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Moria: Warum die Kommunen bei der Aufnahme Geflüchteter gefordert sind

Steffen Haake17. September 2020
Steffen Haake, ist in Ostfriesland in der SPD engagiert und Mitglied im Auricher Stadtrat.
Zurzeit wird europaweit über die Aufnahme von Geflüchteten auf den griechischen Inseln debattiert. Warum in dem Zusammenhang auch die Kommunen gefordert sind, erklärt Steffen Haake, Stadtrat im ostfriesischen Aurich.

Nach dem schrecklichen Brand im Lager Moria auf Lesbos wird uns mal wieder vor Augen geführt, dass die Aufnahme von Geflüchteten auch ein kommunales Thema ist. Deutlich wurde mir das erst kürzlich wieder, als ich beruflich in Berlin war und spontan zu einer Demo der „Initiative Seebrücke“ ging. Meine Haltung zum Thema ist klar: Wir wollen, dass die Leute aus Moria jetzt hergeholt werden. Denn das dortige Elend ist nicht in Worte zu fassen, es ist nach dem Feuer eine neue Dimension der Not erreicht. Jetzt für die Aufnahme der Geflüchteten zu sorgen, ist zwar Sache der Bundespolitik. Aber auch die Kommunen sind gefragt, um Druck auf die Regierung auszuüben und zu signalisieren, dass es Aufnahmekapazitäten und -bereitschaft gibt.

Seit Jahren wird immer nur von einer EU- oder Bundeslösung gesprochen, aber jede*r muss bei sich selbst anfangen. Da wir als Stadt Aurich auf unseren Antrag hin der Seebrücke beigetreten sind, erwarte ich daher, dass die Auricher Verwaltung auch entsprechende Signale nach Berlin sendet. Denn Stadt und Landkreis müssen nun aktiv werden. Jede*r kann und muss in so einer dramatischen Situation Verantwortung übernehmen und diese nicht immer nur auf andere Ebenen abschieben.

„Prooten is good – man doon is een Ding!“

„Prooten is good – man doon is een Ding! – Sprechen ist gut, aber es kommt auf das Tun an!“ So sagt man hier bei uns in Ostfriesland. Das gilt nicht nur für die Situation nach dem Brand in Moria, auch für die (private) Seenotrettung. Iuventa, Lifeline, Open Arms. Sie alle tun etwas, um Menschenleben zu retten. All diese Schiffe haben schon mehrere tausend Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet. Doch sie werden von Behörden lahmgelegt und dürfen wochenlang nicht an Häfen andocken oder werden in Gewahrsam genommen. Aber möchte hier jemand wirklich anzweifeln, dass man einen Menschen vor dem Ertrinken retten muss? Dass man Hilfe nicht unterlassen und wegsehen darf? Das muss doch klar sein? Um diese Frage geht es.

174 Städte in Deutschland haben sich aus diesem Grunde dazu entschlossen, etwas zu tun und Teil der Seebrücke zu werden. In Ostfriesland gab es lange keinen sicheren Hafen, bis Aurich mit gutem Beispiel voranging, dem andere Städte folgten.

Wir als SPD-Fraktion haben daher beantragt, dass unser Bürgermeister der Bundesregierung bzw. dem BAMF anbietet, in Aurich mehr Geflüchtete aufzunehmen. Außerdem haben wir einen Appell an die Bundesregierung gerichtet, Fluchtursachen zu bekämpfen, besonders durch gezieltere Entwicklungszusammenarbeit. Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind auch Themen auf kommunaler Ebene, wozu auch Klimapartnerschaften zählen können, die wir mit einer Stadt im globalen Süden im Rahmen des Europäischen Klimabündnisses eingehen möchten. Insgesamt fordern wir als Stadt Solidarität und Menschlichkeit.
Global denken, lokal handeln!

Ein Dutzend deutscher Sicherer Häfen hat bereits vor einem Jahr übrigens noch mehr getan und beim Kongress „Sichere Häfen. Leinen los für kommunale Aufnahme“ das Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ gegründet. Politisch bewegte sich bei diesem Kongress in Berlin noch vieles mehr. Selbst ein Konservativer wie Rottenburgs CDU-Oberbürgermeister Stephan Neher sagte über die aktuell vor Lampedusa geretteten Menschen: „Den Worten müssen Taten folgen. Ich sehe es als humanitäre Pflicht, den von Sea-Watch geretteten Menschen in Rottenburg einen Sicheren Hafen zu geben.“ Die Städte, die sich zu Sicheren Häfen erklärt haben (darunter auch etliche CDU-geführte), setzten damit seinerzeit im Vorfeld des Deutschen Städtetags ein Zeichen für die Umsetzung der kommunalen Aufnahme.

