren Fachsprachprüfungen durchfallen. Die Behörden arbeiten auf Hochtouren, nur um neue Termine zu vergeben – während medizinisches Potential darauf wartet, die Gleichwertigkeit begutachtet zu bekommen. Als Schirmherr möchte ich daran mitwirken, diesen Schatz zu heben.
Niedersachsen einigt sich auf Landärzt*innenquote

Als Vorstandsmitglied der Auricher SPD begrüße ich auch, dass sich die große Koalition in Hannover auf eine Landärzt*innenquote in Niedersachsen verständigt hat. Wie die „Ärztezeitung“ Anfang 2020 berichtete, sieht die Quote vor, zehn Prozent der Medizinstudienplätze an Studierende zu vergeben, die sich verpflichten, sich nach dem Studium in unterversorgten Gebieten niederzulassen. Denn laut einer Evaluation der Landesregierung von 2019 könnten bis 2030 rund 1600 Hausärzt*innen fehlen. Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) hatte sich lange gegen die Quote ausgesprochen. Nach der Evaluation konnte sich die kürzlich aus Gesundheitsgründen zurückgetretene Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) mit ihrer Forderung einer Landärzt*innenquote allerdings durchsetzen.

Wie eine Enquete-Kommission des Landtags jetzt bekräftigte, gibt es also verschiedenste Möglichkeiten, Ärzt*innen die Arbeit auf dem Lande schmackhaft zu machen. Wenn es uns gelingt, vom anachronistischen Denken eines NC-fixierten Medizinstudiums weg und hin zur Frage, wie sich potenzielle Ärzt*innen später einbringen möchten, zu kommen, sind wir auf einem guten Weg. Dazu kommt die Anstrengung, das Landleben auch Menschen, die sich aus dem Ausland auf den Weg zu uns gemacht haben, erstrebenswert zu machen. Neben formalen Hürden müssen wir dazu auch Vorurteile abbauen. So können wir alle unseren Beitrag dazu leisten, den ländlichen Raum offener und l(i)ebenswerter zu machen.

Der Artikel ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.