Und das ist auch gut so, denn in Deutschland gilt das Subsidiaritätsprinzip. Nach dem Subsidiaritätsprinzip muss eine (staatliche) Aufgabe soweit möglich von der unteren Ebene bzw. kleineren Einheit wahrgenommen werden. Das Grundgesetz erhebt in Artikel 23 die Subsidiarität explizit zu einem Grundsatz, der innerhalb der EU verwirklicht sein muss.

Das Prinzip der Subsidiarität geht übrigens auf die katholische Soziallehre zurück, insofern ist es auch urchristlich, die Unterbringung von Schutzsuchenden in den Kommunen zu regeln. Das gilt nicht erst seit die Professorin und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission Gesine Schwan ihren Vorschlag zur Migrationsregelung über die europäischen Kommunen unterbreitet hat. Die Fluchtthematik muss insofern global gedacht – und lokal angegangen werden: „Think and act glocal!“ Langfristig wollen wir als Auricher Stadtrat Druck von unten aufbauen, damit die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten eine europäische Lösung für dieses Menschheitsproblem schaffen.

Aurich hat gezeigt, dass es problemlos Geflüchtete aufnehmen kann

Dieser Ansatz passt auch zu unserem Bündnis „Aurich zeigt Gesicht“ und zum bei uns ausgerufenen „Klimanotstand“ sowie der von uns geschaffenen Stelle für den „Klimaschutzmanager“: Wir zeichnen ein Bild eines historisch weltoffenen und fortschrittlichen Aurichs mit seiner Lage in der Grenzregion in der Nähe der Nordsee. Mit einer Politik der kleinen Schritte versuchen wir, die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen umzusetzen.

Denn Aurich hat schon 2015 gezeigt, dass es problemlos Geflüchtete aufnehmen kann. Daraus erwächst auch eine Verantwortung. Dieser Verantwortung ist vor allem die Flüchtlingshilfe Aurich mit ihrem außerordentlichen Engagement gerecht geworden. Der Verein hat sich vergangenes Jahr ebenso wie Amnesty International Aurich ausdrücklich für die Ausrufung Aurichs als sicheren Hafen ausgesprochen.

Und für die Gegner des Projekts bzw. den Egoblogger vom privaten Kanal „AurichTV“, der sich in einem Web-Video wünscht, dass die Parteien, die sichere Häfen unterstützen, aus dem Rat fallen, sei gesagt: Es gibt im Stadtrat – anders als dort suggeriert – weder „Regierungsparteien“, noch eine Fünf-Prozent-Hürde. Und es gibt sehr wohl Konzepte, wie eine Unterbringung von Geflüchteten aussehen könnte. Stadt und Landkreis Aurich sind dafür gut aufgestellt. Nach meinem erneuten Aufruf, jetzt in Aurich Geflüchtete aufzunehmen, nannte mich der genannte Blog einen ideologischen Jünger Kevin Kühnerts: Nun, damit kann ich gut leben, auch, wenn ich keinen Personen nacheifere, sondern der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte...
Seenotretter*innen sind Held*innen

Das Grundrecht auf Asyl ist eben ein universelles, dessen Unterstützung auch nicht warten kann, denn hier geht es um Menschenleben! Was würden die Kritiker*innen denn sagen, wenn es sich um ihr Leben handeln würde? Oder um das ihrer Kinder?

Der Auricher Reformpädagoge Johannes Diekhoff hat es mal so formuliert: „Elk kann wat doon“ – „Jede*r kann was tun.“. Wir als „eenfach Minschken“ (einfache Menschen), aber auch wir als Kommune. Denn man ist nie „zu klein“, um etwas zu erreichen. Das zeigt eine der Organisatorinnen der Seebrücke, ihr Name ist Maura, die mit mir studierte. Am Anfang unseres Studiums konnten wir zusammen erreichen, dass ein Studierverbot für Geflüchtete gekippt wurde. Außerdem vermittelten wir Stipendien an Geflüchtete. Maura hat das Projekt so weit vorangetrieben, dass heute fast 200 Städte sichere Häfen sind. Patrick, ein Bekannter von mir und Organisator vom Projekt „Jugend Rettet“, lebt im Übrigen in Ostfriesland. Auch beim Projekt Seebrücke sind Auricher an Bord.

Am Ende des Tages geht es hier auch um die Entkriminalisierung von Seenotrettung. Dass diese Debatte überhaupt geführt werden muss, ist ein Super-GAU für unsere Werteordnung: Seenotretter*innen sind Held*innen – und keine Verbrecher*innen! Es geht um Kinder, um Eltern und Verwandte – nicht um Zahlen!

Leider hat die CDU/FDP im Auricher Stadtrat damals geschlossen dagegen gestimmt. Bis heute fordert der Auricher CDU-Fraktionschef, Geflüchteten keine „Einladung“ nach Deutschland auszusprechen. Als ob es darum gehen würde. Ich finde das schlimm, denn was gibt es barbarischeres, als Seenotrettung zu kriminalisieren?